GUTE GESTALTUNG 2019

Der DDC ver­gibt jedes Jahr den GRAND PRIX an Unter­nehmen, die mit Mitteln und Methoden von Gestaltung und Design in ihrem jeweiligen Kon­text eine Vor­bild­funktion für ihre Branche ein­nehmen. Kriterien wie Ethik, Nach­haltig­keit und Ver­netz­ung spielen hierbei eine wesent­liche Rolle. Der DDC freut sich daher sehr, das hessische Familien­unter­nehmen Viess­mann für das lang­jährige Engage­ment in den Bereichen der Energie­wende und der Digitali­sierung mit dem GRAND PRIX 2019 auszuzeichnen.

Veröffentlicht am 15.03.2022

Für die Existenz unserer Werk­zeuge gibt es oftmals einen ein­fachen Grund. Eine ganz kon­krete Funk­tion, um ein grund­legendes Bedürf­nis zu befrie­digen. Feuer und Wärme waren und sind für unser Leben und Über­leben ent­schei­dend. Heute sind sie im All­tag völlig selbst­ver­ständ­lich: Wir sind es ge­wohnt, über­all alles auf Knopf­druck sofort verfüg­bar zu haben – so natür­lich das immateri­elle Produkt Ener­gie, sei es in Form von Wärme oder von Elek­tri­zität. Darüber ver­gessen wir manch­mal, wie wir sie eigent­lich gewin­nen, diese Energie. Nehmen wir eine klass­ische Form der aktuellen Energie­gewin­nung, um nur ein Beispiel zu nennen: Bei einem Müll­heiz­kraft­werk werden aus Abfall Strom und Wärme erzeugt. Wir alle sind bemüht, dass wir auf solche Kon­strukte in Zu­kunft weniger ange­wiesen sind, damit wir schäd­liche Emis­sionen ver­meiden und Ressour­cen schonen können. Also sind wir dringend auf der Suche nach neuen intelli­genten Lösungen, die den Klima­wandel verlang­samen oder sogar stoppen könnten. Doch noch immer handeln wir dies­be­züg­lich mit ange­zogener Hand­bremse: Relevante Ent­schei­dungen werden ver­tagt oder sogar zurück­genom­men, im Glauben, dass man so den Weg des gering­sten Wider­stands fort­setzen kann. Viel gefähr­licher ist jedoch, dass sich ein Gefühl der Resig­nation in den Köpfen der Men­schen breit­macht: „Wir schaffen das eh nicht.“ Hinzu kommt die Bevölkerungs­prog­nose: Aktuell leben 7,7 Milli­arden Men­schen auf unserem Planeten. Das Wachs­tum soll sich bis zum Ende unseres Jahr­hunderts zwar ab­schwächen, und doch soll sich die Be­völkerungs­zahl bei circa 11 Milli­arden ein­pendeln. An der Börse würde man sich freuen: immer­hin ein Plus von über 40 Prozent.

Viessmann feierte 2017 sein 100-jähriges Firmenjubiläum – mit allen Mitarbeitern, Junior-Chef Max Viessmann (Dritter von links, erste Reihe) und dem Senior-Chef Martin Viessmann (Fünfter von rechts, erste Reihe). Das Visual stammt von fischerAppelt. Bild © Viessmann

