DESIGN DISKURS

Viktoria Kirjuchina ist leitende Profes­sorin des Fach­be­reichs Kom­mu­ni­kations­design im Studien­gang Multi­media Art der Fach­hoch­schule Salz­burg. DDC Vor­stands­mitglied Robin Auer ist leitender Designer bei IBM in Stutt­gart. Ein Gespräch über neue Lehr­an­sätze, das Erken­nen von Wirk­mechanis­men und wie das hilft, unsere Gesell­schaft demo­kratischer und die Protago­nisten mündiger zu machen.

Veröffentlicht am 15.09.2022

Robin Auer: Der Beruf von Gestalter­*innen verän­dert sich seit Jahren stetig. Ver­mehrt wird von uns gefordert, strateg­isch zu denken sowie unsere Ent­schei­dun­gen her­leiten und begrün­den zu können. Dadurch werden natür­lich auch Themen aus anderen Diszi­plinen rele­vanter für die Design­lehre. Dazu ge­hören sicher­lich In­halte der Betriebs­wirt­schafts­lehre, aber auch Psycho­logie oder Sozio­logie. Letzteres nehme ich ganz besonders bei meiner Arbeit mit künst­licher Intelli­genz und der Um­setz­ung solcher Sys­teme bei IBM wahr. Was denkst du, wie können uns Methoden und Vor­gehens­weisen aus anderen Diszi­plinen zu besseren Ge­stalter­*innen machen?

Viktoria Kirjuchina: In der Art, wie ich selbst an der Uni­versi­tät der Künste in Berlin aus­ge­bil­det wurde, war eine strateg­ische Vor­gehens­weise immer im Vorder­grund. Damit war für mich schon immer klar, dass unsere gestalter­ischen Hand­lungen auch Aus­wirk­ungen auf das politische und gesell­schaft­liche Mit­ein­ander haben und wir damit Verant­wort­ung tragen. Dennoch bot eine solche Aus­bildung fast aus­schließ­lich intui­tive und künstler­ische Zu­gänge an, um strateg­isch zu agieren. Um die Begründungs­fähig­keit von Gestalt­ungs­ent­schei­dungen war es da nicht beson­ders gut be­stellt. Ein Fach­hoch­schul­studium stellt traditioneller­weise noch zusätz­lich den An­spruch, den Arbeits­markt zu be­dienen. Es ist also darauf zu achten, was gerade jetzt von Ge­stalter­*innen ge­fordert ist, damit sie später naht­los in die Berufs­welt ein­steigen können. An­forder­ungen an den Fokus der Aus­bildung und die ver­mittelten Bezüge, nach denen du fragst, können dadurch unter­schied­lich geartet sein.

„Damit war für mich schon immer klar, dass unsere gestalterischen Handlungen auch Auswirkungen auf das politische und gesellschaftliche Miteinander haben und wir damit Verantwortung tragen.“

Dadurch steht man vor der Ent­schei­dung, ob man die Aus­bildung eher ent­lang von Medien, Techno­logien und Instru­men­tarien aus­richtet. Oder ob man zu­künftige Ge­stalter­*innen kon­zeptio­nell und strate­gisch aus­bilden soll. In Zeiten schnellen techno­logischen Wandels ent­scheidet sich diese Frage für mich klar: Setze ich aus­schließ­lich auf Techno­logien zur Um­setzung von Projekten, bereite ich Ge­stalter­*innen auf die nächsten fünf bis sieben Jahre im Berufs­leben vor. Das liegt daran, dass sich Anfor­der­ungen an Fertig­keiten und Fähig­keiten schnell ver­än­dern. Zu­nehmend werden ge­stalterische Pro­duktions­schritte auto­mati­siert. Auf künst­licher Intelli­genz basierende Appli­katio­nen nehmen Ge­stalter­*innen zunehm­end gerade im „Crafts“-Be­reich die Arbeit ab. Für mich als Lehrende ist es wichtig, dass junge Ge­stalter­*innen eine Karriere von 35 bis 40 Jahren haben. Es sollen eben keine Eintags­fliegen aus­ge­bildet werden, sondern Menschen, die kompe­tent sind, sich in diesem dis­rup­tiven Wandel zu be­haupten.

