Countathon

Mit „Designpreis­jurys aus­ge­zählt“ unter­sucht der Deutsche Design­tag seit 2021 die Ge­schlech­ter-Zu­sam­men­setz­ung von deut­schen Design­jurys. Im März 2023 be­teilig­te sich der DDC an der Aus­zähl­ung der Jahr­gänge 2022/2023. Das Ergeb­nis: Gradu­ell bessert sich etwas, aber aus­ge­glichen ist die Besetz­ung noch lange nicht.

Veröffentlicht am 05.12.2023

„Designpreisjurys aus­ge­zählt“ ist seit 2021 eine regel­mäßige Unter­such­ung des Deut­schen Design­tags (DT). In ihr be­schäftigt sich der Dach­ver­band mit der Zu­sam­men­setz­ung von Design­jurys in Be­zug auf deren Ge­schlechts­zu­ge­hörig­keit im deutsch­sprachigen Raum. Hier­zu werden die auf den Web­sites der je­weiligen Design­preise ver­öffent­lichten Jury­mit­glieder aus­ge­zählt – die Ge­schlechter­zu­ge­hörig­keit wird dabei gelesen.

Die Women of DDC organisierten am 23. März 2023 in Frankfurt am Main einen Countathon. Bild © Philip Augustin

Im März 2023 wurde für die Zähl­ung in Ko­opera­tion von Deut­scher Design­tag mit Deut­scher De­sign­er Club/ Women of DDC ein COUNTATHON durch­ge­führt, bei dem 20 De­signer­*innen in Frank­furt die Daten von etwa 150 Jurys aus den Jahren 2022/2023 erhoben. Soviel vorne­weg: am Ziel einer aus­ge­glichen­en Be­setz­ung aller Jurys sind wir noch nicht ange­kom­men. Für die Jahr­gänge 2022/2023 sind in allen ge­lesenen Design­jurys 938 Männer und 630 Frauen ge­zählt worden. Immer­hin eine Ver­bes­ser­ung, wenn man auf die Jahr­gänge 2020/2021 blickt, wo das Ver­hält­nis bei 1322 Män­nern zu 563 Frauen über alle Design­jurys hin­weg lag. Seit Zähl­ung im Jahr 2018 bis zum Jahr­gang 2023 besteht das Ver­hält­nis von 3105 Män­nern gegen­über 1660 Frauen in Design­jurys. Bislang konnte noch kein Jury­mit­glied als divers gelesen werden.

Besetzung der deutschen Designjurys für die Jahre 2018 bis 2023. Bild © Deutscher Designtag

Auswertung

Beschrieben werden hier ledig­lich Auf­fällig­keiten posi­tiver und nega­tiver Art sowie kur­ze Ana­lysen branchen­spezif­ischer Charak­teris­ti­ka, was die Jury-Besetz­un­gen be­trifft. Insofern sind die nament­lich be­nan­nten Jurys, als exem­plar­ische Trends zu lesen. Alle aktu­ellen Zahl­en sowie die Ergeb­nisse der vor­her­igen Zähl­ung von 2020/2021 sind hier aus­führ­lich doku­mentiert.

 

1. Auffällig­keiten männ­lich domi­nier­ter Jurys

Die meisten der sehr vielen ADC-Jurys weisen ein katas­tro­phal­es Ge­schlechter­ver­hält­nis zu­ungun­sten der Frauen aus. Es gibt sogar einige, die ganz ohne Frauen aus­kommen (15 männlich : 0 weib­lich bei den Wett­be­wer­ben Dialog­marke­ting oder Inter­face + Motion!).

Weitere Bei­spiele sind:

  • BoB (Best of Business to Business): 27m : 9w
  • Cannes Corporate Media & TV Awards: 28m : 21w
  • Corporate Design Preis: 13m : 4w
  • European Product Design Award: 13m : 4w
  • Auto Vision Award: 14m : 6w
Ein Beispiel für männerdominierte Designjurys: der Corporate Design Preis, Jahrgang 2022/2023. Bild © Deutscher Designtag

2. Auffälligkeiten von Jurys mit Tendenz zu Geschlechtergerechtigkeit

Der ADC hat erschreck­end wenige Jurys zu bieten, in denen das Ge­schlech­ter­ver­hält­nis aus­ge­glichen ist, zum Bei­spiel in den Kate­gorien „Film“ / „Craft“ (7m : 8w und 8m : 7w), „Graphic“ / „Product“ / „Packaging“ (8m : 7w und 7m : 8w), „Brand Identity“ / „Design“ / „Com­muni­cation Arts“ (7m : 8w und 6m : 9w).

