DDC Ehrenmitglied 2018

Professor Matthias Wagner K, Direktor des Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main, würdigte im Rahmen der Gala zu GUTE GESTALTUNG 2019 das Werk von Anette Lenz, dem neuen DDC Ehrenmitglied 2018, in einer Laudatio, die wir hier dokumentieren.

Veröffentlicht am 23.11.2020

Liebe Anette Lenz,

wir sind uns vor dem heutigen Tag noch nie begegnet. Was ich über Sie weiß, habe ich mir an­gelesen, in Ge­sprächen mit anderen über Sie erfahren oder den Kanälen digitaler Medien ent­nom­men. So kann ich nicht sagen, wie stark und ob über­haupt Ihr Deutsch eine mittler­weile französische Ein­färbung hat und wüsste auch nicht, ob dies über­haupt eine Be­deutung für mich hätte.

Ich kann aber sagen, welche Wirk­ung das über Sie Ge­lesene, von Ihnen Ge­sagte, vor allem aber Ihr Schaffen auf mich hat, also das, was hinter meinem Rücken, ich möchte sagen: sich als formale wie inhalt­liche Ekstase zu er­kennen gibt. Es sind Ihre Er­scheinungs­bilder, Bücher und Kataloge für Kultur­ein­richtungen und Museen, es sind aber vor allem Ihre Plakate im öffent­lichen Raum, die mich seit Tagen nicht un­berührt lassen, die mit den von Ihnen ge­wählten Farbig- und teils ver­wirrenden Un­über­sicht­lich­keiten – flüsternd oder schreiend, gleich­sam humor­voll und ernst – mich nicht mehr loslassen, mein Denken über Grafik­design und dessen Funktion auf das Äußerste aktivieren.

Anette Lenz in der Ausstellung „à propos“ über ihr eigenes Werk im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, 2020 Bild © Wolfgang Günzel

Für Sie, so sagten Sie anlässlich einer Jury­sitzung, ist „das Plakat das demo­kratische Medium schlech­thin: Es befindet sich im öffent­lichen Raum, es richtet sich an jeden, der vorbei­geht, und kann im Prinzip von jedem an­gefertigt und geklebt werden. Auf was es jedoch an­kommt, ist: dass es die Aufmerk­samkeit erregt, dass es den Betrachter sofort berührt und es einen Kon­text schafft, der ihn ein­schließt. Das Plakat kann, über die Information hinaus, Ideen vermitteln, zu einer Geschichte, zu Asso­ziationen einladen, die weit über den Moment hinaus­wirken.“ Es hat also Einfluss auf uns, die Betrachten­den, die Lesen­den, und damit auf den Alltag ganz unter­schied­licher Menschen, unabhängig von ihrer Her­kunft und ihrer Sprache, so wie die Ein­flüsse im Alltag der meisten Ge­stalter und Kreativen auf die eigene Arbeit längst globaler Natur sind und spätestens jetzt doch eigentlich jedem klar sein sollte, dass der National­staat mit seinen Be- und Aus­grenzungen der Vergangen­heit angehört, an­gehören muss! Auch wenn heute an vielen Orten die Rück­kehr zum Nationa­lismus gefordert, mancher­orts bereits gefeiert wird.

So es also um Ein­flüsse geht, führt dies mich wieder direkt zu Ihnen, liebe Anette Lenz, zu Ihrer Geschichte, zu der gehört, dass Sie nach dem Studium des Grafik­designs in München nach Paris gingen und dort dem wohl wichtigsten Grafiker­kollektiv des 20. Jahr­hunderts bei­traten, Grapus.

Dieses Kollektiv stand für eine ganz eigene Bild­sprache mit so zuvor noch nie eingesetzten Hand­schriften, hellen und leuchtenden Farben und sinn­lichen Formen. Man entschied kollektiv und signierte mit dem Namen des Studios. Aus einem generellen Miss­trauen gegen kommer­zielle Werbung und ihre Propa­ganda­techniken entwickelte man völlige neue Strategien der Inter­vention im öffentlichen Raum und – das dürfte bis heute eine Eigen­art in Frank­reich sein – man vollzog eine klare Tren­nung zwischen dem Arbeiten für die Industrie und dem für die Kultur. Also keine Ver­mischung zu­gunsten einer klaren Haltung, auf der einen wie der anderen Seite. Nachdem sich das Studio in den 1990er Jahren aufgelöst hatte, waren Sie Mit­begründerin des Künstler- und Gestalter­kollektivs Nous Travaillons Ensemble, auf Deutsch: Wir arbeiten zusammen.

