DESIGN DISKURS
Die Gestaltung des Innenraums wird im Kontext des Wandels von Tag zu Tag relevanter. Dennoch wird die kommunikative Wirkung von Innenräumen immer noch nicht ausreichend wertgeschätzt. Die Innenarchitektur müsse sich schlussendlich stärker positionieren, um in einer interdisziplinären Kreativkultur wirken zu können.
Ich möchte Ihnen von meinem Beruf der Innenarchitektur erzählen. Spreche ich als Innenarchitektin, thematisiere ich oft den Wandel. Ich habe dann den Wandel der Zeit, der Gesellschaft im Sinn; den Wandel, der uns alle und somit auch unsere Berufsfelder wie Gestaltung und die Auseinandersetzung damit in Bewegung hält. Haben wir Innenarchitekt*innen uns 2019 noch mit den großen Themen der Digitalisierung wie den Smart Homes oder rechnerbasierten Planungsprozessen beschäftigt, dem New Office nachgespürt oder dem Zeitgeist des Wohnens auf minimalem Raum gewidmet, so sind wir heute mit teilweise völlig neuen Gegebenheiten konfrontiert.
Das Jahr 2020, gerade erst zu Ende, hat jetzt bereits Geschichte geschrieben. Haben wir inzwischen diverse Phasen des Ausnahmemodus erlebt und hoffentlich überstanden, sind wir sicherlich noch auf unbestimmte Zeit mit der Bewältigung dieser Krise konfrontiert. Das Corona-Virus hat die Grundlagen unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Miteinanders erschüttert. Gesellschaftliche Prognosen sind auf den Kopf gestellt; Entwicklungen befeuert, ausgebremst, neuen Richtungen zugewiesen. Alltag und Welt, wie wir sie kannten, existieren nur noch bedingt – auch wenn ich mir bewusst bin, dass wir nicht alle gleichermaßen betroffen sind und sich ein extremes Gefälle in den Auswirkungen durch die Pandemie zeigt. Die Welt steht vergleichsweise still. Aktuelle Diskurse sind stark beeinflusst von dem einen Thema. Betrachtungen polarisieren. Während ein Teil sich den Modus „business as usual“ zu wünschen scheint, wollen andere nicht zurück. Ein „besseres“ Jetzt, wohl nach vorne.
„In einem Moment
der Richtungsentscheidung, möchte ich das ‚Mittendrin‘ nutzen.“
In einem Moment der Richtungsentscheidung, möchte ich – auch das mag polarisieren – das „Mittendrin“ nutzen. Mit einem Blick zurück, möchte ich einen Blick in die Zukunft werfen; Möglichkeitsräume der Innenarchitektur reflektieren und in den Vordergrund denken. „Immer ist Anfang“, hörte ich mich schon lange eine Essenz meiner projektbezogenen Herangehensweise als Innenarchitektin charakterisieren. Heute macht der Gedanke an einen Anfang mehr Sinn denn je. Es mag sich zwar nicht um einen kompletten Neustart handeln, dennoch scheinen wir dem Ansetzten bei Null wieder näher als zuvor. Aber dazu später mehr.
Ich möchte mich nun erst einmal vorstellen. Mein Name ist Sabine Keggenhoff. Seit vielen Jahren bin ich Innenarchitektin und seit einigen Jahren führe ich auch den Titel der Architektin. Zusammen mit Michael Than leite ich seit 2001 KEGGENHOFF | PARTNER. Seit 2015 lehre ich auch als Professorin das Modul „Entwerfen Innenarchitektur“. Ich engagiere mich im Rahmen meiner zeitlichen Möglichkeiten berufspolitisch und freue mich, meine Gedanken und Perspektiven in unterschiedlichen Diskursen über Raum und Gestaltung beitragen zu dürfen.
