NACHRUF
Die Design-Marketingspezialistin Nicole Rösler ist nach kurzer, aber schwerer Krankheit verstorben. Der Deutsche Design Club trauert um eine wertvolle Mitstreiterin, Kooperationspartnerin und Freundin. Ein Nachruf von Wolf Wagner, der ein guter Freund von Nicole war.
Nicole Rösler – Surrealismus trifft Glamour! Wer Nicole Rösler einmal gesehen hat, konnte meinen, sie sei einer surrealistischen Szene entsprungen – vielleicht einem Film von Luis Buñuel, dem Studio 54 oder Andy Warhols Factory. Ihre Art der ikonischen und selbstbewussten Inszenierung als lebendes Kunstwerk erfordert hohes Selbstvertrauen. Genau dies machte sie immer wieder zum Gesprächsthema. Doch hinter dem durchaus choreografierten Äußeren war sie vor allem eines: ein zutiefst emotionaler und tiefsinniger Mensch. Kreativ, nachdenklich, voller Gedanken über das Leben, Bindungen, Gesellschaften. Eine Frau, die das Spiel mit dem Schein beherrschte, ohne je Schein zu sein.

German Wunderkind
Geboren in Frankfurt am Main, am 22. Juni 1968, ein Zwillingsbruder, der Vater war Ingenieur, die Mutter schöngeistige Mode-Ikone der Hautevolee. Nicole studierte Marketing und Psychologie an der Lake Michigan University, darauf folgten einige Semester Psychologie an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität, später dann das Diplom als Marketing-Kommunikationswirtin.
Ihr beruflicher Werdegang ist beeindruckend: Nicole begann ihre Karriere in einigen der führenden Agenturen, darunter Trust (ehemaliges DDC Mitglied Thomas Feicht) und Leo Burnett (DDC Ehrenmitglied Michael Conrad), wechselte dann auf die Industrieseite und wirkte im Marketing globaler Luxusmarken wie Omega, Escada und Montblanc sowie später für die Sanitärmarke Kaldewei als Marketingchefin, entwickelte Grohe Spa und führte als Markenbotschafterin für Axent Switzerland (mit Headquarter in China) zum Erfolg. Erfolgreich lancierte sie zudem die neue Living- und Lifestyle-Messe „German Homestyle“ in Nanjing, China.
Brückenbauerin
Sie war eine der ersten Frauen mit leitender Position im Marketing der Sanitärbranche, zu der Zeit eine klassische Männerdomäne. Vor einigen Jahren gründete sie gemeinsam mit Andreas Gantenhammer in Düsseldorf ihre eigene Agentur German Wunderwerk, um Brücken zwischen China und Deutschland zu bauen. Hinzu kam eine Plattform für freischaffende Autor*innen, um ihre Erfahrungen auch in diesem Bereich mit anderen zu teilen. Ihre Strategien waren immer individuell – geprägt von Stil, Intuition und einer klaren Vision.
Ihr Antrieb war nicht nur der Erfolg, sondern die Verbindung von Menschen, Ideen und Kreativität. Diese Fähigkeit machte sie einzigartig. In der Zusammenarbeit – ob in der Wirtschaft, im Design oder in der Schreibkunst – war sie immer eine Brückenbauerin. Eine, die neue Wege dachte und sie gemeinsam mit anderen gestaltete. Belohnt wurde sie und ihre Teams mit Auszeichnungen wie mit dem German Brand Award, mehrfache German Design Awards, Architects Darling Award, iF Awards und Red Dot Awards.
Nicoles Credo:
„Ich bringe Menschen und Marken zum Strahlen. Einige Menschen und Marken sind wirkliche Wegbereiter und haben eine Bestseller-Story zu erzählen. Individuelle, authentische und wirksame Wege in den Erfolg gemeinsam zu finden ist mein Versprechen und meine Leidenschaft.