Viktoria Kirjuchina, Bild © Bettina Schröm
Robin Auer, Bild © Felix Hermann

Menschen, die jetzt Gestalter­*innen werden, sollen ein tiefes und allge­meines Ver­ständ­nis zwisch­en­mensch­licher Kommu­ni­kation er­werben. Es gibt in dieser Aus­ein­ander­setzung eine Ebene, die man ab­koppeln kann vom Konkret­ismus der Medien. Eine Reihe bereits bekannter Tech­niken der zwischen­mensch­lichen Kommu­ni­kation können medien­über­greifend ange­wandt werden. Fragen wie „Wie errege ich Auf­merk­sam­keit?“, „Wie löse ich Emoti­onen aus?“, „Wie struktur­iere ich eine Kom­muni­kations­hand­lung?“ und „Wie bin ich für mein Ziel­publikum über­zeugend?“ stellen sich in allen Medien.

Es geht mir daher darum, andere Diszi­plinen zurate zu ziehen, die eine Aus­ein­ander­setz­ung mit diesen Frage­stell­ungen unter­stützen. Anknüpf­ungs­punkte findet man zum Beispiel in Rhetorik, Semiotik, Psycho­logie, Kunst­ge­schichte, Philo­sophie, Sozio­logie und Kognitions­wissen­schaften. Gleich­zeitig ist es unab­ding­bar, Kom­muni­kations­designer­*innen Methoden an die Hand zu geben, sich schnell in neue mediale Settings hinein­zu­ar­beiten. Design Thinking, Techniken des Design Research und User Testing sind hier von zentraler Be­deut­ung. So können Gestalter­*innen sich schnell an Ver­änder­ungen der medialen Um­welt an­passen und gewinn­bringend auf wechseln­den Märkten agieren.

Robin Auer: Du leitest den Fach­bereich Kommuni­kations­design an der Fach­hoch­schule Salz­burg. Für diesen Fach­bereich hast du im ver­gan­genen Jahr ein neues Curri­cu­lum entwickelt. Bei meinen Recher­chen bin ich auf der Web­seite für den ange­botenen Master über folgende Be­schreibung ge­stol­pert: „Modernes Kommuni­kations­design er­fordert holistische Ansätze, vernetztes Denken und starke Ideen.“ Welche theo­retischen Grund­lagen sind da­durch in den Auf­bau ge­flossen? Gerade auch in Bezug darauf, dass aktuell techno­logische Dis­ruptionen Hoch­kon­junktur haben.

Viktoria Kirjuchina: Es geht ja wie gesagt nicht darum, irgend­etwas Ästhet­isches und Krea­tives mit Gestalt­ungs­program­men zu machen, sondern viel­mehr darum, sich selbst als Ge­stalter­*in und den kom­muni­kativen Pro­zess mit der Ziel­gruppe in den Mittel­punkt der Aus­­ein­ander­setz­ungen zu stellen. Denn es sind ja Einzelne, die die Fähig­keiten er­werben, eine Masse oder eine Ziel­gruppe anzu­sprechen, um einen Unter­schied zu er­wirken, Haltungen zu verändern und Hand­lungen zu ermög­lichen.

Behind the Veil, Konzept und Umsetzung: Paula Nikolussi, Mara Kienast, Jana Rowenski, Denise Hödl, Sabina Bauer, Magdalena Jo Umkehrer, Renaldo Rohrmoser.