Und jetzt kann man fragen, was das alles mit Gestal­tung zu tun hat? Ich frage zurück: Wie sollen wir mit einer solchen An­zahl von Men­schen ressourcen­schonend leben, wenn wir es schon jetzt nicht tun? Wie wollen wir unsere Lebens­grund­lagen eigent­lich zukün­ftig gestal­ten? Und welche Auf­gaben – oder viel­mehr Chancen – er­geben sich daraus für die kom­menden Genera­tionen an For­schern, Ent­wicklern und natürlich auch Gestal­tern? Über die Frage „Design oder Gestalt­ung?“ wurde schon viel ge­stritten, doch beide stellen sie uns – den Men­schen und seine Um­welt – in den Fokus. Also sollte es bei der Weiter­ent­wick­lung vieler unserer Lebens­be­reiche längst nicht mehr allein um das gute „In Form Bringen“ gehen, sondern viel­mehr um die Ent­wick­lung neuer system­ischer Gesamt­an­sätze mit dem Ziel, neue Ant­worten zu finden. Und was ist wesent­licher, als den Um­gang mit den Elemen­ten Wasser, Erde, Luft und Feuer verant­wortungs­voll zu ge­stalten? Denn neben vor­handener Ener­gie sind es die Fragen „Kalt oder warm?“, „Feucht oder trocken?“, die lange vor einer Plan­ung oder einer Form­gebung ent­scheiden, ob ein Raum für uns Menschen über­haupt beleb­bar sein kann.

Hans Gugelot brachte in den 1960er Jahren mit Vitorange Farbe in den Heizungskeller. Bild © Viessmann

Viessmann hat hier im Laufe der Unter­nehmens­geschichte starke Zeichen ge­setzt. Wir wür­dig­en mit der Ver­leihung des GRAND PRIX 2019 nicht nur das Produkt- und Kommuni­kations­design, sondern auch eine Heran­gehens­weise – ja viel­leicht sogar eine Metho­dik –, mit der Inno­vationen inner­halb des Unter­nehmens voran­ge­trieben werden. Schaut man in die 102-jährige Geschichte von Viess­mann, fällt einem natür­lich die Zusam­men­arbeit mit Anton Stan­kowski und später Karl Duschek auf. Wer kennt nicht die charakter­istische Wort­marke in der haus­eigenen Sonder­farbe Vitorange? Neben diesem Zeichen wurde ein breites Erscheinungs­bild auf Basis der bekan­nten funktio­nalen Grafik­sprache von Viessmann etabliert.

Die neuen Generation der Vitodens Gas-Wandgeräte sind von Viessmann intern gestaltet worden und haben bereits einige Design-Preise gewonnen. Bild © Viessmann

Ebenso stellte Viess­mann genau zum 50-jährigen Jubi­läum eine Heiz­kessel­serie vor­, die Hans Viessmann zusammen mit dem Gestalter Hans Gugelot entwickelt hatte. Viess­mann war am Puls der Zeit. Die HfG Ulm und ihre Protago­nisten setzten Standards in der sich wieder eta­blierenden Design­kultur in Deutsch­land. Während der nächsten 50 Jahre ent­wickelte sich das Unter­nehmen rasant weiter. Neue Produkte kamen hinzu, neue Ge­schäfts­felder wurden er­schlos­sen. Die Rele­vanz der Visuellen Kommuni­kation und der An­spruch an sie, an eine ange­messene Produkt­gestal­tung, blieben gesetzt. Viessmann führte die Zu­sammen­arbeit mit guten Gestal­tern in diesen Bereichen fort. Und wir können uns sehr glück­lich schätzen, dass auch einige DDC Mit­glieder darun­ter sind. Seit einigen Jahren findet ein Generations­wechsel in dem Unter­nehmen statt. Sicher­lich eine Herausforderung.

Die neue Elektronik-Plattform ermöglicht die vernetzte Kommunikation zwischen Heizsystem, Partner und Anlagenbetreiber. Bild © Viessmann

