DESIGN DISKURS

Die Gestaltung des Innen­raums wird im Kontext des Wandels von Tag zu Tag relevanter. Dennoch wird die kommuni­kative Wirkung von Innen­räumen immer noch nicht aus­reichend wert­ge­schätzt. Die Innen­archi­tektur müsse sich schluss­endlich stärker positionieren, um in einer inter­diszi­plinären Kreativ­kultur wirken zu können.

Veröffentlicht am 06.01.2021

Ich möchte Ihnen von meinem Beruf der Innen­archi­tektur erzählen. Spreche ich als Innen­archi­tektin, themati­siere ich oft den Wandel. Ich habe dann den Wandel der Zeit, der Gesell­schaft im Sinn; den Wandel, der uns alle und so­mit auch unsere Berufs­felder wie Gestal­tung und die Aus­einander­setz­ung damit in Be­wegung hält. Haben wir Innen­architekt­*innen uns 2019 noch mit den großen Themen der Digi­tali­sierung wie den Smart Homes oder rechner­ba­sierten Planungs­pro­zessen be­schäftigt, dem New Office nach­gespürt oder dem Zeit­geist des Wohnens auf mini­malem Raum ge­widmet, so sind wir heute mit teil­weise völlig neuen Gegeben­heiten kon­frontiert.

Das Jahr 2020, gerade erst zu Ende, hat jetzt bereits Ge­schichte ge­schrieben. Haben wir in­zwischen diverse Phasen des Ausnahme­modus erlebt und hoffent­lich über­standen, sind wir sicher­lich noch auf un­bestimmte Zeit mit der Be­wältigung dieser Krise kon­frontiert. Das Corona-Virus hat die Grund­lagen unseres gesell­schaft­lichen und wirt­schaft­lichen Mit­einanders er­schüttert. Gesell­schaftliche Pro­gnosen sind auf den Kopf gestellt; Ent­wick­lungen befeuert, aus­gebremst, neuen Rich­tungen zu­gewiesen. All­tag und Welt, wie wir sie kannten, existieren nur noch bedingt – auch wenn ich mir bewusst bin, dass wir nicht alle gleicher­maßen be­troffen sind und sich ein extremes Ge­fälle in den Aus­wirkungen durch die Pan­demie zeigt. Die Welt steht ver­gleichs­weise still. Aktuelle Dis­kurse sind stark be­ein­flusst von dem einen Thema. Betrach­tungen po­larisieren. Während ein Teil sich den Modus „business as usual“ zu wünschen scheint, wollen andere nicht zurück. Ein „besseres“ Jetzt, wohl nach vorne.

„In einem Moment
der Rich­tungs­ent­schei­dung, möchte ich das ‚Mitten­drin‘ nutzen.“

In einem Moment der Richtungs­entscheidung, möchte ich – auch das mag polarisieren – das „Mitten­drin“ nutzen. Mit einem Blick zurück, möchte ich einen Blick in die Zukunft werfen; Möglich­keits­räume der Innen­architektur reflektieren und in den Vorder­grund denken. „Immer ist Anfang“, hörte ich mich schon lange eine Essenz meiner projekt­be­zogenen Heran­gehens­weise als Innen­archi­tektin charakter­isieren. Heute macht der Gedanke an einen Anfang mehr Sinn denn je. Es mag sich zwar nicht um einen kompletten Neu­start handeln, den­noch scheinen wir dem Ans­etzten bei Null wieder näher als zu­vor. Aber dazu später mehr.

Ich möchte mich nun erst einmal vor­­stellen. Mein Name ist Sabine Keggen­hoff. Seit vielen Jahren bin ich Innen­architektin und seit einigen Jahren führe ich auch den Titel der Archi­tektin. Zusammen mit Michael Than leite ich seit 2001 KEGGEN­HOFF | PARTNER. Seit 2015 lehre ich auch als Profes­sorin das Modul „Entwerfen Innen­archi­tektur“. Ich engagiere mich im Rahmen meiner zeitlichen Möglich­keiten berufs­politisch und freue mich, meine Gedanken und Perspek­tiven in unter­schied­lichen Dis­kursen über Raum und Gestaltung beitragen zu dürfen.

