Studie „Zur Praxis der Designforschung in Deutschland 2024“, herausgegeben vom IfDRA, German Design Council, Infografiken © Luzia Hein und Julian Peschel 

DESIGN DISKURS

De­si­gn­for­schung ha­be im deutsch­spra­chi­gen Raum im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich gro­ßen Nach­hol­be­darf laut ei­ner Stu­die des In­sti­tu­te for De­sign Re­se­arch and Ap­p­li­an­ce (If­DRA), das beim Rat für Form­ge­bung an­ge­sie­delt ist. Di­rek­tor Ste­phan Ott spricht mit Prof. Dr. Fe­lix Ko­sok über die Er­geb­nis­se und dar­aus ab­ge­lei­te­ten Ver­bes­se­rungs­po­ten­zia­le von De­si­gn­for­schung in Deutsch­land.

Veröffentlicht am 02.03.2025

Fe­lix Ko­sok: Ste­phan, du bist Di­rek­tor des In­sti­tu­te for De­sign Re­se­arch and Ap­p­li­an­ce (If­DRA), das beim Rat für Form­ge­bung an­ge­sie­delt ist. Was macht ihr da ge­nau?

Ste­phan Ott: Die grund­sätz­li­che Idee hin­ter dem If­DRA ist, die De­si­gn­for­schung im deutsch­spra­chi­gen Raum zu för­dern, ihr mehr Sicht­bar­keit und ei­ne ei­ge­ne Stim­me zu ge­ben und ver­schie­de­ne Ak­teur*in­nen mit­ein­an­der zu ver­net­zen. Aus un­se­rer Sicht spre­chen die ver­schie­de­nen Ak­teur*in­nen bis­her noch viel zu sel­ten mit­ein­an­der. Da­bei geht es uns nicht nur um den aka­de­mi­schen Be­reich, son­dern auch um die De­si­gn­for­schung in Un­ter­neh­men und in der De­sign­pra­xis.

Fe­lix Ko­sok: Der Na­me „De­sign Re­se­arch and Ap­p­li­an­ce“ deu­tet ja dar­auf hin, dass es nicht nur um die For­schung an sich geht, son­dern auch um de­ren prak­ti­sche An­wen­dung. Kann man das so sa­gen?

Ste­phan Ott: Ge­nau. Es geht uns nicht nur um Grund­la­gen­for­schung im klas­sisch-wis­sen­schaft­li­chen Sin­ne, son­dern auch dar­um, wie die aus die­ser For­schung er­lang­ten Er­kennt­nis­se an­ge­wen­det wer­den kön­nen. Des­halb ha­ben wir das In­sti­tut be­wusst nicht an ei­ne Hoch­schu­le an­ge­bun­den, ob­wohl das si­cher­lich mög­lich ge­we­sen wä­re. Uns war es wich­tig, ein brei­te­res Spek­trum ab­zu­de­cken und auch Un­ter­neh­men so­wie an­de­re Dis­zi­pli­nen ein­zu­bin­den, die mit De­si­gn­me­tho­den ar­bei­ten – zum Bei­spiel in der Päd­ago­gik. Die An­bin­dung an den Rat für Form­ge­bung er­schien uns des­halb sinn­voll, da die­ser eben­falls nicht nur auf ei­nen spe­zi­fi­schen De­si­gn­be­reich fo­kus­siert ist, son­dern die Wirt­schaft ge­nau­so adres­siert wie Kul­tur und Wis­sen­schaft.

Für die Studie wurden 35 qualitative und 150 quantitative Interviews geführt. Infografik © Luzia Hein und Julian Peschel

Fe­lix Ko­sok: Ja, ge­ra­de wenn es um ei­nen Über­blick über die De­si­gn­for­schung in den von dir be­schrie­be­nen Be­rei­chen geht, er­scheint mir ei­ne solch über­ge­ord­ne­te In­sti­tu­ti­on sinn­haft. Ihr habt ja kürz­lich ei­ne Stu­die zum Stand der De­si­gn­for­schung in Deutsch­land ver­öf­fent­licht. Hier­für habt ihr qua­li­ta­ti­ve In­ter­views mit Ex­pert*in­nen ge­führt und die­se Er­kennt­nis­se dann durch die quan­ti­ta­ti­ve Aus­wer­tung von Fra­ge­bö­gen be­stä­ti­gen las­sen. Be­vor wir tie­fer in die­se ein­stei­gen: Wo siehst du die grö­ß­ten Her­aus­for­de­run­gen für die De­si­gn­for­schung in Deutsch­land?

