Universität von Straßburg, Entwurf für die innere Straße in Straßburg von Ruedi Baur und Lipsky+Rollet Architekten, Denis Couegnoux, Olivier Duzelier. Bild © Ruedi Baur

DDC Ehrenmitglieder 2023

Der DDC ernennt Vera und Ruedi Baur zu den neuen Ehren­mit­gliedern des Clubs. Soziologin und Kommunikationsdesignerin Dani­elle Rosales würdigt in einer sehr per­sön­lichen Lau­datio das Schaffen des Gestalter­*innen-Paars.

Veröffentlicht am 28.09.2023

Es ist mir eine große Ehre, heute über Vera und Ruedi Baur sprechen zu dürfen. Tatsäch­lich könnte ich eine ganze Stunde damit füllen, darüber zu sprechen, was ich alles bei den beiden ge­lernt habe. Alleine die heutige Kon­stellation, in der wir drei digital beim DDC-Event in Frank­furt dazu ge­schaltet sind — Ruedi in Porto, Vera in Paris, ich in einem Hotel in Köln und Robin, der heute auch gern dabei gewesen wäre, aber gerade in einem Flug­zeug aus Peru sitzt — ver­rät schon viel über eure und mittler­weile auch unsere Art zu­sam­men zu arbeiten: Grenzen­los, aber immer mit­einander ver­netzt und immer ein biss­chen impro­visiert.

Vera und Ruedi Baur, Bild © Christoph Kuenne

Ich möchte dem DDC für seine Zusammen­arbeit mit Vera und Ruedi Baur für das nächste Jahr, für die Kom­muni­kation und den ein oder anderen Streit — den es sicher­lich geben wird — drei Punkte mit auf den Weg geben. Und hier wäre auch schon mein erster Punkt: eine Kultur des Streitens. Wie mindes­tens eine Generation von Gestalter­*innen habe ich nirgend­wo sonst wie bei Ruedi und Vera — und ich betone das: nirgend­wo sonst — so gelernt zu streiten.

„Nirgendwo sonst wie bei Ruedi und Vera habe ich so gelernt zu streiten.“

Das ist eine Art des Zusam­men­arbeitens, die uns viel über ihre Haltung verrät, die auch viel darüber aus­sagt, mit welchem Mut man in die Pro­jekte, in die Themen rein­gehen muss, mit denen man sich als Ge­stalter­*in und visu­elle*r Expert*in be­schäftigt. Die beiden kulti­vieren eine gewisse Art von Kom­pro­miss­losig­keit, die ganz wichtig ist. Eine Kom­pro­miss­losigkeit, die trotz­dem nach einem Kon­sens sucht, aber eben niemals nach einem Kompro­miss, bei dem etwas ver­loren gehen würde. Be­stimmte essen­zielle Punkte lassen sich nicht hinter­gehen und die beiden halten in dieser Kom­pro­miss­losig­keit an diesen Punkten fest. Hier­bei geht es immer um vier Fragen, die ich wie aus einem Gebets­buch schon aus­wendig kann und die auch immer noch die Grund­lage meiner Arbeit sind: Worum geht es? Für wen machen wir das? Was machen wir? Und wie machen wir das?

Der Mut zum Streiten beinhaltet auch den Mut zum Scheitern. Das ist mein zweiter Punkt. Eines der vielen Projekte, an denen ich arbeiten durfte, war das Projekt in Wolfs­burg. Ruedi und Vera werden viel­leicht schmun­zeln, aber als junge Studen­tin habe ich dort gelernt, dass Scheitern manch­mal not­wendig ist. Andern­falls würden zu viele Kom­pro­misse ge­macht werden, die dazu führen würden, dass die Gestalt­ung und der Inhalt nicht mehr im Ein­klang stehen und nicht mehr mit­ein­ander kommuni­zieren. Dies kann wirk­lich problema­tisch und schwierig werden.

