DDC Ehrenmitglieder 2023
Der DDC ernennt Vera und Ruedi Baur zu den neuen Ehrenmitgliedern des Clubs. Soziologin und Kommunikationsdesignerin Danielle Rosales würdigt in einer sehr persönlichen Laudatio das Schaffen des Gestalter*innen-Paars.
Es ist mir eine große Ehre, heute über Vera und Ruedi Baur sprechen zu dürfen. Tatsächlich könnte ich eine ganze Stunde damit füllen, darüber zu sprechen, was ich alles bei den beiden gelernt habe. Alleine die heutige Konstellation, in der wir drei digital beim DDC-Event in Frankfurt dazu geschaltet sind — Ruedi in Porto, Vera in Paris, ich in einem Hotel in Köln und Robin, der heute auch gern dabei gewesen wäre, aber gerade in einem Flugzeug aus Peru sitzt — verrät schon viel über eure und mittlerweile auch unsere Art zusammen zu arbeiten: Grenzenlos, aber immer miteinander vernetzt und immer ein bisschen improvisiert.
Ich möchte dem DDC für seine Zusammenarbeit mit Vera und Ruedi Baur für das nächste Jahr, für die Kommunikation und den ein oder anderen Streit — den es sicherlich geben wird — drei Punkte mit auf den Weg geben. Und hier wäre auch schon mein erster Punkt: eine Kultur des Streitens. Wie mindestens eine Generation von Gestalter*innen habe ich nirgendwo sonst wie bei Ruedi und Vera — und ich betone das: nirgendwo sonst — so gelernt zu streiten.
„Nirgendwo sonst wie bei Ruedi und Vera habe ich so gelernt zu streiten.“
Das ist eine Art des Zusammenarbeitens, die uns viel über ihre Haltung verrät, die auch viel darüber aussagt, mit welchem Mut man in die Projekte, in die Themen reingehen muss, mit denen man sich als Gestalter*in und visuelle*r Expert*in beschäftigt. Die beiden kultivieren eine gewisse Art von Kompromisslosigkeit, die ganz wichtig ist. Eine Kompromisslosigkeit, die trotzdem nach einem Konsens sucht, aber eben niemals nach einem Kompromiss, bei dem etwas verloren gehen würde. Bestimmte essenzielle Punkte lassen sich nicht hintergehen und die beiden halten in dieser Kompromisslosigkeit an diesen Punkten fest. Hierbei geht es immer um vier Fragen, die ich wie aus einem Gebetsbuch schon auswendig kann und die auch immer noch die Grundlage meiner Arbeit sind: Worum geht es? Für wen machen wir das? Was machen wir? Und wie machen wir das?
Der Mut zum Streiten beinhaltet auch den Mut zum Scheitern. Das ist mein zweiter Punkt. Eines der vielen Projekte, an denen ich arbeiten durfte, war das Projekt in Wolfsburg. Ruedi und Vera werden vielleicht schmunzeln, aber als junge Studentin habe ich dort gelernt, dass Scheitern manchmal notwendig ist. Andernfalls würden zu viele Kompromisse gemacht werden, die dazu führen würden, dass die Gestaltung und der Inhalt nicht mehr im Einklang stehen und nicht mehr miteinander kommunizieren. Dies kann wirklich problematisch und schwierig werden.
„Der Mut zum Streiten beinhaltet auch den Mut zum Scheitern.“
Es ist auch von großer Bedeutung, dass wir, die Generation der Gestalter*innen, die bei Vera und Ruedi gelernt haben, eine bestimmte Haltung zu den Dingen einnehmen. Diese Haltung bezieht sich nicht nur auf die Gestaltung selbst, also die Visualisierung, sondern auch darauf, wie wir in ein Projekt eintreten. Welche Haltung nehmen wir zu den Inhalten ein, mit denen wir als Gestalter*innen oft sehr unterschiedlich konfrontiert werden? Welche Haltung sollte ich gegenüber den anderen Beteiligten einnehmen? Inwiefern sollte ich aufmerksam zuhören? In welchem Maße ist es notwendig, aktiv einzugreifen? Wie kann ich mein eigenes Wissen und meine individuelle Perspektive in den Prozess einbringen? Dies sind Fragen, die sich immer wieder stellen. Zusätzlich dazu stellt sich die Frage: Was genau mache ich? Wie gehe ich dabei vor? Für wen gestalte ich und für wen nicht? Und welche Methoden wende ich an?