Ste­phan Ott: Ei­ne der zen­tra­len Her­aus­for­de­run­gen ist der stark aka­de­misch ge­präg­te For­schungs­be­griff in Deutsch­land. For­schung wird, wie ge­sagt, in ei­ner sehr lan­gen Tra­di­ti­on – auf die wir na­tür­lich auch stolz sein kön­nen – oft nur im Sin­ne von klas­si­scher Grund­la­gen­for­schung ver­stan­den – mit kla­rer Fra­ge­stel­lung, ei­ner iden­ti­fi­zier­ten, sehr en­gen For­schungs­lü­cke und strin­gen­ter Me­tho­dik. For­schung ist auch im­mer noch sehr stark mit dem Bild der Na­tur­wis­sen­schaf­ten ver­bun­den. De­si­gn­for­schung funk­tio­niert aber häu­fig an­ders. Sie ist pra­xis­ori­en­tiert, ite­ra­tiv und vor al­lem er­geb­nis­of­fen, was hier­zu­lan­de nicht im­mer als „ech­te“ For­schung an­er­kannt wird. Das spielt dann auch ei­ne Rol­le bei der Ver­ga­be von Gel­dern für For­schungs­vor­ha­ben, bei de­nen in Deutsch­land das De­sign im­mer noch viel zu we­nig be­rück­sich­tigt wird. Es geht uns auch gar nicht dar­um, die un­ter­schied­li­chen Ar­ten der For­schung ge­gen­ein­an­der aus­zu­spie­len. Uns geht es viel­mehr um ei­ne Er­wei­te­rung des For­schungs­be­grif­fes.

„Wir woll­ten mit un­se­rer Stu­die ei­nen Über­blick schaf­fen, wo De­si­gn­for­schung in Deutsch­land tat­säch­lich über­all statt­fin­det und wel­che Struk­tu­ren sie prä­gen.“

Ein wei­te­res Pro­blem ist die man­geln­de Ver­net­zung all der Fel­der, in de­nen De­si­gn­for­schung statt­fin­det und in de­nen Me­tho­den des De­signs zum For­schen ver­wen­det wer­den. User Re­se­arch in Un­ter­neh­men wird bei­spiels­wei­se oft nicht als Teil der De­si­gn­for­schung be­grif­fen, ob­wohl sie vie­le der Me­tho­den und Prin­zi­pi­en der De­si­gn­for­schung teilt. Wir woll­ten mit un­se­rer Stu­die ei­nen Über­blick schaf­fen, wo in die­sem Sin­ne De­si­gn­for­schung in Deutsch­land tat­säch­lich über­all statt­fin­det und wel­che Struk­tu­ren sie prä­gen.

Stephan Ott, Direktor des Institute for Design Research and Appliance (IfDRA) und Forschungsleiter der Studie. Bild © German Design Council

Fe­lix Ko­sok: Was wa­ren denn eu­re wich­tigs­ten Er­kennt­nis­se aus die­ser Stu­die?

Ste­phan Ott: Die Stu­die zeigt, dass die De­si­gn­for­schung im deutsch­spra­chi­gen Raum im in­ter­na­tio­na­len Ver­gleich gro­ßen Nach­hol­be­darf hat. Ins­be­son­de­re, wenn es um ih­re An­er­ken­nung als ei­gen­stän­di­ge For­schung mit ei­ge­nen Me­tho­den geht. In Groß­bri­tan­ni­en gibt es seit den 1960er Jah­ren die De­sign Re­se­arch So­cie­ty. In Schwe­den und den skan­di­na­vi­schen Län­dern ist die De­si­gn­for­schung viel stär­ker eta­bliert. De­si­gner*in­nen pro­mo­vie­ren dort re­gel­mä­ßig auch in Fä­chern, die nicht zur Kunst­ge­schich­te oder De­sign­ge­schich­te zäh­len. Hier­zu­lan­de ist das im­mer noch kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit und die Pro­mo­ti­ons­mög­lich­keit im De­sign gibt es auch noch nicht sehr lan­ge, wie du ja aus ei­ge­ner Er­fah­rung wei­ßt.