„Der Mut zum Streiten bein­haltet auch den Mut zum Scheitern.“

Es ist auch von großer Bedeut­ung, dass wir, die Genera­tion der Ge­stalter­*innen, die bei Vera und Ruedi ge­lernt haben, eine bestimmte Haltung zu den Dingen ein­nehmen. Diese Halt­ung bezieht sich nicht nur auf die Ge­stalt­ung selbst, also die Visuali­sier­ung, sondern auch darauf, wie wir in ein Pro­jekt ein­treten. Welche Haltung nehmen wir zu den In­halten ein, mit denen wir als Ge­stalter­*innen oft sehr unter­schied­lich kon­frontiert werden? Welche Haltung sollte ich gegen­über den anderen Beteilig­ten ein­nehmen? Inwie­fern sollte ich auf­merk­sam zu­hören? In welchem Maße ist es not­wendig, aktiv einzu­greifen? Wie kann ich mein eigenes Wissen und meine indi­vidu­elle Perspek­tive in den Pro­zess ein­brin­gen? Dies sind Fragen, die sich immer wieder stellen. Zusätz­lich dazu stellt sich die Frage: Was genau mache ich? Wie gehe ich dabei vor? Für wen gestalte ich und für wen nicht? Und welche Methoden wende ich an?

„Gestaltung fungiert als ein Werk­zeug zur Initi­ier­ung von Trans­forma­tions­pro­zessen, zur Auf­lösung etablier­ter Denk­struk­turen, zur Formu­lier­ung neuer Fragen und zur Schaffung von Mög­lich­keiten für neue Dis­kurse.“

Dieser Aspekt mag zwar nur ein kleiner Unter­punkt sein, dennoch ist er von gleich­wertiger Bedeut­ung. Zu diesem Thema könnten wir noch eine viel aus­führ­lichere Diskus­sion führen, aber ich werde mich be­mühen, es kurz zu halten. Gestalt­ung ist nicht bloß ein Mittel zur Visuali­sierung oder Über­setzung von Ideen auf eine be­stimmte Art und Weise. Sie fungiert viel­mehr als ein Werk­zeug zur Initi­ierung von Trans­formations­pro­zessen, zur Auf­lösung etab­lierter Denk­struk­turen, zur Formulier­ung neuer Fragen und zur Schaffung von Mög­lich­keiten für neue Diskurse.

Plakat der 3. Nacht der sozialen Rechte, im Rahmen des Projektes „Civic City“. Bild © Vera und Ruedi Baur

Dies bedeutet, dass Gestaltung, die Haltung und die Art der Zusam­men­arbeit, ein­schließ­lich des Aus­tragens von Meinungs­ver­schieden­heiten, stets politischer Natur sind. Es gibt zahl­reiche Diskus­sionen darüber, wie politisch Gestalt­ung sein kann. In diesem Zusam­men­hang möchte ich eine wichtige Erkennt­nis teilen: Gestalt­ung ist immer politisch, ganz gleich, mit welcher Ein­stell­ung oder Inten­tion man an ein Pro­jekt heran­geht. Sobald ich als Gestalt­erin oder visu­elle Expertin ent­scheide, mich nicht tief­greifend und grund­legend mit den Inhalten aus­ein­ander­zu­setzen, nehme ich eine Halt­ung zu diesen In­halten ein und treffe eine politische Entscheidung.

Laudatorin Danielle Rosales. Bild © Thomas Kuhn

Es ist entscheidend zu erkennen, dass selbst die Ent­scheidung, sich bloß ober­fläch­lich mit Inhalten aus­ein­ander­zu­setzen, eine politische Dimen­sion hat. Die Wahl, nicht aktiv an der Ver­tiefung des Ver­ständ­nisses für die Themen zu arbeiten, be­ein­flusst die Art und Weise, wie Informa­tionen wahr­genom­men und letzt­end­lich inter­pre­tiert werden. Daher ist Gestalt­ung nicht nur eine ästhetische Praxis, sondern auch ein Mittel, um die Wahr­nehm­ung und das Ver­ständ­nis von Inhalten zu steuern, was zweifel­los politische Impli­kationen mit sich bringt. Es ist eine Reflex­ion darüber, wie wir als Ge­stalter­*innen und visu­elle Expert­*innen unsere Verant­wortung wahr­nehmen, unsere Halt­ungen formen und welche politischen Ent­scheidun­gen wir in unserem Schaffen treffen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt und hiermit der dritte und letzte Punkt, den ich an­sprechen möchte, ist die Frage nach der Repräsen­tation. Hierfür möchte ich über ein Projekt sprechen, oder eher über eine ganze Projekt­reihe, die im Wesent­lichen mit den Iso­types von Ruedi und Vera begann. Diese Iso­types haben sich im Laufe der Zeit zu so etwas wie den ständigen Begleiter­*innen der beiden ent­wickelt. Sie wurden in zahl­reichen ver­schiedenen Projekte einge­bracht und ich habe tat­sächlich in diesem Projekt am besten gelernt, wie wichtig es ist, sich stets mit der Frage der Repräsen­tation aus­ein­ander­zu­setzen. Denn selbst schon eine Figur war mitunter in der Lage, Diskus­sionen, neue Fragen oder Denk­anstöße anzu­regen. Es zeigt sich in diesen Figuren: Re­präsen­tation ist Macht.