Durch außergewöhnliche und langjährige Erfahrung mit dem Leben, den Menschen und den Marken bin ich eine Expertin. Des Lebens. Des Marketings. Der Beziehungen. Meine Sicht auf das Leben und die Menschen ist die der gelebten psychologischen Markenführung.
Mein Treibstoff: immanente Neugier und die Liebe und Lust am Leben und den Menschen. Weltweit. Beyond borders and gender. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie trickreich es ist, seinen eigenen Weg in ein glückliches Leben zu finden und trage mit meiner Mission hoffentlich dazu bei, die Welt ein bisschen besser zu machen.“
Der Denkerdialog – Plattform für freies Denken und Diskurse
Während des Corona-Lockdowns startete Nicole zusammen mit ihrer guten Freundin Susanne Dessaive den „Denker Dialog“ – ein Livestreaming Diskurs-Format, das in drei Sessions verschiedene Menschen zu einem Thema gleichberechtigt ins Gespräch bringt. Man findet die Aufzeichnungen dazu auf den bekannten Streaming-Plattformen.
Zu den Gästen zählen: Dr. Christian Kurtzke (Together Group, former CEO Porsche Design Group und Founding President of the German Luxury Association), Christoph Hoffmann (CEO/Partner 25hours Hotelgruppe), Prof. Dr. Verena Metze-Mangold (Präsidentin a. D. der Deutschen UNESCO-Kommission), Zeèv Rosenberg (Präsident der HSMA Deutschland e.V.), Carolina Romahn (heute CEO World Design Capital 2026 Frankfurt RheinMain), Boris Palmer (Bürgermeister von Tübingen), Prof. Dr. Yvonne Ziegler (Professorin für Betriebswirtschaft mit besonderem Schwerpunkt Luftverkehrsmanagement an der Frankfurt University of Applied Science) und viele weitere.
Die Grundidee dazu stammt von David Bohm (1917-1992), einem Quantenphysiker und Denker, der sich intensiv mit Philosophie und Kommunikation beschäftigte. Nicoles Version griff diesen Geist auf und belebte ihn für unsere Zeit. Ich habe selbst daran einige Male teilgenommen, wurde von ihr eingeladen mitzuwirken – und ich glaube, sie hätte es gemocht, wenn ich an dieser Stelle ein wenig ausgeholt hätte.
Voilà:
René Descartes (1596-1650) prägte mit „Cogito, ergo sum“ (Ich denke, also bin ich) die abendländische Vorstellung vom Denken als individueller Reflexion. Doch dieses Denken bleibt oft in uns selbst gefangen.
Schon Sokrates (469-399 v. Chr.) wusste, dass das Denken allein nicht ausreicht. Durch gezielte Fragen forderte er seine Gesprächspartner*innen heraus, ihre Überzeugungen zu hinterfragen. Sein Ziel war es nicht, die Wahrheit zu verkünden, sondern sie gemeinsam zu entdecken.
Jürgen Habermas (geb. 1929) – einer der wichtigen Vertreter der Frankfurter Schule – prägte die Idee des „herrschaftsfreien Dialogs“ als ein Gespräch, in dem alle gleichberechtigt sind.
Heute, in einer Welt der schnellen Urteile, der lauten Debatten und kurzen Statements ist diese Art des offenen, tiefgründigen Gesprächs selten geworden. Nicole hat es auf verschiedene Art und Weise möglich gemacht, so auch im „Denker Dialog“. Sie hat Räume geschaffen, in denen sich Menschen auf Augenhöhe begegnet sind – im Denken, im Zuhören, im gemeinsamen Entwickeln neuer Perspektiven.
Was hat das mit dem DDC und dem Gestalten zu tun? Der Dialog ist ein Werkzeug der Gestaltung, Dialog schafft eine Basis für jede Gestaltung, das betrifft den Dialog zwischen Menschen, mit sich selbst oder in der Reflexion mit der Welt. Zugleich tritt jede gute Gestaltung mit uns in einen Dialog. Wir Gestalter*innen wissen, es gibt nichts, das nicht kommuniziert. Soweit kurz angerissen eine Position zum „Denker Dialog“.