Um in einem theoretischen Kontext wie diesem, einen gemeinsamen Nenner von Gestaltungsdisziplinen herauszustellen, gleichermaßen relevante Abgrenzungen vornehmen zu können, möchte ich einige Begriffe definieren. Gerne verwende ich den Begriff Gestaltung, wenn ich Resultate oder Aspekte benenne, die von allen Gestaltungsdisziplinen intendiert in Konzeption und/oder Herstellung genutzt werden. Den Begriff Design verknüpfe ich persönlich mit Produkten oder dem Prozess der Entwicklung von Produkten oder Produktkonzepten. Spreche ich von Innenraum, der sich durch das rein additive Zufügen von veränderbaren Produkten und deren Komposition kennzeichnet, nutze ich den Begriff Interieur oder Einrichtung. Mit Innenarchitektur bezeichne ich wiederum eine ziel- und bedarfsorientierte, konzeptionelle und strukturelle Planung und Umsetzungen von atmosphärischem Innenraum durch Menschen, die hierin formal ausgebildet worden sind. Referenzpunkt in Konzeption und Maßstab ist der Mensch und seine Bedürfnisse. In ihrer erweiterten Maßstäblichkeit tendiert die Innenarchitektur mit ihren Gestaltungswerkzeugen Richtung individualisiertem 1:1, während sich die Architektur in der Regel zuerst dem städtischen Kontext zuwendet. Innenarchitektur setzt sich aus mehreren Dimensionen zusammen und benötigt das gleichwertige, verantwortungsvolle Zusammenspiel unterschiedlichster Werkzeuge. Das Anforderungsprofil und die Örtlichkeit bilden dabei die Basis eines raumbezogenen Entwurfsprozesses, am Ende steht eine nachhaltige Realisierung.
„An einem Tag in den 1980er Jahren
verstand ich dann, dass Raum als Kommunikationsmittel funktioniert.“
Eine Frage der Perspektive
Der von Menschen gestaltete Innenraum – ob Interieur oder Innenarchitektur – war immer schon besonders dafür dienlich, sich ein Bild der Zeit und seiner Protagonist*innen machen zu können. Die Bücher der Kunst- und Designgeschichte, der Kunst- und Designwissenschaften, der Beschreibung und Forschung von Raumphänomenen, der Atmosphären, der Zeichen, der Tradition, der Manipulation, sind voll davon. Im gestalteten Innenraum spiegeln sich Affinitäten, Wertvorstellungen, Beziehungen, Prioritäten und Persönlichkeiten. Verhalten, Rituale, Ziele und Stimmungen werden neu definiert oder mindestens gerahmt. Dabei ist dies in Analyse und Interpretation – wie auch Gestaltung an sich – niemals kontextlos zu betrachten.
Meine eigene Beziehung zur Innenarchitektur hat ihren Anfang retrospektiv in meiner Jugend. Ich war Teenager, mein Leben im familiären Umbruch und wieder einmal zu Besuch bei der Nachbarsfamilie. In dem sauerländischen Dorf, in dem ich aufwuchs, waren sie diejenigen, deren Lebens- und Familienmodell wohl am ehesten mit modern zu beschreiben war. Im Inneren ihres Hauses bewegte man sich in einem offenen Grundriss; reduzierte Formensprache, die Einflüsse ihrer vielen Reisen ablesbar. Sie zeigten viel, aber nie zu viel. Ein eklektischer Stil, wohl kuratiert. Wie im Museum, dennoch wohnlich in den sich auflösenden Raumgrenzen. Etwas Vergleichbares kannte ich bis dato nicht; Familie und Haus nahmen für mich Vorbildcharakter ein. An einem Tag in den 1980er Jahren verstand ich dann, dass Raum als Kommunikationsmittel funktioniert. Ohne Worte, ähnlich einem Gemälde, immens aussagekräftig. In einer Phase – persönlich sehr in Bewegung – entwickelte ich im Übergang zur nächsten eine bestimmte Sensibilität meinen (räumlichen) Umfeldern gegenüber. Immer schon war ich analytische Beobachterin – oft auch jenseits des bekannten, tagtäglichen Rahmens. Ich nahm mein Studium der Innenarchitektur auf. Ich war beeindruckt, verzaubert. Das hält bis heute an.
Vom Innenraum, Interieur zur Innenarchitektur: Alle eint in ihrer Essenz die kommunikative Rolle von gestaltetem Innenraum. Diesem Aspekt wünsche ich langfristig eine noch intensivere, gesamtgesellschaftlichere Beachtung, Betrachtung und Wertschätzung. Der Weg, den wir aktuell beschreiten, ist vielversprechend. Innenraum wird von Tag zu Tag gesellschaftsrelevanter.
Bilaterale Beziehungen
Faktisch bezieht sich Innenarchitektur auf den uns umgebenden Raum, das uns umgebende, gestaltete dreidimensionale innere Gefüge aus Boden, Wand und Decke, das im Zusammenspiel diverser Elemente unsere individuelle, aber auch öffentliche Lebenswelt physisch konkretisiert. Büro, Museum, Wohnzimmer – alles ist inbegriffen. Wie in anderen Gestaltungsdisziplinen auch, geht es nicht ausschließlich um das, was man sieht oder zu sehen meint, sondern auch um Empfinden und Assoziation – und die unterbewusste Entschlüsselung einer Intention. In der Betrachtung oder im Erleben von Innenarchitektur ist die Implementierung von Funktion, Ästhetik sowie die Qualität eingesetzter Werkzeuge miteinzubeziehen. Gleichermaßen relevant sind auch wahrnehmungspsychologische Komponenten oder soziale und kulturelle Ebenen wie Status, Symboliken und Codes. Nicht nur unterstützt Innenarchitektur unsere Verortung, sie soll immer auch ihre Nutzer*innen als solches inspirieren, motivieren und unterstützen.