Die thematische Klammer für ein Curriculum wird somit Experience Design im weitesten Sinne. Das bedeutet, der Fokus liegt auf dem Nutzer­*innen­erleb­nis. Egal ob man eine Kam­pagne oder ein Inter­face ge­staltet, Adressat­*innen und ihr Erleb­nis mit dem Gestalt­eten rücken ins Zent­rum. Am besten ent­wickelt man solche holistischen curricularen Pro­gram­me nicht allein, sondern mit anderen Lehren­den zu­sam­men. Einer­seits braucht es er­fahrene Praktiker­*innen, anderer­seits soll auf ein um­fassen­des Reser­voir an wissen­schaft­lichen Bezügen zu­ge­griffen werden können. Ich hatte großes Glück den damaligen Fach­bereichs­leiter für Design-Manage­ment Prof. Thomas Grundnigg in diesem Prozess an meiner Seite zu haben. Wir beschäft­igen uns schon länger mit diesem Thema und arbeiten gerade an neuen Lehr­kon­zepten für Designer­*innen, in die unsere Erfahrungen und For­schungen der letzten Jahre einfließen.

„Am besten entwickelt man solche holistischen curricularen Programme nicht allein, sondern mit anderen Lehrenden zusammen.“

Eine Basis­theorie, die sich für uns hierbei als hilf­reich heraus­gestellt hat, ist die Rhetorik. Mit einer Tradition von 2500 Jahren bildet sie eine stabile Ver­bin­dung zwischen Theorie und Praxis. Sie ver­steht sich als künstler­ische Praxis und die dazu­ge­hörige methodische Theo­rie. Diese Theo­rie ist auf das Ziel jeder rhetor­ischen Hand­lung aus­ge­legt: Über­zeugung des Publi­kums. Das Ziel der Rhetorik und das Ziel des Kom­muni­kations­designs sind deckungs­gleich. Zwar verstand sich Rhetorik immer als Sprech­praxis, doch sie hat sich immer wieder medial an neue Kommuni­kations­formen angepasst.

Rhetorik lässt sich daher als eine Art Grund­lagen­theorie ver­wenden, die in ver­schiedene andere Wissens­bereiche hin­ein­geht. Von dort aus kann man leicht Quer­ver­bindungen zu anderen Wissens­räumen her­stellen. Im Mittel­punkt stehen dabei immer das Erleb­nis der Ziel­gruppe und die Über­zeugungs­arbeit. Mir ist noch nie eine ernst­zu­nehmende Gestalter­in oder ein Gestalter begeg­net, der sich nicht für Psycho­logie oder Kognitions­wissen­schaften interes­siert hätte. Dieses Inter­esse markiert die Sehn­sucht nach mehr Ver­ständ­nis für die Funktions­zusam­men­hänge. Damit spielen auch Inhalte aus Sprach­wissen­schaften, Philosophie, Betriebs­wirt­schafts­lehre und Kunst­ge­schichte eine struktur­gebende Rolle. Entlang der Frage nach der Wirk­ung auf das Publikum können diese Inhalte ins rhetorische Frame­work einfließen.

Die wissen­schaft­lichen Bezüge werden nicht entlang der fremden Fach-Program­matik benutzt, sondern folgen strikt den Bedürf­nissen der Ge­stalter­*innen. Sie dienen dazu, Prozesse, die wir aus dem Bauch heraus machen – und deshalb auch keine Sprache dafür haben – methodisch zu be­schreiben. Das bedeutet nicht, dass wir zukünftig nach „Kochbuch“ ge­stalten, und auch nicht, dass Heuristiken und Methoden uns weniger kreativ machen. Sie helfen uns lediglich, eine Sprache für unser Tun zu ent­wickeln und damit ein besser ver­netztes Gestalter­*innen­gehirn zu haben.

Robin Auer: Könntest du ein Beispiel machen, bei dem Theorie und Praxis zu­sammen­kommen?