Ein wei­te­res Er­geb­nis war, dass De­si­gn­me­tho­den häu­fig auch in an­de­ren Dis­zi­pli­nen ge­nutzt wer­den, oh­ne dass dies ex­pli­zit im Kon­text der De­si­gn­for­schung ver­or­tet wird. Ein Bei­spiel ist das De­sign Thin­king, das in Un­ter­neh­men, aber auch in an­de­ren Kon­tex­ten oh­ne die Ein­bin­dung von De­si­gner*in­nen ver­wen­det wird. Es wer­den al­so Me­tho­den aus der De­si­gn­for­schung ad­ap­tiert, oh­ne dass dies klar be­nannt wird oder die ent­spre­chen­den Ex­pert*in­nen da­zu ge­holt wer­den. Bei­spiels­wei­se gibt es auch in der Päd­ago­gik oder der Ar­chäo­lo­gie An­sät­ze, die auf De­si­gn­me­tho­den zu­rück­grei­fen. Hier fehlt es oft an ei­ner be­wuss­ten Ein­ord­nung und An­er­ken­nung die­ser Ar­beit als De­si­gn­for­schung.

Studie „Zur Praxis der Designforschung in Deutschland 2024″, Infografik © Luzia Hein und Julian Peschel

Fe­lix Ko­sok: Wenn ich dei­nen Be­schrei­bun­gen zu­hö­re, kommt mir der Ge­dan­ke, dass krea­ti­ve De­si­gn­for­schung For­schung ge­ne­rell zu­gäng­li­cher macht und aus dem El­fen­bein­turm raus holt. Könn­te man sa­gen, dass De­si­gn­for­schung den For­schungs­be­griff de­mo­kra­ti­siert?

Ste­phan Ott: Ab­so­lut. De­si­gn­for­schung ver­bin­det krea­ti­ve Frei­hei­ten mit ei­ner lö­sungs­ori­en­tier­ten Pra­xis. Sie ist er­geb­nis­of­fen, aber den­noch pra­xis­be­zo­gen. Die­se Mi­schung macht sie für in­ter­dis­zi­pli­nä­re Pro­jek­te so wert­voll. Und dass Me­tho­den aus der De­si­gn­for­schung tat­säch­lich in so vie­len un­ter­schied­li­chen Fel­dern be­reits an­ge­wen­det wer­den, war mir vor der Stu­die ehr­li­cher­wei­se auch nicht klar.

Un­se­re Stu­die zeigt au­ßer­dem, dass De­si­gn­for­schung oft Soft Skills wie Em­pa­thie und Ver­mitt­lungs­kom­pe­tenz er­for­dert – Fä­hig­kei­ten, die in tra­di­tio­nel­len For­schungs­set­tings oft un­ter­schätzt wer­den. Die­se Soft Skills könn­ten sich in Zu­kunft als ent­schei­den­de Fak­to­ren für er­folg­rei­che In­no­va­ti­ons­pro­zes­se er­wei­sen. Hin­zu­kommt, dass De­si­gn­for­schung ei­ne viel hö­he­re Feh­ler­kul­tur hat. Die­se Of­fen­heit für Feh­ler und die Chan­ce, aus ih­nen zu ler­nen, ist auch et­was, von dem an­de­re Be­rei­che pro­fi­tie­ren kön­nen.

„Ein wei­te­res Er­geb­nis war, dass De­si­gn­me­tho­den häu­fig auch in an­de­ren Dis­zi­plinen ge­nutzt wer­den, oh­ne dass dies ex­pli­zit im Kon­text der De­si­gn­for­schung verortet wird.“

Fe­lix Ko­sok: Ich fin­de, das ist ein wirk­lich span­nen­der Punkt, der mir ge­ra­de noch­mal klar ge­wor­den ist: De­si­gn­for­schung ist er­geb­nis­of­fen, aber den­noch lö­sungs­ori­en­tiert. Sie hat ei­nen kla­ren prak­ti­schen Be­zug, lässt aber gleich­zei­tig krea­ti­ven Frei­raum und legt nicht im Vor­feld fest, wel­ches Er­geb­nis letzt­lich da­bei her­aus­kom­men muss. Könn­te man das als ei­ne gro­ße Chan­ce be­trach­ten? Vor al­lem im Hin­blick dar­auf, dass hier ein enor­mes in­ter­dis­zi­pli­nä­res Po­ten­zi­al steckt? Die Me­tho­den der De­si­gn­for­schung – ins­be­son­de­re die krea­ti­ven An­sät­ze – könn­ten doch in vie­len an­de­ren Be­rei­chen an­ge­wandt wer­den, wo das bis­her viel­leicht noch gar nicht so be­wusst wahr­ge­nom­men wird. Es wä­re span­nend zu se­hen, wie ver­schie­de­ne Fel­der da­von pro­fi­tie­ren könn­ten, ins­be­son­de­re, wenn De­si­gne­rin­nen und De­si­gner ak­tiv in sol­che Pro­zes­se ein­ge­bun­den wer­den.