Um in einem theo­retischen Kon­text wie diesem, einen gemeinsamen Nenner von Gestaltungs­diszi­plinen heraus­zu­stellen, gleicher­maßen relevante Ab­grenzungen vor­nehmen zu können, möchte ich einige Begriffe definieren. Gerne verwende ich den Begriff Gestaltung, wenn ich Resultate oder Aspekte benenne, die von allen Gestaltungs­disziplinen intendiert in Kon­zeption und/oder Her­stellung genutzt werden. Den Begriff Design verknüpfe ich per­sönlich mit Produkten oder dem Prozess der Ent­wicklung von Produkten oder Produkt­konzepten. Spreche ich von Innen­raum, der sich durch das rein additive Zu­fügen von veränder­baren Pro­dukten und deren Kompo­sition kennzeichnet, nutze ich den Begriff Interieur oder Ein­richtung. Mit Innen­architektur bezeichne ich wiederum eine ziel- und bedarfs­orien­tierte, konzeptio­nelle und struktur­elle Pla­nung und Um­setzungen von atmos­phärischem Innen­raum durch Menschen, die hierin formal aus­gebildet worden sind. Referenz­punkt in Konzeption und Maß­stab ist der Mensch und seine Bedürf­nisse. In ihrer erweiterten Maß­stäblich­keit tendiert die Innen­archi­tektur mit ihren Gestaltungs­werk­zeugen Rich­tung indi­vidua­lisiertem 1:1, während sich die Archi­tektur in der Regel zuerst dem städtischen Kontext zuwendet. Innen­architektur setzt sich aus mehreren Dimensionen zusammen und benötigt das gleich­wertige, verant­wortungs­volle Zusammen­spiel unter­schied­lichster Werk­zeuge. Das Anforderungs­profil und die Ört­lichkeit bilden dabei die Basis eines raum­bez­ogenen Entwurfs­prozes­ses, am Ende steht eine nach­haltige Realisierung.

„An einem Tag in den 1980er Jahren
verstand ich dann, dass Raum als Kommu­nikations­mittel funktioniert.“

 

Eine Frage der Perspektive

Der von Menschen gestaltete Innen­raum – ob Interieur oder Innen­architektur – war immer schon besonders dafür dienlich, sich ein Bild der Zeit und seiner Protagonist­*innen machen zu können. Die Bücher der Kunst- und Design­geschichte, der Kunst- und Design­wissen­schaften, der Be­schreibung und For­schung von Raum­phäno­menen, der Atmos­phären, der Zeichen, der Tradition, der Mani­pulation, sind voll davon. Im gestalteten Innen­raum spiegeln sich Affi­ni­täten, Wert­vorstellungen, Bezieh­ungen, Prioritäten und Persön­lichkeiten. Ver­halten, Rituale, Ziele und Stim­mungen werden neu definiert oder mindestens gerahmt. Dabei ist dies in Analyse und Inter­preta­tion – wie auch Gestaltung an sich – niemals kontext­los zu betrachten.