Viktoria Kirjuchina: Studierende, die eine Kampagne gestalten, wie beispiels­weise die zu unserem Rund­gang, machen sich bewusst, dass zwischen Briefing und End­resultat rhetorische Produktions­schritte liegen. Möchte man eine Ziel­gruppe davon über­zeugen, sich für unseren Rund­gang zu interes­sieren, muss man sich im Klaren darüber sein, wer genau diese Ziel­gruppe ist, welche Argu­mente infrage kommen und welche Aus­drücke diese Ziel­gruppe an­sprechen. Für den Rund­gang haben Studierende ein strateg­isches, auf die er­wünschte Wirk­ung aus­ge­legtes Über­zeugungs­narrativ er­arbeitet. An dieser Stelle würde jeder Kampagnen­ge­stalter sagen: „Genau so baut man doch immer schon Kam­pagnen!“. Ich kann darauf erwidern: „ja und nein.“ Die aus­schließ­lich intuitiv aus­ge­bildeten Ge­stalter­*innen ver­gegen­wärtigen sich nicht, dass sich zwischen kommuni­zierten Argu­menten und den dazu ge­wählten Aus­drücken ein großer strategischer Handlungs­raum eröff­net. Auch intuitiv ist die Wahr­scheinlich­keit hoch, dass man in dieser Hin­sicht alles richtig macht, weil man mit seiner erfahrungs­gesättigten Intuition die richtige, ange­messene Ge­staltungs­handlung er­spürt, man elo­quent ist und einfall­sreich. Vor Auftrag­geber­*innen hat man dann aber Probleme, sich zu be­gründen. Aus diesem Grund ist es besser, zuerst argumen­tativ vorzu­gehen und dann zu sehen, was es braucht, um einen passenden Aus­druck für die Ziel­gruppe zu finden.

„Die ausschließlich intuitiv ausgebildeten Gestalter*innen vergegenwärtigen sich nicht, dass sich zwischen kommunizierten Argumenten und den dazu gewählten Ausdrücken ein großer strategischer Handlungsraum eröffnet.“

Die Urheber­*innen der Rund­gang-Kam­pagne haben zu dem Argu­ment, dass sie erar­beitet haben, circa 100 Aus­drucks-Varianten ge­staltet. Ein Aus­druck ist dabei nichts anderes als ein visueller Effekt. Dazu gab es einen Kriterien­kata­log, der bei der Aus­wahl des passen­den Aus­drucks ge­holfen hat. Als die Studieren­den in die Pflicht genom­men wurden, ihre Ent­scheidun­gen vor einem Ent­scheidungs­grem­ium zu recht­fertigen, weil es in Verdacht geriet, unpassend und dys­funktio­nal zu sein, konnten sie ihre strategischen Über­legun­gen nach­voll­ziehbar dar­legen, ihre Ge­staltungs­ent­scheidun­gen be­gründen und durch­setzen.

Rundgang – I’m not a robot 2022 der Fachhochschule Salzburg. Animierte Plakatserie, Konzept und Umsetzung: Alina Traun, Anna-Sophie Wehmeyer, Katja Gröbl, Sebastian Scholze, Luca Carubia und Anna Klementova

Robin Auer: Nun gibt es bei dir an der Fachh­och­schule Salz­burg im Master­studium den Schwer­punkt „evidenz­basierte Massen­kommuni­kation“. Wenn ich im Rahmen eines Studiums lang­sam an dieses Thema der Rhetorik heran­­ge­führt werde, verstehe ich irgend­wann, wie ich Stil­mittel aus der Rhetorik auf meine visuelle Arbeit über­tragen kann, um da­durch gezielt eine Gruppe von Men­schen anzu­sprechen. Wie ist das in eurem Master­studien­gang in Bezug auf Massen­kommuni­kation integriert?

Viktoria Kirjuchina: Wie du schon andeutest, sind das zwei Schritte: Im ersten Semester lernen Studierende die Grund­lagen visu­eller Rhetorik kennen, während sie aus­giebig mit visu­ellen Sprachen experi­men­tieren. In diesem Ab­schnitt geht es um wilde Kreativi­tät, die strategisch einge­setzt wird und darum, Hem­mungen abzu­legen und mehr Selbst­sicher­heit bei kreativen Experi­men­ten zu ent­wickeln. Im zweiten Semester liegt der Schwer­punkt auf speku­lativen Design und Welt­bildern, die repro­du­ziert und multi­pli­ziert werden. Analog zur Rede­übung ist dabei die Präsen­tation der Ar­beiten unser Mess­instru­ment und Prüfstein.