Ste­phan Ott: Ja, auf je­den Fall. Das wur­de auch in den qua­li­ta­ti­ven In­ter­views sehr deut­lich. Es gibt in­zwi­schen ei­ni­ge Men­schen, die ex­pli­zit als De­si­gn­for­scher*in­nen ar­bei­ten. Al­ler­dings sto­ßen sie oft auf gro­ße Skep­sis. Am An­fang ei­nes Pro­jekts wird ih­re Rol­le häu­fig hin­ter­fragt – ähn­lich wie es De­si­gne­rin­nen und De­si­gnern ge­ne­rell er­geht. Be­son­ders in spe­zia­li­sier­ten Be­rei­chen stellt sich oft die Fra­ge: „Was macht das De­sign über­haupt hier?“ Doch am En­de des Pro­jekts er­ken­nen vie­le Be­tei­lig­te, dass der Bei­trag der De­si­gne­rin oder des De­si­gners un­ver­zicht­bar war, und äu­ßern dann: „Das müs­sen wir jetzt im­mer so ma­chen.“

Studie „Zur Praxis der Designforschung in Deutschland 2024″, Infografik © Luzia Hein und Julian Peschel

Fe­lix Ko­sok: Gibt es ein Bei­spiel aus der Pra­xis, das zeigt, wie De­si­gn­for­schung in in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Kon­tex­ten wirkt?

Ste­phan Ott: Ja, ei­nes der ein­drück­lichs­ten Bei­spie­le für mich stammt aus der Me­di­zin­tech­nik. Dort ko­or­di­nier­te ei­ne De­si­gn­for­sche­rin ein Pro­jekt­team aus In­ge­nieur*in­nen, Ärzt*in­nen und aus Ver­tre­ter*in­nen des Un­ter­neh­mens. Sie stell­te ein­fa­che Fra­gen wie: „Ha­ben Sie ver­stan­den, was Ihr Ge­gen­über ge­ra­de ge­sagt hat?“ Da­bei wur­de schnell klar, dass al­le Be­tei­lig­ten in ih­rer ei­ge­nen Fach­spra­che re­de­ten und ein­an­der eben nicht ver­stan­den. Die De­si­gn­for­sche­rin über­setz­te zwi­schen den Dis­zi­pli­nen und schuf so die Grund­la­ge für ei­nen er­folg­rei­chen Pro­jekt­ver­lauf.

Ein an­de­res Bei­spiel kommt aus der Ar­chäo­lo­gie. Dort half ein Ani­ma­tor, die Be­we­gungs­ab­läu­fe ei­nes fos­si­len Tie­res zu re­kon­stru­ie­ren. Die For­schen­den konn­ten sich kei­nen Reim auf die Be­we­gungs­ab­läu­fe des Fos­sils ma­chen, es pass­te hin­ten und vor­ne nicht. Auf­grund sei­ner Er­fah­rung mit Be­we­gungs­ab­läu­fen in der Ani­ma­ti­on von Cha­rak­te­ren kam der Ani­ma­tor dar­auf, dass der Feh­ler im Fos­sil selbst lie­gen muss­te. Durch sei­ne Vor­stel­lungs­kraft und Ani­ma­ti­ons­tech­ni­ken konn­te der Ani­ma­tor zei­gen, dass die Kno­chen des Fos­sils durch Druck ver­formt wor­den wa­ren. Um die Be­we­gung si­mu­lie­ren zu kön­nen, muss­ten die Kno­chen ver­än­dert wer­den – ei­ne Er­kennt­nis, die das Ar­chäo­log*in­nen­team al­lein nicht ge­won­nen hät­te.

Die Studie „Zur Praxis der Designforschung in Deutschland 2024″ kann man kostenlos herunterladen. Bild © German Design Council

Fe­lix Ko­sok: Du sprichst auch im Vor­wort der Stu­die da­von, dass sich die De­si­gn­for­schung nur lang­sam von der klas­si­schen aka­de­mi­schen For­schung eman­zi­piert. Was meinst du da­mit?