Doch Viessmann bekennt sich zu seinen Werten: In einer klar definierten Aus­richtung ver­wen­den sie selbst den Begriff der Gestal­tung. Viess­mann mag keine Deko­ration. Das Unter­nehmen nutzt Mathe­matik und Geo­metrie für seine Gestal­tung. Das erklärte Ziel ist, komplexe Produkte ein­fach zu machen – damit werden Ressour­cen geschont. Im Zentrum der Ent­wick­lung stehen der Benutzer und seine Bedürf­nisse. Also wir alle. Macht sich ein Unter­nehmen auf den Weg vom Her­steller von Heiz­technik­pro­dukten zu einem integrierten Lösungs­an­bieter im Rahmen der Digitali­sierung, sind neben den technischen Inno­vationen auch neue Aspekte wie Design Thinking, User Experience Design und Service Design relevanter. Solchen Buzz­words gegen­über nehmen wir Gestalter oft­mals eine kritische Halt­ung ein. Denn sie sind für uns selbst­ver­ständ­liche Teil­aspekte einer gesamten Gestaltungs­ent­wicklung. Jedoch ermög­licht die formali­sierte Beschreibung dieser Pro­zesse eine rhetorische Ver­ständi­gung im Rahmen einer inter­diszi­pli­nären Zu­sammen­arbeit, da Methoden der Ge­staltung für andere Fach­kompe­tenzen so erschließbar werden.

Produktrange 2014, gestaltet von Phoenix Design, Bild © Phoenix Design

Auf einer solchen Basis können dann auch inte­grierte Lösungs­ange­bote ent­wickelt werden. Das Funda­ment des Ange­bots sind die Produkt­sys­teme von Viess­mann. In der zweiten Stufe werden diese mit­ein­ander ver­bun­den und bleiben somit up­grade­fähig. Die digitalen Services schließen sich daran an. Und im vierten Schritt bietet Viess­mann zusätz­liche Dienst­leist­ungen an. Hierbei nimmt Viess­mann seine Fach­partner mit und eröffnet den Kunden neue Möglich­keiten – sei es Heizungen zu mieten, statt zu kaufen, oder sich als privater Strom­produ­zent und -konsu­ment zu einem smarten Netz­werk mit anderen zusammen­zu­schließen, damit gemein­sam erzeugte nach­haltige Energie auch zu 100 Prozent gemein­sam genutzt werden kann. Die Lösungen decken aber neben Wohn­ge­bäuden auch das Ge­werbe, die Indus­trie und Kom­munen ab. Wenn es also bei der Be­wert­ung nicht mehr allein um einzelne Pro­dukte geht, sondern um ver­netzte Lösun­gen, wie können Ergeb­nisse hier aus­sehen? Während über­all noch viel darüber disku­tiert wird, hat Viess­mann die für 2050 avisierte Klima­neutrali­tät schon vor sechs Jahren am eigenen Un­ter­­nehmens­stand­ort in Allen­dorf (Eder) erreicht. Die Energie­effi­zienz wurde erhöht und der An­teil erneuer­barer Ener­gien um 60 Prozent aus­ge­baut. Ver­bunden damit war eine Senkung der CO₂-Emis­sionen um 80 Pro­zent. Und das mit am Markt er­hält­licher Technik.

„In die Fußstapfen von Gestaltergrößen wie Stankowski und Duschek zu treten, war eine große Ehre und Herausforderung zugleich“, schreiben Heine Lenz Zizka über ihre Arbeit für Viessmann im Jahr 2013. Bild © Heine Lenz Zizka

