DDC Ehrenmitglied 2018
Professor Matthias Wagner K, Direktor des Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main, würdigte im Rahmen der Gala zu GUTE GESTALTUNG 2019 das Werk von Anette Lenz, dem neuen DDC Ehrenmitglied 2018, in einer Laudatio, die wir hier dokumentieren.
Liebe Anette Lenz,
wir sind uns vor dem heutigen Tag noch nie begegnet. Was ich über Sie weiß, habe ich mir angelesen, in Gesprächen mit anderen über Sie erfahren oder den Kanälen digitaler Medien entnommen. So kann ich nicht sagen, wie stark und ob überhaupt Ihr Deutsch eine mittlerweile französische Einfärbung hat und wüsste auch nicht, ob dies überhaupt eine Bedeutung für mich hätte.
Ich kann aber sagen, welche Wirkung das über Sie Gelesene, von Ihnen Gesagte, vor allem aber Ihr Schaffen auf mich hat, also das, was hinter meinem Rücken, ich möchte sagen: sich als formale wie inhaltliche Ekstase zu erkennen gibt. Es sind Ihre Erscheinungsbilder, Bücher und Kataloge für Kultureinrichtungen und Museen, es sind aber vor allem Ihre Plakate im öffentlichen Raum, die mich seit Tagen nicht unberührt lassen, die mit den von Ihnen gewählten Farbig- und teils verwirrenden Unübersichtlichkeiten – flüsternd oder schreiend, gleichsam humorvoll und ernst – mich nicht mehr loslassen, mein Denken über Grafikdesign und dessen Funktion auf das Äußerste aktivieren.
Für Sie, so sagten Sie anlässlich einer Jurysitzung, ist „das Plakat das demokratische Medium schlechthin: Es befindet sich im öffentlichen Raum, es richtet sich an jeden, der vorbeigeht, und kann im Prinzip von jedem angefertigt und geklebt werden. Auf was es jedoch ankommt, ist: dass es die Aufmerksamkeit erregt, dass es den Betrachter sofort berührt und es einen Kontext schafft, der ihn einschließt. Das Plakat kann, über die Information hinaus, Ideen vermitteln, zu einer Geschichte, zu Assoziationen einladen, die weit über den Moment hinauswirken.“ Es hat also Einfluss auf uns, die Betrachtenden, die Lesenden, und damit auf den Alltag ganz unterschiedlicher Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Sprache, so wie die Einflüsse im Alltag der meisten Gestalter und Kreativen auf die eigene Arbeit längst globaler Natur sind und spätestens jetzt doch eigentlich jedem klar sein sollte, dass der Nationalstaat mit seinen Be- und Ausgrenzungen der Vergangenheit angehört, angehören muss! Auch wenn heute an vielen Orten die Rückkehr zum Nationalismus gefordert, mancherorts bereits gefeiert wird.
So es also um Einflüsse geht, führt dies mich wieder direkt zu Ihnen, liebe Anette Lenz, zu Ihrer Geschichte, zu der gehört, dass Sie nach dem Studium des Grafikdesigns in München nach Paris gingen und dort dem wohl wichtigsten Grafikerkollektiv des 20. Jahrhunderts beitraten, Grapus.
Dieses Kollektiv stand für eine ganz eigene Bildsprache mit so zuvor noch nie eingesetzten Handschriften, hellen und leuchtenden Farben und sinnlichen Formen. Man entschied kollektiv und signierte mit dem Namen des Studios. Aus einem generellen Misstrauen gegen kommerzielle Werbung und ihre Propagandatechniken entwickelte man völlige neue Strategien der Intervention im öffentlichen Raum und – das dürfte bis heute eine Eigenart in Frankreich sein – man vollzog eine klare Trennung zwischen dem Arbeiten für die Industrie und dem für die Kultur. Also keine Vermischung zugunsten einer klaren Haltung, auf der einen wie der anderen Seite. Nachdem sich das Studio in den 1990er Jahren aufgelöst hatte, waren Sie Mitbegründerin des Künstler- und Gestalterkollektivs Nous Travaillons Ensemble, auf Deutsch: Wir arbeiten zusammen.
