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DESIGN DISKURS

Warum wir mit partizipativen Design­pro­zessen und diversen Teams bessere Ergebnisse erzielen, bislang ungenutzte Inno­vations­potenziale freisetzen und Zukunfts­heraus­forder­ungen besser meistern können.

Veröffentlicht am 02.09.21

Aktuelle Hoch­wasser­katastrophen unter­streichen die Notwendig­keit der Klima­wende. Die Corona-Pande­mie stellt unseren All­tag auf den Kopf. Digi­tali­sier­ung und Globali­sier­ung mischen die Karten im Wett­streit der Sys­teme neu. Die Nach­richten zeigen eine Viel­zahl von gesell­schaft­lichen Heraus­forder­ungen. Unsere Welt wird VUCA – volatil, un­sicher, kom­plex und ambig – und stellt so auch die Wirt­schaft und jedes einzelne Unter­nehmen vor völlig neue Heraus­forder­ungen, auf die wir nicht ein­fach mit alten Rezep­ten antworten können. Welche Rolle können Designer­*innen dabei spielen?

 

Der Top-Down Ansatz hat sich überholt

Die Corona-Pandemie hat das Thema „New Work“ massiv voran­ge­trieben. Diese neue Situation bestärkt sehr viel mehr Selbst­ständig­keit, Frei­heit und Eigen­initia­tive der Mit­arbeiten­den. Führ­ung aus der Ferne ver­trägt sich je­doch nur sehr schlecht mit Chefs, die Micro­manage­ment be­treiben und alles von oben herunter vor­schreiben wollen. Ein Trend, der sich auch in unseren Design­prozes­sen nieder­schlägt, denn diese werden in Unter­nehmen und Organi­sationen zu­nehmend partizi­pativer und demo­kratischer. Ganz konkret heißt das, dass Design­strategien, Change- und Digitali­sierungs­pro­zesse nicht mehr von einem Experten­gremium ent­wickelt und dann „nach unten“ als fertig aus­ge­arbeitetes Kon­zept vor­gestellt und vor­geschrieben werden. Statt­dessen müssen idealer­weise Mit­arbeitende aus allen Abteil­ungen und Hier­archie­stufen mit ihrem Wissen, ihren Erfahr­ungen und ihren Wünschen früh­zeitig in den Entwicklungs­pro­zess ein­ge­bunden werden. Das fördert neben der Akzep­tanz – nach meiner Erfahrung aus viel­fältigen Pro­jekten, die ich in den letzten Jahren be­gleiten durfte – auch massiv die Ergebnis­qualität.


„Mitarbeitende mit ihrem Wissen, ihren Erfahr­ungen und ihren Wünschen früh­zeitig in den Ent­wick­lungs­­prozess einbinden.“


Für Designer­*innen bedeutet dies eine neue Heran­gehens­weise, denn sie müssen lernen diese Pro­zesse als Facilitator aufzu­setzen, zu begleiten und die Ergeb­nisse zu kuratieren. Damit stellen sich völlig neue Heraus­forder­ungen – umso mehr, wenn diese Prozesse und Work­shops zunehmend digital um­gesetzt und in Video­kon­ferenzen mit digitalen White­boards à la Miro und Co. ge­plant und ge­steuert werden müssen. Aber darin liegt auch eine große Chance: Wenn Designer­*innen hier das Feld nicht allein Strategie­berater­*innen über­lassen, können sie viel un­mittel­barer mit den späteren Design­anwender­*innen ins Ge­spräch kommen. Auch die Chance, früh­zeitig in Unter­nehmens­werk­stätten mit Mood­boards und Mock­ups erste Ideen zu visuali­sieren, ermög­licht einen deut­lichen agileren und kunden­zentrierteren Design­ent­wicklungs­prozess.

 

Diversität steigert die Innovationskraft

Aber klar ist auch: Solche Prozesse sind dur­chaus auf­wändig. In großen Insti­tutio­nen oder Unter­nehmen alle Mit­arbeiten­de in digitalen Work­shops einzu­binden erfordert Finger­spitzen­gefühl. Neben der Partizi­pation ist ein wesent­licher Vor­teil, dass der Personen­kreis so auch deut­lich diverser ist: Auszu­bildende können hier inno­vative Impulse setzen, lang­gediente Mitar­beitende bringen ihre Er­fahrung ein, Führungs­kräfte werden ebenso ein­ge­bunden, wie Per­so­nen mit direktem Kunden­kontakt. Der Gewinn ist ein großes Plus an Inno­vations­kraft, das nur durch diverse Teams ent­stehen kann.