Ste­phan Ott: Es geht um zwei­er­lei: Zum ei­nen geht es um die An­er­ken­nung von De­si­gn­for­schung durch die klas­si­sche aka­de­mi­sche For­schung. Da­bei soll es kei­nes­wegs dar­um ge­hen, die­se zu igno­rie­ren oder zu er­set­zen, son­dern viel­mehr dar­um, zu­sam­men­zu­ar­bei­ten. Denn in For­schungs­pro­zes­sen pas­siert oft Ähn­li­ches wie in rein prak­ti­schen Pro­zes­sen: Trans­dis­zi­pli­nä­re Zu­sam­men­ar­beit kann enorm be­rei­chernd sein.

Die­se Per­spek­ti­ve er­öff­net neue Mög­lich­kei­ten: De­si­gn­for­schung kann künf­tig noch stär­ker da­zu bei­tra­gen, in­no­va­ti­ve und pra­xis­na­he An­sät­ze in un­ter­schied­li­chen Be­rei­chen zu ent­wi­ckeln. Es ist ein gro­ßer Schritt, die­se Me­tho­den und ih­re Wir­kung über die Gren­zen des De­signs hin­aus an­zu­er­ken­nen und ak­tiv zu nut­zen.

„De­si­gn­for­schung kann künf­tig noch stärker da­zu bei­tra­gen, in­no­va­ti­ve und pra­xis­na­he An­sät­ze in un­ter­schied­li­chen Be­rei­chen zu ent­wi­ckeln. “

An­de­rer­seits geht es aber auch dar­um, dass De­si­gner*in­nen mehr Selbst­be­wusst­sein ent­wi­ckeln soll­ten, um ih­re Me­tho­den und Er­geb­nis­se zu ver­tre­ten. So­wohl auf na­tio­na­ler als auch auf in­ter­na­tio­na­ler Ebe­ne ist es wich­tig, dass sich die De­si­gn­for­schung eman­zi­piert – al­ler­dings nicht im Sin­ne von „Lasst uns in Ru­he“. Viel­mehr soll­te es dar­um ge­hen, die ei­ge­ne Qua­li­tät und die be­son­de­ren Per­spek­ti­ven, die die De­si­gn­for­schung bie­tet, ak­tiv in den wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs ein­zu­brin­gen.

De­si­gn­for­schung kann mit ih­ren Me­tho­den und An­sät­zen durch­aus As­pek­te be­rei­chern, die auch für an­de­re For­schungs­be­rei­che re­le­vant und wert­voll sind. Es geht dar­um, selbst­be­wusst auf­zu­tre­ten und zu zei­gen, dass De­si­gn­for­schung in­no­va­ti­ve und zu­kunfts­wei­sen­de Bei­trä­ge leis­ten kann.

Fe­lix Ko­sok: Wie un­ab­hän­gig kann De­si­gn­for­schung sein, wenn sie so eng mit der Pra­xis ver­zahnt ist, ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund, dass in der deut­schen Vor­stel­lung von aka­de­mi­scher For­schung ei­ne ge­wis­se Au­to­no­mie als zen­tral gilt?

Ste­phan Ott: Die Un­ab­hän­gig­keit von De­si­gn­for­schung hängt stark von den Men­schen ab, die sie be­trei­ben, und auch da­von, aus wel­cher Per­spek­ti­ve man sie be­trach­tet. Wenn man sie rein aus der Un­ter­neh­mens­per­spek­ti­ve sieht, steht oft das Ziel im Vor­der­grund, ein neu­es Pro­dukt oder ei­nen neu­en Ser­vice zu ent­wi­ckeln. Das muss dort am En­de ei­nes Pro­jekts ste­hen. Aber auch Un­ter­neh­men ha­ben zu­neh­mend er­kannt, dass nicht im­mer in­ner­halb kur­zer Zeit ein va­li­des Pro­dukt ent­ste­hen muss. Es gibt mitt­ler­wei­le durch­aus Raum für of­fe­ne Pro­zes­se.

Gleich­zei­tig stellt sich die Fra­ge, was mit den Er­geb­nis­sen der aka­de­mi­schen For­schung pas­siert. Ei­ne Pro­mo­ti­on mit 400 Sei­ten lan­det oft in ei­nem Re­gal, oh­ne dass ih­re Er­kennt­nis­se in die Pra­xis ge­lan­gen. Hier braucht es ei­ne An­nä­he­rung, ei­nen Mit­tel­weg. De­si­gn­for­schung soll­te theo­rie­ba­siert, aber gleich­zei­tig pra­xis­ori­en­tiert sein. Das hei­ßt, nicht nur spe­ku­la­tiv oder zu­fäl­lig, son­dern auch fun­diert und mit ei­nem Fo­kus auf An­wen­dun­gen, die uns wirk­lich wei­ter­brin­gen.

