DESIGN DISKURS
Warum wir mit partizipativen Designprozessen und diversen Teams bessere Ergebnisse erzielen, bislang ungenutzte Innovationspotenziale freisetzen und Zukunftsherausforderungen besser meistern können.
Aktuelle Hochwasserkatastrophen unterstreichen die Notwendigkeit der Klimawende. Die Corona-Pandemie stellt unseren Alltag auf den Kopf. Digitalisierung und Globalisierung mischen die Karten im Wettstreit der Systeme neu. Die Nachrichten zeigen eine Vielzahl von gesellschaftlichen Herausforderungen. Unsere Welt wird VUCA – volatil, unsicher, komplex und ambig – und stellt so auch die Wirtschaft und jedes einzelne Unternehmen vor völlig neue Herausforderungen, auf die wir nicht einfach mit alten Rezepten antworten können. Welche Rolle können Designer*innen dabei spielen?
Der Top-Down Ansatz hat sich überholt
Die Corona-Pandemie hat das Thema „New Work“ massiv vorangetrieben. Diese neue Situation bestärkt sehr viel mehr Selbstständigkeit, Freiheit und Eigeninitiative der Mitarbeitenden. Führung aus der Ferne verträgt sich jedoch nur sehr schlecht mit Chefs, die Micromanagement betreiben und alles von oben herunter vorschreiben wollen. Ein Trend, der sich auch in unseren Designprozessen niederschlägt, denn diese werden in Unternehmen und Organisationen zunehmend partizipativer und demokratischer. Ganz konkret heißt das, dass Designstrategien, Change- und Digitalisierungsprozesse nicht mehr von einem Expertengremium entwickelt und dann „nach unten“ als fertig ausgearbeitetes Konzept vorgestellt und vorgeschrieben werden. Stattdessen müssen idealerweise Mitarbeitende aus allen Abteilungen und Hierarchiestufen mit ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und ihren Wünschen frühzeitig in den Entwicklungsprozess eingebunden werden. Das fördert neben der Akzeptanz – nach meiner Erfahrung aus vielfältigen Projekten, die ich in den letzten Jahren begleiten durfte – auch massiv die Ergebnisqualität.
„Mitarbeitende mit ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und ihren Wünschen frühzeitig in den Entwicklungsprozess einbinden.“
Für Designer*innen bedeutet dies eine neue Herangehensweise, denn sie müssen lernen diese Prozesse als Facilitator aufzusetzen, zu begleiten und die Ergebnisse zu kuratieren. Damit stellen sich völlig neue Herausforderungen – umso mehr, wenn diese Prozesse und Workshops zunehmend digital umgesetzt und in Videokonferenzen mit digitalen Whiteboards à la Miro und Co. geplant und gesteuert werden müssen. Aber darin liegt auch eine große Chance: Wenn Designer*innen hier das Feld nicht allein Strategieberater*innen überlassen, können sie viel unmittelbarer mit den späteren Designanwender*innen ins Gespräch kommen. Auch die Chance, frühzeitig in Unternehmenswerkstätten mit Moodboards und Mockups erste Ideen zu visualisieren, ermöglicht einen deutlichen agileren und kundenzentrierteren Designentwicklungsprozess.
Diversität steigert die Innovationskraft
Aber klar ist auch: Solche Prozesse sind durchaus aufwändig. In großen Institutionen oder Unternehmen alle Mitarbeitende in digitalen Workshops einzubinden erfordert Fingerspitzengefühl. Neben der Partizipation ist ein wesentlicher Vorteil, dass der Personenkreis so auch deutlich diverser ist: Auszubildende können hier innovative Impulse setzen, langgediente Mitarbeitende bringen ihre Erfahrung ein, Führungskräfte werden ebenso eingebunden, wie Personen mit direktem Kundenkontakt. Der Gewinn ist ein großes Plus an Innovationskraft, das nur durch diverse Teams entstehen kann.