„Innenarchitektur ist mehr
als weit weg von Oberflächlichkeit und Beliebigkeit. Sie beeinflusst unser soziales Miteinander unmittelbar.“
Zusätzlich zu der emotionalen und sensorischen Gewichtung, und – unausweichlich – dem Einbezug von Nachhaltigkeit und Angemessenheit, ist sie durch ihren dezidierten Entwurf eingehend kraftvoll einsetzbar, etabliert einen nutzbaren Mehrwert. Innenarchitektur ist mehr als weit weg von Oberflächlichkeit und Beliebigkeit. Sie beeinflusst unser soziales Miteinander unmittelbar. Sie berührt, löst Emotionen aus, ist erfolgreich umgesetzte Baukultur und Lebensqualität; im privaten, wie auch im halböffentlichen und öffentlichen Raum. Möglichkeitsraum. Innenarchitektur ist ohne seine Nutzer*innen nicht denkbar. Die bilaterale Beziehung, die sich unter anderem durch Aneignung und Nutzung des Raums durch den Menschen ergibt, ist entscheidend – und prägt ein neueres partizipativeres Raumverständnis. Menschen und Raum können sich gemeinsam bedingen und verändern und bleiben anpassungsfähig und flexibel, ob der Dinge, die der Wandel uns bringt. Einen Anspruch auf Ewigkeit gibt es nicht.
Beruf – Berufung
In den vergangenen Jahren sind viele Bestrebungen, vor allem der Humanwissenschaften, zusammengeführt worden, die den anwendungsbezogenen Teil der (akademischen) Fachdisziplin Innenarchitektur auch theoretisch untermauern. Die vielfältigen Dimensionen wie Ästhetik, Psychologie und Soziologie – und die damit einhergehende Legitimation jenseits des Raumkünstlerischen ist zwischenzeitlich belegt. Während an den Hochschulen aktiv Forschung betrieben wird, sucht man nach Veröffentlichungen zur Innenarchitekturtheorie im deutschsprachigen Raum meist (noch) vergeblich. Vielmehr wird die Fachrichtung der Innenarchitektur, die in Deutschland traditionell sehr praxisnah aufgestellt ist, thematisch unter der Design- oder Architekturtheorie geführt. Das muss sich ändern. Die Innenarchitekt*innen dieses Landes – europaweit genießt die Bezeichnung Innenarchitekt*in nur hier Titelschutz – sind gefragt, sich zu vernetzen und entsprechende Prozesse in Gang zu setzen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Vorhaben das Berufsfeld nachhaltig identitätsbildend, selbstbewusst und kompetenzfördernd bereichert. Oftmals in einem Topf, in einer Gemengelage zusammen mit der Kreativwirtschaft, wird es bewirken, Tätigkeitsfelder der Innenarchitektur im inhaltlichen Sinne zu präzisieren. In den interdisziplinär aufgestellten Teams der Zukunft kann man dann mit spezifischer, sich ergänzender Expertise agieren.
Während ich diese Dinge denke und diese Zeilen schreibe, mit einem Blick zurück, aber vor allem einem in die Zukunft, stelle ich einiges in Frage. Wovon ich überzeugt bin, ob der Dinge, die da kommen werden: Guter, mehrdimensionaler, wertevermittelnder und identitätsstiftender Innenraum wird nicht an Relevanz einbüßen. Im Gegenteil. Während gebauter Raum, ob innen oder außen, immer auch Geschichte ist, so ist er vor allem auch Zukunft. Ich persönlich bin neugierig auf Zukunft. Ich bin neugierig darauf, aus Leidenschaft. Als Innenarchitekt*innen diese Zukunft denken, mitgestalten und prägen zu können, stellt eine große Verantwortung dar, die Erwartungshaltung ist immens. Gleichermaßen ist diese Erwartungshaltung eine immense Motivation. Demzufolge lautet ein Ziel, Kreativwirtschaft in eine Kreativkultur münden zu lassen, die alle Bereiche des gestalteten, gesellschaftlichen Gesamtkontext umfasst. Seite an Seite, auf einem Nenner.