So hat die Unter­nehmens­beratung Accenture bereits 2018 in einer breit angelegten Studie heraus­gestellt, dass Organi­sationen mit einer starken Kultur von Diversität und Gleich­stellung deut­lich inno­vativer sind, als jene die das Thema ver­nach­lässigen. Und diese Inno­vations­kraft ist es schließ­lich, die wir für die großen und kleinen Zukunfts­heraus­forderungen nicht un­genutzt lassen sollten. Dabei sind unter „Diversity“ die gesamte Vielfalt von Geschlecht, Alter, sexueller Identi­tät, Her­kunft, Ethnie, sozialem Status, Bildung, gesund­heitlichen Ein­schränk­un­gen etc. zu verstehen. Die Formel kann dabei ganz schlicht lauten: Je diverser das Team im Design­prozess, umso innovativer das Ergebnis.

 

Female Leadership beginnt schon im Design-Team

Einer der offen­sicht­lichsten und trotzdem bis heute noch nicht ansatz­weise reali­sierten Aspekte, ist die Gleich­stellung von Männern, Frauen und Diversen – ein Thema, das mir auch persönlich am Herzen liegt und mit dem ich mich bei den „Women of DDC“ engagiere: Wie kann es sein, dass der Frauen­anteil bei Design­studien­gängen durch­weg deut­lich über­durch­schnittlich ist, diese aber später nicht an­nähernd so stark in den Führungs­ebenen der Unter­nehmen und Uni­ver­sitäten ankom­men? Warum gibt es bis heute im Design­bereich so wenig Unter­nehmens­grün­der­­innen?


„Je diverser das Team im Design­prozess, umso inno­vativer das Ergebnis.“


Auch um Antworten auf diese Fragen zu suchen und den Trend umzu­kehren, haben wir mit „Learn & Burn“ eine DDC Förder­initiative ins Leben gerufen. Hier soll gezielt der Aus­tausch zwischen Nachwuchs­kräften und erfahrenen weiblichen und diversen Designer­innen ge­fördert werden – mit dem Ziel von­ein­ander zu lernen. Und letzt­endlich geht es auch darum, diese Inno­vations­kraft Unter­nehmen und unserer Gesell­schaft besser zu er­schließen. Eine Studie der Boston Consulting Group belegt: Länder mit besonders hohem Anteil weib­licher Berufs­tätiger, wie die Schweiz oder Schweden, landen zuver­lässig auf den vorderen Plätzen bei Inno­vations­rankings. Und Aus­wertungen auf Unter­nehmens­ebene kommen zu ähnlichen Ergeb­nissen. Um hier mit gutem Beispiel voran zu gehen, leiten auch wir unsere Agentur und Workshops zu zweit. Das ist ein großer Gewinn für unsere Projekte und unsere Arbeit.

 

Nachhaltiges und resilientes Design

Ein weiterer Vorteil von Design, das in parti­zipativen Prozessen und diversen Teams ent­steht: Es ist nach­haltiger. Warum ist das so? Durch die Ein­bindung vieler Menschen in den Design­prozess können Fehler früh­zeitig ver­mieden und ausge­schlossen werden. Außer­dem erhöht der demo­kratisierte Ent­stehungs­prozess sowie die Berück­sichtigung möglichst diverser Bedürf­nisse Akzep­tanz und Lang­lebig­keit von Design. Barriere­frei­heit oder Barriere­armut wird in diversen Teams früh­zeitig berück­sichtigt – dieses Design schließt nieman­den aus, wird so inklu­siver und erreicht letzt­endlich auch mehr Menschen. Ganz im Sinne der „Zehn Thesen für gutes Design“ von Dieter Rams wird Design, das auf einem so stabilen und breiten Funda­ment ent­wickelt wurde, selbst­verständ­lich deut­lich „robuster“ und auch lang­lebiger sein – weil es sich nicht nur an den Wünschen Einzelner orientiert. Somit lässt sich auch der anfäng­lich vielleicht etwas höhere Auf­wand im Design­entwicklungs­prozess recht­fertigen, weil die Kosten auf einen deut­lich längeren Zeit­raum der Design­anwendung um­gelegt werden können.

Es versteht sich von selbst, dass nach­haltiges Design unter den Aspek­ten von Um­welt­­schutz und Res­sourcen­­schon­ung sinn­voll und er­strebens­wert ist. Einige Expert­*innen gehen sogar noch weiter und sprechen von „resilientem Design“ – was zum Aus­druck bringen soll, dass es sich auch in Zeiten von disrup­tivem Wandel und Krisen be­währen wird. Ange­sichts der zu erwarten­den Ent­wicklungen einer „VUCA-Welt“ kommt diesem Design­anspruch zukünftig eine wichtige Rolle zu. Eine spannende Heraus­forderung, die Designer­*innen mit inno­vativen und diversen Teams in partizi­pativen Prozessen – egal ob digital oder analog – gerne annehmen!

Katja Lis

ist Senior Design Strategist und Brand Expert. Nach Stationen in London und Amsterdam gründete sie 2013 gemeinsam mit Alexander Lis das DBF Design­büro Frankfurt. Seit 2019 ist sie unter anderem als Dozentin für Corporate Design an der Hochschule Mainz tätig, engagiert sich im DDC als Beirätin für Diversity und ist Mitinitiatorin der „Women of DDC“ sowie der DDC Projektreihe „Learn & Burn“.