Meine eigene Beziehung zur Innen­archi­tektur hat ihren Anfang retro­spektiv in meiner Jugend. Ich war Teen­ager, mein Leben im familiären Um­bruch und wieder einmal zu Besuch bei der Nachbars­familie. In dem sauer­ländischen Dorf, in dem ich auf­wuchs, waren sie diejenigen, deren Lebens- und Familien­modell wohl am ehesten mit modern zu beschreiben war. Im Inneren ihres Hauses bewegte man sich in einem offenen Grund­riss; reduzierte Formen­sprache, die Einflüsse ihrer vielen Reisen ablesbar. Sie zeigten viel, aber nie zu viel. Ein eklek­tischer Stil, wohl kuratiert. Wie im Museum, dennoch wohn­lich in den sich auf­lösenden Raum­grenzen. Etwas Ver­gleich­bares kannte ich bis dato nicht; Familie und Haus nahmen für mich Vor­bild­charakter ein. An einem Tag in den 1980er Jahren ver­stand ich dann, dass Raum als Kommuni­kations­mittel funktioniert. Ohne Worte, ähnlich einem Gemälde, immens aus­sage­kräftig. In einer Phase – persönlich sehr in Be­wegung – entwickelte ich im Über­gang zur nächsten eine bestimmte Sensi­bilität meinen (räum­lichen) Um­feldern gegenüber. Immer schon war ich analy­tische Beo­bachterin – oft auch jenseits des bekannten, tag­täglichen Rahmens. Ich nahm mein Studium der Innen­archi­tektur auf. Ich war beein­druckt, ver­zaubert. Das hält bis heute an.

Vom Innen­raum, Interieur zur Innen­archi­tektur: Alle eint in ihrer Essenz die kommuni­kative Rolle von gestaltetem Innen­raum. Diesem Aspekt wünsche ich lang­fristig eine noch inten­sivere, gesamt­gesell­schaftlichere Be­achtung, Be­trachtung und Wert­schätzung. Der Weg, den wir aktuell be­schreiten, ist viel­ver­sprechend. Innen­raum wird von Tag zu Tag gesell­schafts­relevanter.

 

Bilaterale Beziehungen

Faktisch bezieht sich Innen­architektur auf den uns um­gebenden Raum, das uns um­gebende, gestaltete drei­dimensionale innere Gefüge aus Boden, Wand und Decke, das im Zusammen­spiel diverser Elemente unsere individuelle, aber auch öffent­liche Lebens­welt physisch konkre­tisiert. Büro, Museum, Wohn­zimmer – alles ist in­begriffen. Wie in anderen Gestaltungs­disziplinen auch, geht es nicht aus­schließlich um das, was man sieht oder zu sehen meint, sondern auch um Em­pfinden und Assoziation – und die unter­bewusste Ent­schlüsselung einer Intention. In der Betrachtung oder im Erleben von Innen­architektur ist die Implementierung von Funktion, Ästhetik sowie die Qualität ein­gesetzter Werk­zeuge mit­einzu­beziehen. Gleicher­maßen relevant sind auch wahr­nehmungs­psycho­logische Kompo­nenten oder soziale und kulturelle Ebenen wie Status, Symboliken und Codes. Nicht nur unterstützt Innen­architektur unsere Verortung, sie soll immer auch ihre Nutzer­*innen als solches inspirieren, motivieren und unterstützen.

„Innenarchitektur ist mehr
als weit weg von Ober­fläch­lich­keit und Be­lie­big­keit. Sie be­ein­flusst unser soziales Mit­ein­ander un­mittel­bar.“

Zusätzlich zu der emotio­nalen und sensorischen Ge­wichtung, und – unausweich­lich – dem Ein­bezug von Nach­haltigkeit und Angemes­sen­heit, ist sie durch ihren dezidierten Entwurf ein­gehend kraft­voll ein­setz­bar, etabliert einen nutz­baren Mehr­wert. Innen­archi­tektur ist mehr als weit weg von Oberflächlichkeit und Beliebigkeit. Sie beeinflusst unser soziales Miteinander unmittelbar. Sie berührt, löst Emotionen aus, ist erfolg­reich um­gesetzte Bau­kultur und Lebens­qualität; im privaten, wie auch im halb­öffent­lichen und öffent­lichen Raum. Möglich­keits­raum. Innen­architektur ist ohne seine Nutzer­*innen nicht denkbar. Die bilaterale Beziehung, die sich unter anderem durch An­eignung und Nutzung des Raums durch den Menschen ergibt, ist ent­scheidend – und prägt ein neueres partizi­pativ­eres Raum­ver­ständnis. Menschen und Raum können sich gemein­sam bedingen und ver­ändern und bleiben anpassungs­fähig und flexibel, ob der Dinge, die der Wandel uns bringt. Einen Anspruch auf Ewig­keit gibt es nicht.