Das alles war vor der Gründung Ihres eigenen Studios, bevor Sie die Corporate Identity mehrerer französischer Städte, große Plakat­serien und visuelle Identitäten für Pariser Theater und verschiedene Theater in Frank­reich (Angoulême, Mulhouse, Chaumont ...), für das Choréo­graphische Zentrum in Le Havre aber auch für Museen in Paris wie das Centre Georges Pompidou, das Palais de Tokio, das Musée des Arts Décoratifs, das Grand Palais sowie für das Radio France in Paris und den Fernseh­sender Arte entwickelten und man von einer logischen Fort­setzung einer grafischen Arbeit als Denk­anstoß, Überraschungs­moment und zivil­gesell­schaftliche Ent­äußerung, als ein Statement für die Kultur sprechen kann. An dieser Stelle kommt denn auch die sozio­logische und politische Rolle des Kommunikations­designs ins Spiel, die Rolle der Gestalterin als essenzieller Bestandteil einer globalen Welt, die sich dadurch auszeichnet, dass man es verstanden hat, dass die Zeit reduktiver Systeme vorbei ist. Weil man begriffen hat, dass nicht länger natürliche, sondern eben gesell­schaftliche Prozesse die treibende, mithin alles verändernde Kraft auf diesem unseren Planeten sind. Was wiederum nichts anderes heißt, als dass ein jedes Tun des Einzelnen mehr oder weniger Ein­fluss auf das Ganze hat und es deshalb auch und gerade in der visu­ellen Kommuni­kation um ein Agieren im Spannungs­feld gestalterischen Tuns, Ökonomie und Eigen­verantwort­lich­keit einerseits, aber eben immer auch um die Weitergabe von Inhalten zum Erlangen sozialer Komplex­ität, psychischer und physischer Selbst­beweglichkeit, dem Abschätzen-Können von Sinn­geschehen und der Möglichkeit des Anders­denkens, dem ein anderes Handeln folgen kann, gehen sollte. Und das hieße, Grafik­design deutlich mehr als Medium zu nutzen, um gesell­schaftliche Denk­räume anderer Art zu öffnen.

Sie, liebe Anette Lenz, tun genau das und führen uns zugleich vor, wie es geht, das eigene Tun im Zustand des Prozess­haften, der Mehr­sprachig­keit, des fantasie- und auch lust­vollen Wider­streits von Formen, Normen und Vor­stellungen zu halten.

Dafür wurden Sie viel­fach aus­gezeichnet und sind mittler­weile in Sammlungen renommierter Museen vertreten wie dem Museum of Modern Art, dem Stedelijk Museum in Amster­dam oder dem Centre Georges Pompidou.

Und da ich mit einer persönlichen Anmerkung begonnen habe, möchte ich mit einer persön­lichen Anmerkung auch enden: Nein, Ihre Werke befinden sich nicht in der Sammlung des Museum Angewandte Kunst hier in Frankfurt am Main, noch wurden sie in diesem Haus gezeigt oder gab es eine Anfrage an Sie, für eine Zusammen­arbeit. Und ja, das gilt es zu ändern. Das verspreche ich Ihnen, liebe Anette Lenz. Denn wo es darum geht, engagiert mit ästhetischen, künstlerischen und kreativen Mitteln auf die Gesell­schaft einzu­wirken, wach­zurütteln, Zweifel am Gewohnten und an vertrauten Über­zeugungen zu schüren, lässt sich von Ihnen lernen, ist Ihr Tun von­nöten, und deshalb sind Sie eine wirklich vort­reffliche Wahl des Deutschen Designer Club und ist es ein großes Glück, Sie als Ehren­mitglied mit dem heutigen Tag ge­won­nen zu haben.

Matthias Wagner K

 

 

Dieser Beitrag erschien zunächst gedruckt im DDC MAG No. 02 (2019), bevor wir ihn hier veröffentlichten.

 

 

Den Podcast des DDC mit Anette Lenz
als Gesprächspartner findet ihr unter
ddcast.ddc.de.

 

Anette Lenz ist Ehrenmitglied des DDC 2018

In Frankreich ist Anette Lenz eine bekannte Größe im zeitgenössischen Grafik­design und hat sich insbesondere mit Plakaten für Kultur­institutionen einen Namen gemacht. Seit 1989 lebt Anette Lenz, die 1964 in Esslingen geboren wurde und Visuelle Kommunikation in München studiert hat, bereits in Paris. „Ich hatte die unglaubliche Gelegenheit, mit Grapus zu arbeiten, einem kleineren Gestalter­kollektiv, das im politischen Bereich arbeitete, aber auch Wurzeln im sozialen und kulturellen Umfeld hatte“, wie sie rückblickend erzählt. Zu der Zeit wollte sie „die Welt mit Grafik­design ändern“. Grapus stand für eine starke, experimentelle Haltung und trennte strikt zwischen Arbeiten für die Kultur und für die Industrie. Nachdem das Kollektiv sich aufgelöst hatte, gründete sie zusammen mit Alex Jordan, einem der Mitglieder von Grapus und Schüler von Joseph Beuys, das Kollektiv Nous Travaillons Ensemble. Seit 1993 ist sie nun mit einem kleinen Studio im Herzen von Paris selbstständig und arbeitet von dort aus im Netz­werk mit anderen Kreativen zusammen.

Sie arbeitet in erster Linie für Städte, Theater und Museen, für die sie Kampagnen oder ganze Corporate Identities entwirft. Einige ihrer Arbeiten sind legendär, etwa jene in Kooperation mit Vincent Perrottet für das Théâtre d’Angoulême, ihre Poster für Radio France oder ihre Zusammen­arbeit mit Joël Gunzburger, dem Direktor des L’Onde Théâtre, Centre d’Art bei Paris. Ihre Arbeiten wurden bereits in zahl­reichen Aus­stellungen dokumentiert. So sind ihre Werke unter anderem im SFMOMA in San Francisco, im Centre Pompidou, in der Bibliothèque nationale de France in Paris und im Deutschen Plakat­museum in Essen zu finden. Anette Lenz ist Mitglied der Alliance Graphique Internationale und Professorin an der Hochschule für Kunst und Design in Genf. 2015 erhielt sie den „Ritter­orden der Künste und Literatur“ des französischen Kultur­ministeriums. 2018 wird Anette Lenz als Ehren­mitglied in den Deutschen Designer Club berufen.