So hat die Unternehmensberatung Accenture bereits 2018 in einer breit angelegten Studie herausgestellt, dass Organisationen mit einer starken Kultur von Diversität und Gleichstellung deutlich innovativer sind, als jene die das Thema vernachlässigen. Und diese Innovationskraft ist es schließlich, die wir für die großen und kleinen Zukunftsherausforderungen nicht ungenutzt lassen sollten. Dabei sind unter „Diversity“ die gesamte Vielfalt von Geschlecht, Alter, sexueller Identität, Herkunft, Ethnie, sozialem Status, Bildung, gesundheitlichen Einschränkungen etc. zu verstehen. Die Formel kann dabei ganz schlicht lauten: Je diverser das Team im Designprozess, umso innovativer das Ergebnis.
Female Leadership beginnt schon im Design-Team
Einer der offensichtlichsten und trotzdem bis heute noch nicht ansatzweise realisierten Aspekte, ist die Gleichstellung von Männern, Frauen und Diversen – ein Thema, das mir auch persönlich am Herzen liegt und mit dem ich mich bei den „Women of DDC“ engagiere: Wie kann es sein, dass der Frauenanteil bei Designstudiengängen durchweg deutlich überdurchschnittlich ist, diese aber später nicht annähernd so stark in den Führungsebenen der Unternehmen und Universitäten ankommen? Warum gibt es bis heute im Designbereich so wenig Unternehmensgründerinnen?
„Je diverser das Team im Designprozess, umso innovativer das Ergebnis.“
Auch um Antworten auf diese Fragen zu suchen und den Trend umzukehren, haben wir mit „Learn & Burn“ eine DDC Förderinitiative ins Leben gerufen. Hier soll gezielt der Austausch zwischen Nachwuchskräften und erfahrenen weiblichen und diversen Designerinnen gefördert werden – mit dem Ziel voneinander zu lernen. Und letztendlich geht es auch darum, diese Innovationskraft Unternehmen und unserer Gesellschaft besser zu erschließen. Eine Studie der Boston Consulting Group belegt: Länder mit besonders hohem Anteil weiblicher Berufstätiger, wie die Schweiz oder Schweden, landen zuverlässig auf den vorderen Plätzen bei Innovationsrankings. Und Auswertungen auf Unternehmensebene kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Um hier mit gutem Beispiel voran zu gehen, leiten auch wir unsere Agentur und Workshops zu zweit. Das ist ein großer Gewinn für unsere Projekte und unsere Arbeit.
Nachhaltiges und resilientes Design
Ein weiterer Vorteil von Design, das in partizipativen Prozessen und diversen Teams entsteht: Es ist nachhaltiger. Warum ist das so? Durch die Einbindung vieler Menschen in den Designprozess können Fehler frühzeitig vermieden und ausgeschlossen werden. Außerdem erhöht der demokratisierte Entstehungsprozess sowie die Berücksichtigung möglichst diverser Bedürfnisse Akzeptanz und Langlebigkeit von Design. Barrierefreiheit oder Barrierearmut wird in diversen Teams frühzeitig berücksichtigt – dieses Design schließt niemanden aus, wird so inklusiver und erreicht letztendlich auch mehr Menschen. Ganz im Sinne der „Zehn Thesen für gutes Design“ von Dieter Rams wird Design, das auf einem so stabilen und breiten Fundament entwickelt wurde, selbstverständlich deutlich „robuster“ und auch langlebiger sein – weil es sich nicht nur an den Wünschen Einzelner orientiert. Somit lässt sich auch der anfänglich vielleicht etwas höhere Aufwand im Designentwicklungsprozess rechtfertigen, weil die Kosten auf einen deutlich längeren Zeitraum der Designanwendung umgelegt werden können.
Es versteht sich von selbst, dass nachhaltiges Design unter den Aspekten von Umweltschutz und Ressourcenschonung sinnvoll und erstrebenswert ist. Einige Expert*innen gehen sogar noch weiter und sprechen von „resilientem Design“ – was zum Ausdruck bringen soll, dass es sich auch in Zeiten von disruptivem Wandel und Krisen bewähren wird. Angesichts der zu erwartenden Entwicklungen einer „VUCA-Welt“ kommt diesem Designanspruch zukünftig eine wichtige Rolle zu. Eine spannende Herausforderung, die Designer*innen mit innovativen und diversen Teams in partizipativen Prozessen – egal ob digital oder analog – gerne annehmen!