Freiheit, Stil und Authentizität
Frei denken, frei sein – das war Nicoles Credo. Sie lebte die Freiheit, ermutigte andere dazu und blieb dabei immer ehrlich, authentisch und positiv. Sie konnte die Dinge so sagen, wie sie waren: direkt, klar, analytisch, zugleich nie verletzend. Im Business, in der Gesellschaft, im Privaten.
Sie war eine, die Menschen verbinden konnte oder ihnen eine Plattform bot, sich zu begegnen. Im Marketing nutzte sie diese Gabe, um Menschen für Marken und Produkte zu begeistern. Sie lebte, was sie anderen ans Herz legte: den Mut zu Stilbewusstsein und Pioniergeist.
„Stilikonen und Pioniere“
Seit 2010 war Nicole in verschiedenen Kooperationen mit dem Deutschen Design Club (DDC) aktiv. Ich erinnere mich noch genau: Wir trafen uns erstmals im „Kitchenlab“ gleich unter dem DDC Office zu einem durch mich eingeladenen Frühstück zusammen mit dem Herausgeber eines Designmagazins. Das DDC Office beziehungsweise das Kitchen Lab, zu der Zeit im schmalsten Gebäude der Stadt mit Namen „Sevenswans“ (damals Restaurant, Bar, Lab, Appartment) untergebracht, war womöglich der beste Ort Frankfurts. um kreative Ideen regelrecht gemeinsam zu „erkochen“ und bei Kulinarik weiter zu entwickeln. Es ging uns um Ideen für eine Zusammenarbeit. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir eine gemeinsame Vision, wurden darüber gute Freund*innen.
Wir entwickelten das Konzept „Bäder für Stilikonen und Pioniere“ als Kooperation zwischen dem DDC, Kaldewei und dem BIZ Verlag. Hieraus entstand eine freie, kreative Plattform, unabhängig von Werbung oder Vorgaben. Das Projekt wurde durch die Marke Kaldewei über mehrere Jahre supportet. Ziel war es, Bäder als Lebensräume und Ausdrucksräume bekannter Stilikonen und Pioniere durch renommierte Designer*innen und Architekt*innen zu gestalten, inszeniert wie die Modestrecken der Hochglanzmagazine. DDC Mitglieder aus Gestaltungsbüros wie Ippolito Fleitz Group, RaiserLopes, Neusitzer Brand Identity (bis 2024 Markwald Neusitzer Identity), Atelier Markgraph, Franken Generalplaner (ursprünglich Franken Architekten) und weitere nahmen teil, gestalteten zum Beispiel Bäder für Cleopatra, Jacky Kennedy, Coco Chanel, Winston Churchill, James Bond und weitere Stilikonen oder Pioniere. Damals ein mutiger Ansatz, der von manchen als speziell bezeichnet wurde. Ich sage, es war visionär. Beleg dafür sind die in gewisser Weise darauf aufbauenden Bilderstrecken einzelner Magazine.
Nebenbei gab Nicole meiner zu der Zeit noch ungewöhnlichen Idee Raum, das Projekt eben nicht mehr als klassischen Projektwettbewerb aufzuziehen, sondern die Teilnehmenden selbst jurieren zu lassen. Es erschien mir einfach unsinnig, immer nur gegeneinander zu pitchen und die Entscheidung anderen, nur für den Moment Involvierten zu überlassen. So konnte dank ihres Support ein noch überschaubares und doch folgenreiches Experiment stattfinden. Und das, nachdem ich es schwer hatte, die entscheidenden Personen des DDC Vorstands von der Kraft dieser Idee zu überzeugen. Diese Entscheidung förderte dennoch die Transformation des DDC, wenn auch fast ein Jahrzehnt später, dank einer weit größeren Plattform und mit anderer Kommunikation durch unsere dann weitsichtigen Vorstände. Auch Nicole machte es somit grundlegend durch ihren Support des Neuen möglich. Der heutige DDC dankt Nicole dafür.
