GUTE GESTALTUNG 2019
Der DDC vergibt jedes Jahr den GRAND PRIX an Unternehmen, die mit Mitteln und Methoden von Gestaltung und Design in ihrem jeweiligen Kontext eine Vorbildfunktion für ihre Branche einnehmen. Kriterien wie Ethik, Nachhaltigkeit und Vernetzung spielen hierbei eine wesentliche Rolle. Der DDC freut sich daher sehr, das hessische Familienunternehmen Viessmann für das langjährige Engagement in den Bereichen der Energiewende und der Digitalisierung mit dem GRAND PRIX 2019 auszuzeichnen.
Für die Existenz unserer Werkzeuge gibt es oftmals einen einfachen Grund. Eine ganz konkrete Funktion, um ein grundlegendes Bedürfnis zu befriedigen. Feuer und Wärme waren und sind für unser Leben und Überleben entscheidend. Heute sind sie im Alltag völlig selbstverständlich: Wir sind es gewohnt, überall alles auf Knopfdruck sofort verfügbar zu haben – so natürlich das immaterielle Produkt Energie, sei es in Form von Wärme oder von Elektrizität. Darüber vergessen wir manchmal, wie wir sie eigentlich gewinnen, diese Energie. Nehmen wir eine klassische Form der aktuellen Energiegewinnung, um nur ein Beispiel zu nennen: Bei einem Müllheizkraftwerk werden aus Abfall Strom und Wärme erzeugt. Wir alle sind bemüht, dass wir auf solche Konstrukte in Zukunft weniger angewiesen sind, damit wir schädliche Emissionen vermeiden und Ressourcen schonen können. Also sind wir dringend auf der Suche nach neuen intelligenten Lösungen, die den Klimawandel verlangsamen oder sogar stoppen könnten. Doch noch immer handeln wir diesbezüglich mit angezogener Handbremse: Relevante Entscheidungen werden vertagt oder sogar zurückgenommen, im Glauben, dass man so den Weg des geringsten Widerstands fortsetzen kann. Viel gefährlicher ist jedoch, dass sich ein Gefühl der Resignation in den Köpfen der Menschen breitmacht: „Wir schaffen das eh nicht.“ Hinzu kommt die Bevölkerungsprognose: Aktuell leben 7,7 Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Das Wachstum soll sich bis zum Ende unseres Jahrhunderts zwar abschwächen, und doch soll sich die Bevölkerungszahl bei circa 11 Milliarden einpendeln. An der Börse würde man sich freuen: immerhin ein Plus von über 40 Prozent.
Und jetzt kann man fragen, was das alles mit Gestaltung zu tun hat? Ich frage zurück: Wie sollen wir mit einer solchen Anzahl von Menschen ressourcenschonend leben, wenn wir es schon jetzt nicht tun? Wie wollen wir unsere Lebensgrundlagen eigentlich zukünftig gestalten? Und welche Aufgaben – oder vielmehr Chancen – ergeben sich daraus für die kommenden Generationen an Forschern, Entwicklern und natürlich auch Gestaltern? Über die Frage „Design oder Gestaltung?“ wurde schon viel gestritten, doch beide stellen sie uns – den Menschen und seine Umwelt – in den Fokus. Also sollte es bei der Weiterentwicklung vieler unserer Lebensbereiche längst nicht mehr allein um das gute „In Form Bringen“ gehen, sondern vielmehr um die Entwicklung neuer systemischer Gesamtansätze mit dem Ziel, neue Antworten zu finden. Und was ist wesentlicher, als den Umgang mit den Elementen Wasser, Erde, Luft und Feuer verantwortungsvoll zu gestalten? Denn neben vorhandener Energie sind es die Fragen „Kalt oder warm?“, „Feucht oder trocken?“, die lange vor einer Planung oder einer Formgebung entscheiden, ob ein Raum für uns Menschen überhaupt belebbar sein kann.