 

Beruf – Berufung

In den vergangenen Jahren sind viele Be­streb­ungen, vor allem der Human­wissen­schaften, zusammen­geführt worden, die den an­wendungs­bezogenen Teil der (akademischen) Fach­disziplin Innen­archi­tektur auch theo­retisch unter­mauern. Die viel­fältigen Dimensionen wie Ästhetik, Psychologie und Soziologie – und die damit ein­hergehende Legi­timation jenseits des Raum­künstler­ischen ist zwischen­zeitlich be­legt. Während an den Hoch­schulen aktiv Forschung be­trieben wird, sucht man nach Veröffent­lichungen zur Innen­architektur­theorie im deutsch­sprachigen Raum meist (noch) vergeblich. Vielmehr wird die Fach­richtung der Innen­archi­tektur, die in Deutschland traditionell sehr praxisnah auf­gestellt ist, thematisch unter der Design- oder Architektur­theorie geführt. Das muss sich ändern. Die Innen­architekt­*innen dieses Landes – europa­weit genießt die Be­zeichnung Innen­architekt­*in nur hier Titel­schutz – sind gefragt, sich zu ver­netzen und ent­sprechende Pro­zesse in Gang zu setzen. Ich bin der festen Über­zeugung, dass dieses Vor­haben das Berufs­feld nach­haltig identitäts­bildend, selbst­bewusst und kompetenz­fördernd be­reichert. Oft­mals in einem Topf, in einer Gemenge­lage zusammen mit der Kreativ­wirtschaft, wird es bewirken, Tätig­keits­felder der Innen­architektur im inhalt­lichen Sinne zu präzisieren. In den inter­disziplinär auf­gestellten Teams der Zukunft kann man dann mit spezifischer, sich ergänzender Expertise agieren.

Während ich diese Dinge denke und diese Zeilen schreibe, mit einem Blick zurück, aber vor allem einem in die Zukunft, stelle ich einiges in Frage. Wovon ich überzeugt bin, ob der Dinge, die da kommen werden: Guter, mehr­dimensio­naler, werte­vermitteln­der und identitäts­stiftender Innen­raum wird nicht an Rele­vanz ein­büßen. Im Gegen­teil. Während gebauter Raum, ob innen oder außen, immer auch Geschichte ist, so ist er vor allem auch Zu­kunft. Ich persönlich bin neu­gierig auf Zukunft. Ich bin neu­­gierig da­rauf, aus Leiden­­schaft. Als Innen­­architekt­*innen diese Zukunft denken, mit­­gestalten und prägen zu können, stellt eine große Verant­wort­ung dar, die Er­wartungs­haltung ist immens. Gleicher­maßen ist diese Er­wartungs­haltung eine immense Moti­vation. Dem­zufolge lautet ein Ziel, Kreativ­wirtschaft in eine Kreativ­kultur münden zu lassen, die alle Bereiche des gestalteten, gesell­schaft­lichen Gesamt­kontext umfasst. Seite an Seite, auf einem Nenner.

Prof. Sabine Keggenhoff

führt gemeinsam mit Dipl.-Ing. Michael Than das Büro KEGGEN­HOFF | PARTNER. Durch die Ver­knüpf­ung der Dis­ziplinen Architektur und Innen­archi­tektur wird ein Mehr­wert geschaffen, der das Potenzial von Raum ziel­führend und an­gemessen ver­mittelt: von innen nach außen, von außen zurück.

www.keggenhoff.de
www.instagram.com/keggenhoffpartner