„Für wen ge­stalten wir die Dar­stell­ung, und wer kann sich in diesen Dar­stell­ungen wieder­finden oder sich mit ihnen identifi­zieren?“

Es ist von essen­zieller Bedeut­ung zu hinter­fragen, wen wir repräsen­tieren, was wir sicht­bar machen möchten und wie wir dies erreichen. Für wen gestalten wir die Dar­stell­ung, und wer kann sich in diesen Dar­stell­ungen wieder­finden oder sich mit ihnen identifi­zieren? Diese Über­legungen sind von großer Wichtig­keit, da sie das Poten­zial haben, die Wahr­nehmung und Identifi­kation der Betrachter­*innen zu beeinflussen.

Isotypen von Ruedi und Vera Baur aus dem Buch „Attac und Civic City“, erschienen bei Lars Müller Publishers, 2017. Bild © Ruedi und Vera Baur

Ich hoffe, ihr seid bereits mit den Iso­typen ver­traut. Falls ihr sie noch nicht kennt, empfehle ich, eine kurze Recher­che über sie durch­zu­führen, oder ihr werdet wahr­schein­lich im kom­men­den Jahr gemein­sam mit Ruedi und Vera die Gelegen­heit haben, das ein oder andere Bei­spiel davon kennen­zu­lernen. Die Iso­typen sind defini­tiv ein heraus­ragen­des Bei­spiel dafür, wie ent­scheidend und bedeut­sam der Dialog in der Ge­staltung ist.

EUROPAN-Geschichte von 1 bis 10, von Ruedi et Vera Baur, Maxime Leleux, Bild © Ruedi und Vera Baur

Auf diesem Weg möchte ich die Gelegen­heit nutzen, mich von Herzen bei euch beiden, Ruedi und Vera, zu be­danken. Ihr wart und seid nach wie vor eine bedeut­ende Unter­stütz­ung und ein stetiger Anker der Re­flek­tion. Es gibt oft Momente, bei denen ich mich erinnere, wie ihr an Dinge heran­ge­gangen seid und die uns dabei helfen, sie heute umsetzen zu können. Die Zeit in Paris hat einen wichtigen Grund­stein gelegt für unsere eigene Praxis bei visual intelli­gence und meine persön­liche Haltung zum Leben.

Mehr über Vera und Ruedi Baur
www.integral-designers.eu

Danielle Rosales

ist Konzepterin, Kreativ­direk­torin und Projekt­leitern des 2020 ge­grün­deten trans­diszi­pli­nären Design­studios visual intelli­gence, das sie gemein­sam mit ihrem Partner Robin Coenen führt. Die Arbeiten der deutsch-afro­kuban­ischen Sozio­login und Grafik­design­erin konzen­trieren sich auf ange­wandte visu­elle Sys­teme, Aus­stellungs­design, Informations­design und Data­visulisier­ung für und in sozialen Räumen (physischer und digitaler Natur). Seit 2017 arbeitet sie mit Adeola Naomi Aderimi ehren­amtlich als Design­erin und Mit­begrün­derin bei distinguished diva ― eine Platt­form für Schwarze Frauen der afrikan­ischen Dia­spora. 2021 lehrte sie als Dozentin für Infor­mations­design an der FH Biele­feld. Seit 2022 berät sie zu rassismus­kritischen und diversi­täts­sensiblen Visualisierungs­strategien bei ver­schiedenen Projekt­vorhaben.

www.visual-intelligence.org