„Gestaltung fungiert als ein Werkzeug zur Initiierung von Transformationsprozessen, zur Auflösung etablierter Denkstrukturen, zur Formulierung neuer Fragen und zur Schaffung von Möglichkeiten für neue Diskurse.“
Dieser Aspekt mag zwar nur ein kleiner Unterpunkt sein, dennoch ist er von gleichwertiger Bedeutung. Zu diesem Thema könnten wir noch eine viel ausführlichere Diskussion führen, aber ich werde mich bemühen, es kurz zu halten. Gestaltung ist nicht bloß ein Mittel zur Visualisierung oder Übersetzung von Ideen auf eine bestimmte Art und Weise. Sie fungiert vielmehr als ein Werkzeug zur Initiierung von Transformationsprozessen, zur Auflösung etablierter Denkstrukturen, zur Formulierung neuer Fragen und zur Schaffung von Möglichkeiten für neue Diskurse.
Dies bedeutet, dass Gestaltung, die Haltung und die Art der Zusammenarbeit, einschließlich des Austragens von Meinungsverschiedenheiten, stets politischer Natur sind. Es gibt zahlreiche Diskussionen darüber, wie politisch Gestaltung sein kann. In diesem Zusammenhang möchte ich eine wichtige Erkenntnis teilen: Gestaltung ist immer politisch, ganz gleich, mit welcher Einstellung oder Intention man an ein Projekt herangeht. Sobald ich als Gestalterin oder visuelle Expertin entscheide, mich nicht tiefgreifend und grundlegend mit den Inhalten auseinanderzusetzen, nehme ich eine Haltung zu diesen Inhalten ein und treffe eine politische Entscheidung.
Es ist entscheidend zu erkennen, dass selbst die Entscheidung, sich bloß oberflächlich mit Inhalten auseinanderzusetzen, eine politische Dimension hat. Die Wahl, nicht aktiv an der Vertiefung des Verständnisses für die Themen zu arbeiten, beeinflusst die Art und Weise, wie Informationen wahrgenommen und letztendlich interpretiert werden. Daher ist Gestaltung nicht nur eine ästhetische Praxis, sondern auch ein Mittel, um die Wahrnehmung und das Verständnis von Inhalten zu steuern, was zweifellos politische Implikationen mit sich bringt. Es ist eine Reflexion darüber, wie wir als Gestalter*innen und visuelle Expert*innen unsere Verantwortung wahrnehmen, unsere Haltungen formen und welche politischen Entscheidungen wir in unserem Schaffen treffen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt und hiermit der dritte und letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Frage nach der Repräsentation. Hierfür möchte ich über ein Projekt sprechen, oder eher über eine ganze Projektreihe, die im Wesentlichen mit den Isotypes von Ruedi und Vera begann. Diese Isotypes haben sich im Laufe der Zeit zu so etwas wie den ständigen Begleiter*innen der beiden entwickelt. Sie wurden in zahlreichen verschiedenen Projekte eingebracht und ich habe tatsächlich in diesem Projekt am besten gelernt, wie wichtig es ist, sich stets mit der Frage der Repräsentation auseinanderzusetzen. Denn selbst schon eine Figur war mitunter in der Lage, Diskussionen, neue Fragen oder Denkanstöße anzuregen. Es zeigt sich in diesen Figuren: Repräsentation ist Macht.
„Für wen gestalten wir die Darstellung, und wer kann sich in diesen Darstellungen wiederfinden oder sich mit ihnen identifizieren?“
Es ist von essenzieller Bedeutung zu hinterfragen, wen wir repräsentieren, was wir sichtbar machen möchten und wie wir dies erreichen. Für wen gestalten wir die Darstellung, und wer kann sich in diesen Darstellungen wiederfinden oder sich mit ihnen identifizieren? Diese Überlegungen sind von großer Wichtigkeit, da sie das Potenzial haben, die Wahrnehmung und Identifikation der Betrachter*innen zu beeinflussen.
Ich hoffe, ihr seid bereits mit den Isotypen vertraut. Falls ihr sie noch nicht kennt, empfehle ich, eine kurze Recherche über sie durchzuführen, oder ihr werdet wahrscheinlich im kommenden Jahr gemeinsam mit Ruedi und Vera die Gelegenheit haben, das ein oder andere Beispiel davon kennenzulernen. Die Isotypen sind definitiv ein herausragendes Beispiel dafür, wie entscheidend und bedeutsam der Dialog in der Gestaltung ist.
Auf diesem Weg möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich von Herzen bei euch beiden, Ruedi und Vera, zu bedanken. Ihr wart und seid nach wie vor eine bedeutende Unterstützung und ein stetiger Anker der Reflektion. Es gibt oft Momente, bei denen ich mich erinnere, wie ihr an Dinge herangegangen seid und die uns dabei helfen, sie heute umsetzen zu können. Die Zeit in Paris hat einen wichtigen Grundstein gelegt für unsere eigene Praxis bei visual intelligence und meine persönliche Haltung zum Leben.
Mehr über Vera und Ruedi Baur
www.integral-designers.eu