Hervorzuheben ist „Brand Building“ + „Activation – Integrated“ ( = Kom­muni­kation), wo sich die Zusam­men­setz­ung in den Jahren 2020/2021 von 13m : 2w deutlich ver­bessert hat auf ein faires Ver­hält­nis von 8m : 7w in den Jahren 2022/2023, ebenso in der Kate­gorie „Copy“ für 2022/2023 (8m : 7w).

Der ADC weist in vielen seiner Jurys immer noch große Geschlechterunterschiede auf, hat sich aber für 2022/2023 schon verbessert. Bild © Deutscher Designtag

Graduelle Verbes­ser­ungen gibt es bei einigen ADC Jurys von 2020/2021 auf 2022/2023, zum Bei­spiel in den Kate­gorien „Film — Mobile/Online“, „Film TV/Cinema“, „Imagery — Photography“.

Ebenfalls etwas ver­bes­sert hat sich der iF Design Award: die Jury setzte sich für die Jahr­gänge 2020/2021 mit einem Ver­hält­nis von 50m : 25w zu­sam­men. In den Jahren 2022/2023 ver­bes­serte sich dieses Ver­hält­nis von 74m : 57w.

Der renommierte Annual Multi­media Award ist wohl sehr egalitär ver­treten (auch auf der Web­site kom­men viele Frauen in Videos zu Wort): Wir haben nur die Zahlen von 2022/2023 vor­liegen: 6m : 7w.

 

3. Auffälligkeiten weiblich dominierter Jurys

Der Fashion-Nach­wuchs­preis Apolda Euro­pean Design Award war 2020/2021 mit 8m : 10w und in 2022/2023 mit 4m : 9w be­setzt, also eine deut­liche Mehr­heit weib­licher Jury­mit­glieder.

Dass die Jury des iphiGenia Gender Design Award von Beginn an über­wiegend weib­lich be­setzt ist, scheint auf­grund der Ziel­setz­ung nicht besonders erstaunlich (1m : 4w).

Verbessert im Sinne eines aus­ge­glichen­en Ge­schlech­ter­ver­hält­nis­ses haben sich z.B. der Ger­man Design Award (von 14m : 8w in 2020/2021 auf 18m : 19w in 2022/2023), der Green Product Award (von 16m : 12w in 2020/2021 auf 12m : 14w in 2022/2023).

Auch scheinen Wett­be­werbe mit Aus­richt­ung auf die Kate­gorie „Öko­lo­gie/Nach­haltig­keit“ Frauen in den Jurys häuf­iger zu be­setzen, zum Bei­spiel der Deutsche Nach­haltig­keits­preis für die Jahr­gänge 2022/2023 mit einem Ver­hält­nis von 8m : 9w.

Beispiel für eine ausgewogene Besetzung ist der Deutsche Nachhaltigkeitspreis. Bild © Deutscher Designtag

Weitere Beispiele sind:

  • BFF Förderpreis: 2m : 5w (2022/2023)
  • Beyondplastic Award: 2m : 4w (2020) und 4m : 4w (2021)
  • Buntspecht: 2m : 3w (2019) und 2m : 4w (2022)
  • Der Meefisch (Bilderbuchillustration): 1m : 4w (2022/2023)
  • Eurobest: 20m : 24w


Besonders positiv her­vor­zu­heben ist die Jury­besetz­ung in den von Bundes­ländern ver­geben­en Design­preisen: Design­preis Branden­burg 5m : 5w (2020/2021), Design­preis Rhein­land-Pfalz 3m : 4w (2022), Ge­staltungs­preis Hessen 1m : 5w (2022/2023), Hessischer Staats­preis Uni­ver­selles Design 5m : 7w (2020).

 

4. Analyse

Neben tenden­ziellen Ver­besser­ungen zu aus­ge­glichen­eren Ge­schlechter­ver­hält­nisse geht es in der Breite weiter­hin un­ge­recht zu. Zudem ist eben­so bemerkens­wert wie ärger­lich, dass sich Ge­schlechter­stereo­type weiter­hin halten: Design­be­reiche, die traditio­nell als „weib­lich“ gelten – Textil, Mode, Style, Interior, Kom­muni­kation/PR (hier ins­beson­dere: Print- und Poster­ge­staltung, Illus­tration, Kinder­bücher …) –, versam­meln die Jurys egalitär oder zugun­sten von Designer­innen. Bereiche, die gesell­schaft­lich eher „männ­lich“ assozi­iert werden – Produkt, Marke­ting, Auto/Mobili­tät, Film … – spiegeln sich ge­nauso in der perso­nellen Besetz­ung der Jurys.