Im dritten Semester – bevor es in Richtung Master­thesis geht – gibt es dann eine Art Aktuali­sierung. Uns ist auf­ge­fallen, dass es Themen gibt, die für Kom­muni­kations­designer­*innen im Grunde seit Mitte des letzten Jahr­hunderts rele­vant sind, die aber kaum Nieder­schlag in Design­studien finden. Nament­lich sind das Statis­tik und Infor­matik. Wenn man ver­folgt, was sich im Bereich Machine Learning gerade tut – Stich­wort GPT3, Dall-E, Stable Diffusion, etc. – kommt man nicht um­hin, sich mit den Grund­lagen zu beschäftigen.

Nachdem sich Studierende also der ganzen Kom­plexi­tät ihres Tuns hin­ge­geben haben, unter­suchen wir, welche Muster dem zugrunde liegen. Des­halb nutzen wir das dritte Semester dazu, auch statist­isch auf unsere Arbeit als Kommuni­kations­designer­*innen zu schauen. Konkret heißt das, dass wir in den Gestaltungs­pro­zess eine weitere Schleife ein­ziehen, um Entwürfe zu vali­dieren und auf Basis ge­won­nener Erkennt­nisse dann zu opti­mieren. Um etwas Licht in die sonst unein­seh­bare Black Box KI zu bringen und um zu sehen, welche Massen­effekte dabei ent­stehen. Für „evidenz­basierte Massen­kommuni­kation“ machen wir eine statist­ische Rech­erche, in der wir eine größere Menge Bilder anno­tieren. Dass wir eine Sprache für die Form aus der Rhetorik haben, kommt uns beim Kodieren von Bildern sehr ent­gegen. Wir nutzen zur Ana­lyse der Bilder die gleiche Sprache. An­schließend können wir nach Kriterien filtern und erken­nen Muster, die von vielen Gestalter­*innen kollek­tiv repro­duziert werden und sich durch­setzen. Auch dabei gibt es viele Kompo­nenten, die wir aus anderen Bezugs­diszi­plinen brauchen. Wir haben es mit Dar­stellungs­konvent­ionen, Blick­regimen und Wahr­nehmungs­ge­wohn­heiten zu tun, die wir fokus­sieren und damit viel präziser ent­scheiden können, an welcher Stelle ein spannendes und lust­volles Moment­um ist, das gerade für diese Argumen­tat­ion den richtigen Aus­druck in sich trägt.

„Dass wir eine Sprache für die Form aus der Rhetorik haben, kommt uns beim Kodieren von Bildern sehr entgegen.“

Robin Auer: Euer Vor­gehen bei der Ana­lyse einer großen Masse an gestalter­ischen Ergeb­nissen und das Her­aus­arbeiten von Mustern ist un­glaublic­h spannend. Das Kodieren von quali­tativen Infor­matio­nen ist auch die klassische Art und Weise, wie man Nutzer­forsch­ung be­treiben kann. In dem Fall be­treibt ihr ja wirk­lich massen­kommuni­kations­be­zogene For­schung, um Muster zu identi­­fi­zieren. Dadurch kann man natür­lich erken­nen, welche Muster in der Vergan­gen­heit funktio­niert haben und kann diese auf künftige Heraus­forder­ungen um­legen. Auf diese Weise könnte man dann auch heraus­finden, ob diese gleichen Methoden auch mit neuen Medien funktio­nieren oder ob sich Kom­muni­kations­wege verändern ­und ange­passt werden müssen. Ist das ein Bereich, den ihr unter­sucht? Zum Beispiel für Medien wie Augmented Reality oder Virtual Reality?