Viessmann hat hier im Laufe der Unternehmensgeschichte starke Zeichen gesetzt. Wir würdigen mit der Verleihung des GRAND PRIX 2019 nicht nur das Produkt- und Kommunikationsdesign, sondern auch eine Herangehensweise – ja vielleicht sogar eine Methodik –, mit der Innovationen innerhalb des Unternehmens vorangetrieben werden. Schaut man in die 102-jährige Geschichte von Viessmann, fällt einem natürlich die Zusammenarbeit mit Anton Stankowski und später Karl Duschek auf. Wer kennt nicht die charakteristische Wortmarke in der hauseigenen Sonderfarbe Vitorange? Neben diesem Zeichen wurde ein breites Erscheinungsbild auf Basis der bekannten funktionalen Grafiksprache von Viessmann etabliert.
Ebenso stellte Viessmann genau zum 50-jährigen Jubiläum eine Heizkesselserie vor, die Hans Viessmann zusammen mit dem Gestalter Hans Gugelot entwickelt hatte. Viessmann war am Puls der Zeit. Die HfG Ulm und ihre Protagonisten setzten Standards in der sich wieder etablierenden Designkultur in Deutschland. Während der nächsten 50 Jahre entwickelte sich das Unternehmen rasant weiter. Neue Produkte kamen hinzu, neue Geschäftsfelder wurden erschlossen. Die Relevanz der Visuellen Kommunikation und der Anspruch an sie, an eine angemessene Produktgestaltung, blieben gesetzt. Viessmann führte die Zusammenarbeit mit guten Gestaltern in diesen Bereichen fort. Und wir können uns sehr glücklich schätzen, dass auch einige DDC Mitglieder darunter sind. Seit einigen Jahren findet ein Generationswechsel in dem Unternehmen statt. Sicherlich eine Herausforderung.
Doch Viessmann bekennt sich zu seinen Werten: In einer klar definierten Ausrichtung verwenden sie selbst den Begriff der Gestaltung. Viessmann mag keine Dekoration. Das Unternehmen nutzt Mathematik und Geometrie für seine Gestaltung. Das erklärte Ziel ist, komplexe Produkte einfach zu machen – damit werden Ressourcen geschont. Im Zentrum der Entwicklung stehen der Benutzer und seine Bedürfnisse. Also wir alle. Macht sich ein Unternehmen auf den Weg vom Hersteller von Heiztechnikprodukten zu einem integrierten Lösungsanbieter im Rahmen der Digitalisierung, sind neben den technischen Innovationen auch neue Aspekte wie Design Thinking, User Experience Design und Service Design relevanter. Solchen Buzzwords gegenüber nehmen wir Gestalter oftmals eine kritische Haltung ein. Denn sie sind für uns selbstverständliche Teilaspekte einer gesamten Gestaltungsentwicklung. Jedoch ermöglicht die formalisierte Beschreibung dieser Prozesse eine rhetorische Verständigung im Rahmen einer interdisziplinären Zusammenarbeit, da Methoden der Gestaltung für andere Fachkompetenzen so erschließbar werden.
Auf einer solchen Basis können dann auch integrierte Lösungsangebote entwickelt werden. Das Fundament des Angebots sind die Produktsysteme von Viessmann. In der zweiten Stufe werden diese miteinander verbunden und bleiben somit upgradefähig. Die digitalen Services schließen sich daran an. Und im vierten Schritt bietet Viessmann zusätzliche Dienstleistungen an. Hierbei nimmt Viessmann seine Fachpartner mit und eröffnet den Kunden neue Möglichkeiten – sei es Heizungen zu mieten, statt zu kaufen, oder sich als privater Stromproduzent und -konsument zu einem smarten Netzwerk mit anderen zusammenzuschließen, damit gemeinsam erzeugte nachhaltige Energie auch zu 100 Prozent gemeinsam genutzt werden kann. Die Lösungen decken aber neben Wohngebäuden auch das Gewerbe, die Industrie und Kommunen ab. Wenn es also bei der Bewertung nicht mehr allein um einzelne Produkte geht, sondern um vernetzte Lösungen, wie können Ergebnisse hier aussehen? Während überall noch viel darüber diskutiert wird, hat Viessmann die für 2050 avisierte Klimaneutralität schon vor sechs Jahren am eigenen Unternehmensstandort in Allendorf (Eder) erreicht. Die Energieeffizienz wurde erhöht und der Anteil erneuerbarer Energien um 60 Prozent ausgebaut. Verbunden damit war eine Senkung der CO₂-Emissionen um 80 Prozent. Und das mit am Markt erhältlicher Technik.