Das alles war vor der Gründung Ihres eigenen Studios, bevor Sie die Corporate Identity mehrerer französischer Städte, große Plakatserien und visuelle Identitäten für Pariser Theater und verschiedene Theater in Frankreich (Angoulême, Mulhouse, Chaumont ...), für das Choréographische Zentrum in Le Havre aber auch für Museen in Paris wie das Centre Georges Pompidou, das Palais de Tokio, das Musée des Arts Décoratifs, das Grand Palais sowie für das Radio France in Paris und den Fernsehsender Arte entwickelten und man von einer logischen Fortsetzung einer grafischen Arbeit als Denkanstoß, Überraschungsmoment und zivilgesellschaftliche Entäußerung, als ein Statement für die Kultur sprechen kann. An dieser Stelle kommt denn auch die soziologische und politische Rolle des Kommunikationsdesigns ins Spiel, die Rolle der Gestalterin als essenzieller Bestandteil einer globalen Welt, die sich dadurch auszeichnet, dass man es verstanden hat, dass die Zeit reduktiver Systeme vorbei ist. Weil man begriffen hat, dass nicht länger natürliche, sondern eben gesellschaftliche Prozesse die treibende, mithin alles verändernde Kraft auf diesem unseren Planeten sind. Was wiederum nichts anderes heißt, als dass ein jedes Tun des Einzelnen mehr oder weniger Einfluss auf das Ganze hat und es deshalb auch und gerade in der visuellen Kommunikation um ein Agieren im Spannungsfeld gestalterischen Tuns, Ökonomie und Eigenverantwortlichkeit einerseits, aber eben immer auch um die Weitergabe von Inhalten zum Erlangen sozialer Komplexität, psychischer und physischer Selbstbeweglichkeit, dem Abschätzen-Können von Sinngeschehen und der Möglichkeit des Andersdenkens, dem ein anderes Handeln folgen kann, gehen sollte. Und das hieße, Grafikdesign deutlich mehr als Medium zu nutzen, um gesellschaftliche Denkräume anderer Art zu öffnen.
Sie, liebe Anette Lenz, tun genau das und führen uns zugleich vor, wie es geht, das eigene Tun im Zustand des Prozesshaften, der Mehrsprachigkeit, des fantasie- und auch lustvollen Widerstreits von Formen, Normen und Vorstellungen zu halten.
Dafür wurden Sie vielfach ausgezeichnet und sind mittlerweile in Sammlungen renommierter Museen vertreten wie dem Museum of Modern Art, dem Stedelijk Museum in Amsterdam oder dem Centre Georges Pompidou.
Und da ich mit einer persönlichen Anmerkung begonnen habe, möchte ich mit einer persönlichen Anmerkung auch enden: Nein, Ihre Werke befinden sich nicht in der Sammlung des Museum Angewandte Kunst hier in Frankfurt am Main, noch wurden sie in diesem Haus gezeigt oder gab es eine Anfrage an Sie, für eine Zusammenarbeit. Und ja, das gilt es zu ändern. Das verspreche ich Ihnen, liebe Anette Lenz. Denn wo es darum geht, engagiert mit ästhetischen, künstlerischen und kreativen Mitteln auf die Gesellschaft einzuwirken, wachzurütteln, Zweifel am Gewohnten und an vertrauten Überzeugungen zu schüren, lässt sich von Ihnen lernen, ist Ihr Tun vonnöten, und deshalb sind Sie eine wirklich vortreffliche Wahl des Deutschen Designer Club und ist es ein großes Glück, Sie als Ehrenmitglied mit dem heutigen Tag gewonnen zu haben.
Matthias Wagner K