Auch die De­si­gnaus­bil­dung wird in der Stu­die the­ma­ti­siert. Bild © Ger­man De­sign Coun­cil

Fe­lix Ko­sok: Wie sieht die Zu­kunft der De­si­gn­for­schung aus? Was plant das If­DRA als Nächs­tes?

Ste­phan Ott: Die In­ter­na­tio­na­li­sie­rung der De­si­gn­for­schung hal­te ich für ein wich­ti­ges Ziel, ins­be­son­de­re für den deutsch­spra­chi­gen Raum. Die ak­tu­el­le Stu­die hat er­freu­li­cher­wei­se gro­ßes In­ter­es­se ge­weckt, was mich sehr freut. Sie wur­de so­wohl von Hoch­schu­len als auch von Un­ter­neh­men her­un­ter­ge­la­den, was zeigt, dass sie ei­nen brei­ten An­klang fin­det. Für die Zu­kunft pla­nen wir ei­ne Kon­kre­ti­sie­rung in der For­schung. Mein Ziel für ei­ne Fol­ge­stu­die wä­re es, den kon­kre­ten Im­pact von De­si­gn­for­schung nach­zu­wei­sen – bei­spiels­wei­se an­hand mess­ba­rer Zah­len, die be­le­gen, wie De­si­gn­for­schungs­pro­zes­se Pro­dukt­ent­wick­lun­gen oder Er­kennt­nis­se in un­ter­schied­li­chen Be­rei­chen qua­li­fi­zie­ren oder er­wei­tern.

Das wä­re ein in­ter­es­san­ter nächs­ter Schritt, den wir ger­ne im Jahr 2025 an­ge­hen wür­den. Die­se Fol­ge­stu­die wür­de mög­li­cher­wei­se et­was klei­ner aus­fal­len, aber da­für quan­ti­ta­tiv wei­ter­ent­wi­ckelt, um das ge­stie­ge­ne In­ter­es­se und das zu­neh­men­de Be­wusst­sein für die­ses Feld auf­zu­grei­fen und zu ver­tie­fen. Wenn wir das er­rei­chen wür­den, wä­re ich mehr als zu­frie­den.

Fe­lix Ko­sok: Vie­len Dank, Ste­phan, für das span­nen­de Ge­spräch und die Ein­bli­cke in die Ar­beit des If­DRA!

Ste­phan Ott: Dan­ke dir, Fe­lix. Es hat mir gro­ßen Spaß ge­macht.

„Zur Praxis der Designforschung in Deutschland 2024“

Die Stu­die fand in zwei Pha­sen statt. Zu­nächst wur­den 35 qua­li­ta­ti­ve In­ter­views mit Ex­pert*in­nen aus den Be­rei­chen De­sign (Agen­tu­ren und Ein­zel­un­ter­neh­men), Hoch­schu­le/Uni­ver­si­tät und Un­ter­neh­men ge­führt. Auf Grund­la­ge der Ana­ly­se die­ser In­ter­views er­folg­te an­schlie­ßend ei­ne quan­ti­ta­ti­ve Er­he­bung mit 150 Teil­neh­men­den. Durch­ge­führt wur­de die Stu­die vom In­sti­tu­te for De­sign Re­se­arch and Ap­p­li­an­ce im Zeit­raum 2023/2024.

Studie zum Download:
https://eu.jotform.com/form/243044315311341

Stephan Ott

(*1962) lei­tet das im März 2020 ge­grün­de­te und beim Rat für Form­ge­bung an­ge­sie­del­te In­sti­tu­te for De­sign Re­se­arch and Ap­p­li­an­ce (If­DRA). Von 2012 bis 2020 war er Chef­re­dak­teur der Zeit­schrift form. Sein Stu­di­um der Ger­ma­nis­tik mit dem Schwer­punkt Lin­gu­is­tik und Neue­re Deut­sche Li­te­ra­tur schloss er mit ei­ner Ar­beit über den Dich­ter, Phi­lo­so­phen und De­sign­theo­re­ti­ker Die­ter Lei­se­gang ab.