Viktoria Kirjuchina: Das trifft es sehr gut. Wir beschäft­igen uns mit omni-medialen Effekten. Mit Effekten, die übertragbar sind, in jedes Medium. Ein Effekt spielt mit der menschlichen Wahr­nehmung, mit Erwart­ungen und Über­raschungen. Er weckt Emotionen und kann dazu ver­helfen, Ein­sicht­en zu gener­ieren. Ein Effekt hat immer eine rhetor­ische Funktion, dient der Über­zeu­gung und stellt den Menschen in den Mittel­punkt des Kommuni­kationsprozesses.

Gleichzeitig suchen wir nach jene­n Effekten, die sehr erfolgreich funktio­nieren und machen dann Vorhersagen über deren Wirk­ung. In der Rhetorik sprechen wir von Wirkungs­inten­tion. Der Ent­wurf wird zur Hypothese und den Erfolg kann man wieder­um messen. In unserem Fall messen wir Erfolg nicht nur mit statist­ischen Er­hebun­gen, sondern auch in Design Awards, die wir mit den Pro­jekten gewinnen.

Wir stützen uns aber nicht nur auf gut funktio­nierende Theorie als Basis unseres Lehr­kon­zepts, sondern sind experimen­tier­freudig und leben die künstlerische Praxis in aller Konse­quenz. Hinzu kommt, dass wir große Neugier ge­­genüber anderen, besonders technischen Studienrichtungen haben. I­­n unserem Studiengang MultiMediaArt treffen unter­schiedliche Fach­bereiche aufein­ander und mit dem Studien­gang MultiMediaTechnology arbeiten wir eng zusammen. Wir entwickeln ständig neue künstlerische Experi­mente mit VR, AR, oder Machine Learning. Es entstehen Medien­installati­onen, Aus­stellungs­konzepte und partizi­pative Info­grafiken. Weil wir als Ge­stalter­*innen medien­übergreifend oder besser medien­unab­hängig arbeiten, kommt Kommuni­kations­design hier als Schnitt­stelle besonders zum Tragen.

AI:STHETICS, Audiovisuelle Installation, 3d, motion design, KI, Konzept und Umsetzung: Fabian Heller, Karen Kircher, Musik: Kenji Araki

Robin Auer: Ein Thema, das uns im DDC dieses Jahr ganz inten­siv beschäftigt, ist „Design for Democracy“. Wir hatten am An­fang des Jahres ein Kon­vent in Frank­furt zu diesem Thema, wobei ein Schwer­punkt hier­bei auf der Aus­bildung von Ge­stalter­*innen lag. Du hattest ja bereits er­wähnt, dass das Erken­nen von Wirk­mechanis­men und Funktions­zusammen­hängen beim Gestalten deiner Mein­ung nach dazu bei­trägt, unsere Gesell­schaft demo­kratischer und die Prota­go­nist­*innen mündiger zu machen. Kannst du uns mehr darüber er­zählen, wo du hier Zusam­men­hänge siehst?

Viktoria Kirjuchina: Unreflektierter Umgang mit Medien, speziell Blind­heit für Mani­pulations­strategien, steht meiner Auf­fassung nach in direktem Zusam­men­hang mit Pro­zessen der Ent­demo­krati­sierung. Im Umkehr­schluss lässt sich behaupten, dass die Fähig­keit, Funktions­zusam­men­hänge der Persu­asion zu erkennen, ein Schlüssel zum demo­kratischen Dis­kurs in unserer Gesellschaft ist.

„Unreflektierter Umgang mit Medien, speziell Blindheit für Manipulationsstrategien, steht meiner Auffassung nach in direktem Zusammenhang mit Prozessen der Entdemokratisierung.“