Ein weiteres Beispiel ist das hessische Dorf Wette­singen. Es ist eins der größten Bio­energie­dör­fer in Deutsch­land. Ein solches Dorf muss seinen Strom voll­kommen selbst er­zeugen, und mindes­tens die Hälfte der An­schlüsse muss mit Wärme­energie aus Bio­masse ver­sorgt werden. Die Reali­sierung dauerte drei Jahre. Jähr­liches Ergeb­nis sind Ein­spar­ungen von 600.000 Liter Heiz­öl und die Ver­mei­dung von 1300 Tonnen CO₂. Auch das wurde mit heute schon erhält­licher Tech­nik von Viess­mann reali­siert. Und der Blick in die Zu­kunft? Hoffnungs­voll! Neben dem weiteren Aus­bau der Digitali­sier­ung beschäf­tigt sich Viess­mann mit Photo­voltaik und Brenn­stoff­zellen. Sie haben er­kannt, dass Kühl­ung und Luft­rein­haltung einen rele­vanten Beitrag zur Sicher­ung unserer Lebens­räume leisten werden. Wie unser Ehren­mit­glied Dieter Rams fest­stellt, wird der Be­griff Design inflatio­när und zum Teil falsch ge­braucht. Er selbst schlägt das deutsche Wort Gestalt­ung im Sinne von Beo­bachten, Denken und Ver­stehen vor. Was wir mit unserem Wett­bewerb natür­lich gerne auf­greifen und auch aus­zeichnen: Gutes Beo­bachten, Gutes Denken, Gutes Ver­stehen. Auf­gaben und Para­meter ver­schieben sich, was zählt, ist eine konstante Haltung. Wir denken, dass Viess­mann dies schon seit vielen Jahren in einer sou­ver­änen und unauf­geregten Art und Weise verfolgt und zeigt, dass dieser Wandel auch eine Chance sein kann.

Gedruckte Werbeanzeigen (v. l. n. r.): Lenkflammsystem, 1971, High-Tech-Heizsysteme, 1989, „Mehr als Wärme“, 1999. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Staatlichen Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, und Viessmann © Meike Gatermann und Stankowski-Stiftung

Funktion, Systematik und Ästhetik – die Zusammenarbeit mit Stankowski und Duschek

Hans Viessmann ging 1965 auf den Grafik­pionier und Konstruk­tivisten Anton Stan­kowski zu. Dieser ent­wickelte den welt­weit bekann­ten Namen­szug mit dem über­einander­gestellten Doppel-S. „Konzen­tration durch Weg­lassen“, so lautete seine Leit­linie. Stankowski propa­gierte zusätz­lich, dass sich mit „Verein­fachen, Ver­sach­lichen, Ver­mensch­lichen“ eine effektive Linie in der lnvestitions­güter­wer­bung finden lässt. „Eine geniale Idee, die auf der ganzen Welt zu einer ein­präg­samen Visiten­karte der Marke geworden ist“, wie Viess­mann zum 100-Jahre-Jubi­läum im Jahr 2017 rück­blickend schreibt. Stankowski wurde weiter enga­giert, und so ent­stand 1970 mit „Viessmann Visuell“ eine der ersten Richt­linien­broschüren, die sich nicht nur auf die Wort­marke bezog, sondern auch auf gestalter­ische Elemente wie Haus­schrift, Haus­farbe, Geschäfts­unter­lagen oder Werbe­mittel. Damit leistete Stankowski Pionier­arbeit in Sachen Corporate Design und schuf eine nach­haltige Marken­identi­tät. Seine Zeich­nungen über­setzten die kompli­zierten Funktions­weisen tech­nischer Geräte in einfache visuelle Formen.

Den einge­schlagenen Weg setzte später sein Nach­folger Karl Duschek für Visuali­sierungen von Heiz­sys­temen in Falt­blättern und Broschüren konse­quent fort. Erst in den 1990er Jahren änderte sich das Gesicht der Bro­schüren mit dem Ein­zug der Foto­grafie, die nun mit den schema­tischen Zeich­nungen kombi­niert wurden. Die Zeit war reif für ein behut­sames Re-Design der Wort­marke, die ge­streckt wurde. So wirke sie dynamischer, wie Karl Duschek in einem Auf­satz beschreibt. 1 Seit 2009 werden alle Produkt­broschüren mit Fotos auf den Titel­seiten illustriert. Darüber hin­aus ist Kunst wichtiges Element der Unter­nehmens­kultur bei Viessmann.

Quellenverzeichnis

1   Karl Duschek, „Viessmann. Funktion, Systematik und Ästhetik. Viessmann Visuell“, in: Corporate Identity: Grundlagen, Funktionen, Fallbeispiele, hrsg. von Klaus Birkigt, Marinus Stadler und Hans Joachim Funck, Landsberg 2002

 

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