Ein weiteres Beispiel ist das hessische Dorf Wettesingen. Es ist eins der größten Bioenergiedörfer in Deutschland. Ein solches Dorf muss seinen Strom vollkommen selbst erzeugen, und mindestens die Hälfte der Anschlüsse muss mit Wärmeenergie aus Biomasse versorgt werden. Die Realisierung dauerte drei Jahre. Jährliches Ergebnis sind Einsparungen von 600.000 Liter Heizöl und die Vermeidung von 1300 Tonnen CO₂. Auch das wurde mit heute schon erhältlicher Technik von Viessmann realisiert. Und der Blick in die Zukunft? Hoffnungsvoll! Neben dem weiteren Ausbau der Digitalisierung beschäftigt sich Viessmann mit Photovoltaik und Brennstoffzellen. Sie haben erkannt, dass Kühlung und Luftreinhaltung einen relevanten Beitrag zur Sicherung unserer Lebensräume leisten werden. Wie unser Ehrenmitglied Dieter Rams feststellt, wird der Begriff Design inflationär und zum Teil falsch gebraucht. Er selbst schlägt das deutsche Wort Gestaltung im Sinne von Beobachten, Denken und Verstehen vor. Was wir mit unserem Wettbewerb natürlich gerne aufgreifen und auch auszeichnen: Gutes Beobachten, Gutes Denken, Gutes Verstehen. Aufgaben und Parameter verschieben sich, was zählt, ist eine konstante Haltung. Wir denken, dass Viessmann dies schon seit vielen Jahren in einer souveränen und unaufgeregten Art und Weise verfolgt und zeigt, dass dieser Wandel auch eine Chance sein kann.
Funktion, Systematik und Ästhetik – die Zusammenarbeit mit Stankowski und Duschek
Hans Viessmann ging 1965 auf den Grafikpionier und Konstruktivisten Anton Stankowski zu. Dieser entwickelte den weltweit bekannten Namenszug mit dem übereinandergestellten Doppel-S. „Konzentration durch Weglassen“, so lautete seine Leitlinie. Stankowski propagierte zusätzlich, dass sich mit „Vereinfachen, Versachlichen, Vermenschlichen“ eine effektive Linie in der lnvestitionsgüterwerbung finden lässt. „Eine geniale Idee, die auf der ganzen Welt zu einer einprägsamen Visitenkarte der Marke geworden ist“, wie Viessmann zum 100-Jahre-Jubiläum im Jahr 2017 rückblickend schreibt. Stankowski wurde weiter engagiert, und so entstand 1970 mit „Viessmann Visuell“ eine der ersten Richtlinienbroschüren, die sich nicht nur auf die Wortmarke bezog, sondern auch auf gestalterische Elemente wie Hausschrift, Hausfarbe, Geschäftsunterlagen oder Werbemittel. Damit leistete Stankowski Pionierarbeit in Sachen Corporate Design und schuf eine nachhaltige Markenidentität. Seine Zeichnungen übersetzten die komplizierten Funktionsweisen technischer Geräte in einfache visuelle Formen.
Den eingeschlagenen Weg setzte später sein Nachfolger Karl Duschek für Visualisierungen von Heizsystemen in Faltblättern und Broschüren konsequent fort. Erst in den 1990er Jahren änderte sich das Gesicht der Broschüren mit dem Einzug der Fotografie, die nun mit den schematischen Zeichnungen kombiniert wurden. Die Zeit war reif für ein behutsames Re-Design der Wortmarke, die gestreckt wurde. So wirke sie dynamischer, wie Karl Duschek in einem Aufsatz beschreibt. 1 Seit 2009 werden alle Produktbroschüren mit Fotos auf den Titelseiten illustriert. Darüber hinaus ist Kunst wichtiges Element der Unternehmenskultur bei Viessmann.