Female Leadership – eine Pionierin in der Branche
Die Sanitärbranche war und ist noch immer eine männerdominierte Branche. Nicole war eine der ersten Frauen, die es vor 15 Jahren an die Spitze schaffte, die Marken prägte und strategische Entscheidungen beeinflusste. Heute sehen wir mehr Frauen in diesen Positionen. Nicole hat ihnen den Weg mitgeebnet.
Nicole hatte Haltung. Ich erinnere mich an einen Moment, der das besonders deutlich machte: Einmal verließ sie eine Preisverleihung, weil ihr der Umgang miteinander nicht gefiel. Sie nahm nicht einfach hin, was sie nicht für richtig hielt, obgleich sie nicht persönlich betroffen war.
Die Kunst, Menschen zusammenzubringen
Auch als sie offiziell nicht mehr als Vertreterin des Fördermitglieds Kaldewei aktiv war, blieb sie dem DDC verbunden, brachte weiter Menschen zusammen. Sie hatte ein feines Gespür für die Mechanismen in Märkten und Unternehmen und teilte ihr Wissen mit denen, die es zu schätzen wussten.
Jährlich lud sie nach Düsseldorf zum Rosenfest ein. Hier, in ihrem persönlichen Salon, traf sich die Gesellschaft einmal jährlich. Auf der Agenda stand die szenische Lesung ihres jeweils neusten Romans, verbunden mit Musikdarbietungen, Gaumenfreuden und guten Gesprächen.
An den von Nicole arrangierten Tischen bei gesellschaftlichen Anlässen, Dinner oder Business-Meetings trafen die unterschiedlichsten Menschen aufeinander: Kreative, Unternehmer*innen, Denker*innen. Sie brachte Menschen ins Gespräch, ließ sie einander kennenlernen, neue Verbindungen knüpfen. Und tatsächlich hat sie sich noch bis vor kurzem engagiert, damit der DDC im World Design Capital weitere Vernetzungen bekommt.
Schriftstellerin Nicole Rose
Immer dabei: ihr edles Notizbuch und ihr Montblanc-Füllfederhalter. Sie schrieb mit, hielt Gedanken und Zitate fest – für sich, für ihre Bücher. Denn auch das war sie: eine Schriftstellerin. Zehn Romane hat sie unter ihrem Pseudonym „Nicole Rose“ geschrieben, in denen sich die Gesellschaft, das Business, das Leben spiegeln – mit Ironie, Humor und Sex-Appeal. Ich selbst lese keine Belletristik, das ist kein Geheimnis, sie wusste es. Wie auch immer, man sollte ihre Bücher lesen, denn sie erzählen mehr über Nicole, ihr Leben in Miami, die Tragik einer früheren Beziehung – mehr als man in einem Nachruf schreiben kann. Zuletzt war von einer Verfilmung die Rede, von einer Übersetzung ins Chinesische. Ich glaube, das wird kommen, mit Nicoles Optimismus kann man sagen: Das wird passieren.
Eine Liebe, ein viel zu kurzes Leben
In ihren letzten Jahren hatte Nicole einen besonderen Menschen an ihrer Seite: Dr. Bernhard Kneißel. Es war offensichtlich, ihr Glück war echt. Doch die gemeinsame Zeit war viel zu kurz. Nach schwerer kurzer Krankheit ist Nicole von uns gegangen. Doch sie bleibt auch. In den Projekten und Plattformen, die sie angestoßen hat und die ich hier nur auszugsweise darstellen konnte, in den Menschen, die sie verbunden hat, in ihren Geschichten, in den Gesprächen, die durch sie entstanden sind und sicher noch stattfinden. Nicole hinterlässt ihren Zwillingsbruder, die Eltern, ihren Partner sowie viele gute Freundinnen und Freunde. Die Stilikone Nicole Rösler war keine bloße Projektion. Sie war real. Und sie wird bleiben.