Gestalter*innen haben sich meiner Meinung nach in eine un­günstige Rolle hinein­manöv­riert. Jahr­zehnte­lang kreierte man hoch­effizi­ente Massen­kommuni­kation und repro­duzierte eine Lehre, die sich mit stummen Zeigen von Bild­bei­spielen und dem impliziten Training ge­stalter­ischer Intui­tion abge­funden hat. Dabei dominiert die visuelle Kom­muni­kation mittler­weile große Bereiche in unserer Gesell­schaft. Im Politischen ist das nicht anders. Für den Diskurs existiert aber kein ver­bind­liches Vokabular und es gibt keine Einigung darauf, welche Zusam­men­hänge, Ursachen und Wirk­ungen dem Prozess visu­eller Argumen­tation zu­grunde liegen. Wenn man die Trick­kiste der Über­zeugungs­arbeit nicht kennt, läuft man Gefahr, sich im Prozess der Meinungs­bildung täuschen zu lassen. Wir haben uns als Gestalter­*innen mit unseren intuitiven Fähig­keiten vor einen Karren spannen lassen, der unreflek­tiert Welt­bilder und politische Haltun­gen reproduziert.

Die Folge ist ver­heerend. Wir haben als Gesell­schaft viel zu wenig visu­elle Kom­petenz aus­ge­bildet. Wenn man als Ur­heber­*in nicht benennen kann, was man beab­sichtigt hat und nicht begründen kann, welche Effekte man dafür ver­wen­det hat, kann man auch nicht sagen, wie man sein Publi­kum über­zeugt oder sogar mani­pu­liert hat. Wie sollen Rezipient­*innen aus­reichend Medien­kompe­tenz ent­wickeln, wenn die Urheber­*innen keine Sprache für die Wirk­mecha­nismen haben? In turbu­lenten polit­ischen Zeiten sehe ich unsere Verant­wortung als Ge­stalter­*innen darin, Demo­kratie zu schützen, indem wir für mehr visual literacy sorgen. Diese Kern­kompetenz befähigt jede*n, Im­muni­tät gegen scham­lose Mani­pulationen auf­zu­bauen. Damit könnte man extremen gesell­schaft­lichen Spalt­ungen ent­gegen­wirken und nach­haltig für unsere demo­kratische Gesell­schafts­form sorgen.

Viktoria Kirjuchina

ist Professorin an der Fach­hoch­schule Salz­burg und leitet dort den Fach­bereich Kommuni­kations­design im Studien­gang Multi­media Art. 2018 war sie Gast­profes­sorin für Kommuni­kations­design an der Hoch­schule für Technik, Wirt­schaft und Gestalt­ung Konstanz. Als Mitglied der inter­diszi­pli­nären Forscher­gruppe TRACE und mit Blick auf 17 Jahre Berufs­erfahrung als selbst­ändige Kom­muni­kations­designerin ist Viktoria Kirjuchina Spezialistin für Wirkungs­forschung und Kon­zep­tion. Sie arbeitete als Art Director für multi­nationale Unter­nehmen wie die Welt­bank, Startups, mittel­ständische Unter­nehmen und Kultur­insti­tuti­onen. Ihre Forschung bedient sich der klassischen Rhetorik und Kog­nitions­forschung, um sich zentralen Fragen des Gestaltungs­pro­zesses zu nähern. Viktoria Kirjuchina ist im Beirat des E-Journals „Sprache für die Form – Forum für Design und Rhetorik“. Sie hält Vorträge und publiziert.

Robin Auer

ist leitender Designer bei IBM in Stuttgart und Lehr­beauf­tragter für Kommuni­kations­design an der Hoch­schule Konstanz – Technik, Wirt­schaft und Gestalt­ung. Nach seinem Master­ab­schluss im Jahr 2015 arbeitete er ein Jahr für den Y Think Tank der UBS AG in Zürich. Dort entstehen in inter­diszi­pli­nären Teams Zukunfts­szenarien und Visionen, die mit design­wissen­schaftlichen und sozial­wissen­schaft­lichen Methoden (Strategic Foresight) erar­beitet werden. Seit Februar 2017 arbeitet er bei IBM Design, wo er ver­stärkt an nutzer­zen­trierten Lösung von kom­plexen, digitalen An­wen­dungen arbeitet. Als Facilitator von IBM ist er global für Strategie-Work­shops und Nutzer­forschung im Bereich „Data & AI“ zu­ständig. Seit 2021 ist Robin Auer Mitglied des DDC Vorstands.