DDC Ehrenmitglied 2021
Der Publizist Dr. Thomas Ramge diskutiert in seiner Laudatio auf das neue Ehrenmitglied 2021 des Deutschen Designer Club: Hat Gesche Joost das Raum-Zeit-Kontinuum durchbrochen?
Liebe Gesche, liebe Designerinnen und Designer,
Gutes über Gesche Joost zu sagen ist einfach. Dies in wenigen Minuten zu sagen ist schwer. Warum? In rund 15 Jahren Beobachtung und Interaktion habe ich mich immer wieder gefragt: Hat diese Gesche mehr Zeit als wir? Kann man so viele Dinge in so vielen Rollen gestalten, bewegen? So viele Kämpfe gegen Bürokraten gewinnen, nicht nur anschieben, sondern auch umsetzen? Kann man an so vielen Orten und Veranstaltungen scheinbar gleichzeitig sein oder physikalisch gefragt: Hat Gesche das Raum-Zeit-Kontinuum irgendwie durchbrochen mit einer Apparatur, in der Lichtgeschwindigkeit eine Rolle spielt, aus ihrem FabLab unten in der Universität der Künste, die Gesche dann zusätzlich Zeit verschafft?
First Principles der Physik zu durchbrechen, traue ich selbst dir nicht zu. Wenn du nicht mehr Zeit hast als wir, muss es eine Frage einer anderen physikalischen Größe sein. Da habe ich einen Verdacht. Unter den vielen positiven Eigenschaften, die ich mit dir verbinde, ist die vielleicht auffälligste: Energie. Jeden Vortrag, jede Paneldiskussion, jedes Interview und Gespräch, jedes Meeting im Forschungskontext, selbst wenn es um administrative Fragen geht, ist voller Energie: Und zwar positiver Energie, die den Raum öffnet für Konstruktion, also Gestaltung – die Kernkompetenz der Designerinnen und Designer.
Positive Energie, die den Raum öffnet für Konstruktion, also Gestaltung – die Kernkompetenz der Designerinnen und Designer.
Woher kommt diese Energie? Meine Vermutung: Auch hier keine Apparatur aus dem FabLab der Universität der Künste Berlin, sondern ich versuche es mit einem psychologischen Deutungsmoment. Du bist wirklich optimistisch, dass sich die Dinge noch verändern lassen. Und du tust nicht nur so als ob. Warum betone ich das so? In der Rolle als Journalist und Moderator interviewe ich viele Menschen in wichtigen Rollen. Solange das Mikro an ist, solange im Modus des Zitierbaren, erzählen sie alle, wie sie daran glauben, dass ihre Organisation, ihr Sektor oder Deutschland oder Europa oder die ganze Welt vorankommen.
Eigentlich interessant ist, was passiert, wenn das Mikro aus und man von der Bühne runter ist, gegebenenfalls noch zwei Gläser Wein getrunken hat. Dann zeigt sich, dass dieser Optimismus davor oft reine Fassade ist. Viele der Scheinoptimisten ergießen sich dann in ellenlangen Ausführungen, wer sie wieder wie ausgebremst hat, und warum es ja doch alles nix werden kann mit der Verbesserung im Kleinen, Mittleren und Großen. Ich hatte auch mit Gesche oft die Situation, dass ein Mikro ausging, man wieder von der Bühne runter war, klar ist, jetzt liegt der Notizblock beiseite. Gesche wird dann oft noch optimistischer. Noch kämpferischer für ihre Sache. Räumt die Zweifel von Zweifelnden (zu denen ich berufsbedingt auch gehöre) mit noch mehr Energie UND fundierter Argumentation beiseite.
Der Philosoph Ernst Bloch hat die Formulierung „Die konstruktive Kraft der konkreten Utopie” geprägt. Dürfte ich diese Formulierung in meinem erweiterten beruflichen Umfeld nur einer Person zuordnen, dann wäre es Gesche Joost. Wer mit Gesche Zeit verbringt weiß: Pessimismus ist Zeitverschwendung und setzt negative kollektive Spiraldynamiken in Gang. Warum? Weil Pessimismus ansteckend ist. Optimismus, der echte und nicht der geheuchelte, ist vielleicht noch ansteckender.
Liebe Gesche, stecke bitte weiter viele Menschen mit deinem Gestaltungswillen an, der sich aus einer ‚konstruktiven Kraft der konkreten Utopie’ speist.
Jede erfolgreiche soziale Bewegung der Geschichte weiß: Optimismus kann zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Weil echte Optimisten an ein Ziel, an eine positive Veränderung, an die Gestaltbarkeit von Prozessen und Systemen glauben, gestalten sie Prozesse und Systeme um, bewirken positive Veränderung und erreichen ihr Ziel.
Wir brauchen in der Wissenschaft, Unternehmen und Zivilgesellschaft mehr Menschen, die wirklich optimistisch sind. Liebe Gesche, stecke bitte weiter viele Menschen mit deinem Gestaltungswillen an, der sich aus einer „konstruktiven Kraft der konkreten Utopie” speist. Auf den vielen Feldern und in den vielen Rollen, in denen du wirkst.
Den Helden der Verhinderungslogik, den Pessimistinnen, mit denen du, wie ich weiß auch oft zu tun hast, die seien gewarnt. Den Riss im Raum-Zeit-Kontinuum wird auch Gesche nicht finden. Sie hat nicht mehr Zeit als wir. Aber für alle Kämpfe gegen die Beharrungskräfte der Nicht-Gestaltung hat Gesche Joost mehr positive Energie, als sich die Verhinderer überhaupt vorstellen können.
Liebe Gesche, herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis.
Thomas Ramge nutzt wechselnd generische Genderformen,
was sich von der Gender-Schreibweise des DDC mit * unterscheidet