Ein Zeichen dafür, dass sich zukünf­tig an der un­gleichen Zusam­men­setz­ung der Design-Jurys etwas ändern könnte, sind die Nach­wuchs­preise mit einem deut­lich besseren Ge­schlechter­ver­hält­nis: Kölner Design­preis 2m : 3w (2023), mb21 (Multi­media für alle bis 25 Jahre) 4m : 5w (2022), Nach­wuchs­preis MehrWert NRW: 1m : 6w (2022/2023).

Die Women of DDC organisierten am 23. März 2023 in Frankfurt am Main einen Countathon. Bild © Philip Augustin)

Was also lernen wir daraus?

Es gibt Ansätze, Jury­besetz­un­gen zu­gun­sten eines bes­ser aus­balan­cier­ten Ge­schlech­ter­ver­hält­nisses zu ver­än­dern; einige Jurys haben sich von 2020/2021 auf 2022/2023 ver­bes­sert – hier bleibt zu beo­bachten, wie sich die Ten­denz weiter­hin ver­hält und ob tat­säch­lich ein nach­haltiger Bewusst­seins­wandel statt­gefunden hat.

Noch zu viele Jurys sind domi­nant (manche sogar aus­schließ­lich) männ­lich be­setzt, und leider be­fin­den sich viele der renom­mierten und als beson­ders wichtig er­achte­ten Organi­satio­nen darun­ter, die die Jurys ge­schlechter­un­ge­recht besetzen.

 

Es bleibt noch sehr viel zu tun!

Da es bisher noch kaum Zahlen und Daten zur Zu­sam­men­setz­ung der Design­jurys im deutsch­sprach­igen Raum gibt, war es ein erster Schritt für den Deutschen Design­tag, die Ge­schlechter­ver­hält­nisse in den Design­jurys auf­zu­zeigen. Einige Jurys haben an­hand der Zahlen des DT bereits Schritte einge­leitet, ihre Jurys ge­schlech­ter­ge­rech­ter zu­sam­men­zu­setzen. Dabei wird wieder ein­mal deut­lich, wie die Visu­ali­sier­ung von Zahlen Ver­änder­ungen be­günstigen kann.

Die Studie ist so angelegt, dass männ­liche, weib­liche und diverse Jury­mit­glieder ge­zählt werden. Zu den diversen Jury­mit­gliedern gibt es noch keine Daten, da bei den bis­herigen Zähl­ungen leider nie­mand als divers ge­lesen wurde. Auch hier wünschen wir uns mehr Präsenz und Sicht­bar­keit der sich divers lesen­den Jurymitglieder.

Ebenso wichtig: Preise von einer divers auf­ge­stell­ten Jury werden auch diver­ser ver­geben. Dabei ist natür­lich nicht nur die Frauen­quote inter­es­sant – sondern auch das Ver­hält­nis von People of Color und weißen Menschen oder auch Menschen, die mit Behinder­ungen leben. Leider lässt sich das deut­lich schlechter zählen – wes­wegen wir es bei der Zähl­ung der Frauen- und Männer­namen belassen müssen.

Mehr unter:
https://studiedesignjurys.designtag.org
https://www.designtag.org

Designjurys ausgezählt – COUNTATHON für die Jahrgänge 2022/2023

Die Aktion war eine Ko­opera­tion des Rats für Geschlechter­gerechtig­keit und LGBT*IQ des Deutschen Design­tag und den Women of DDC. Initia­tor­in­nen waren Miriam Horn-Klim­mek (Deutscher Designtag) sowie Sophie Dobrig­keit und Judith Augustin, die Hosts der DDC Women’s Tables. Gezählt haben: Elena Abramova, Marie Bertsch, Annette Bertsch, Nicole Bräutigam, Gabriela Dule, Carolin Dürren­berg, Diana Ninov, Sigrid Ortwein, Silke Philipps-Deters, Ulrike von der Osten, Julia Wiss­wesser, Helena Kiefer, Barbara Glasner und Bettina Braun. An der Nach­be­reit­ung (Text) beteiligt waren Uta Brandes, Thomas Hoyer, Miriam Horn-Klimmek, Judith Augustin. Die Räum­lich­keiten wurden zur Ver­fügung gestellt von MESO Digital Interiors, vor Ort dabei Mathias Wollin. Das Catering kam von Lucie Nienburg / Ikonomo. Fotos machte Philip Augustin.