DESIGN DISKURS

Der Architekt Florian Hertweck im Gespräch mit Gerda Breuer über die Ausstellung „The Great Repair“ und darüber, wie Dinge gut altern können.

Veröffentlicht am 02.08.2024

Flo­ri­an Hert­weck war ma­ß­geb­lich be­tei­ligt an der Aus­stel­lung der Aka­de­mie der Küns­te, Ber­lin, von Ok­to­ber 2023 bis Ja­nu­ar 2024, zu­sam­men mit der Zeit­schrift Arch+, dem De­par­te­ment für Ar­chi­tek­tur, ETH Zü­rich, und der Fa­cul­té des Sci­en­ces Hu­mai­nes, Uni­ver­si­tät Lu­xem­burg, an der er den Mas­ter­stu­di­en­gang Ar­chi­tek­tur lei­tet.

Ger­da Breu­er: Ich kann mich noch an den Schock er­in­nern, den die Pu­bli­ka­ti­on des Club of Ro­me mit dem Ti­tel „Die Gren­zen des Wachs­tums“ zu An­fang mei­nes Stu­di­ums in den 1970er Jah­ren aus­lös­te. Ich stu­dier­te da­mals an ei­ner Ar­chi­tek­tur­fa­kul­tät. Der Be­richt war ei­ne der er­folg­reichs­ten Ver­öf­fent­li­chun­gen der da­ma­li­gen Zeit und das Be­wusst­sein für die Ge­fah­ren des ex­po­nen­ti­el­len Wachs­tums hat sich nicht ge­än­dert. Den­noch hö­ren Res­sour­cen­ver­schwen­dung und Um­welt­zer­stö­rung nach wie vor zu un­se­rer Rea­li­tät.

Lan­ge Zeit war die De­vi­se des ein­fluss­rei­chen Öko­no­men Jo­seph A. Schum­pe­ter be­stim­mend, der „schöp­fe­ri­sche Zer­stö­run­g“ als Ba­sis für In­no­va­ti­on, un­ter­neh­me­ri­sches Wachs­tum und Wohl­stand pries. Die Aus­stel­lung plä­diert nun an­ge­sichts der Ge­fah­ren des per­ma­nen­ten Wirt­schafts­wachs­tums für ei­ne al­ter­na­ti­ve Er­neue­rung un­ter den Be­din­gun­gen des Be­stands­er­halts und der „Re­pa­ra­tur“.

Cul­tu­re of Re­pair, Kreis­lauf­wirt­schaft, Nach­hal­tig­keit sind nun aber nicht ei­gent­lich neu in den Dis­kus­sio­nen von Ge­stal­ter*in­nen, doch hat die Aus­stel­lung ge­zeigt, daß wir noch viel gründ­li­cher die For­de­run­gen hin­ter­fra­gen und mit Al­ter­na­ti­ven zu den wachs­tums­ori­en­tier­ten Fort­schritts­er­zäh­lun­gen aus­fül­len müs­sen. „Re­pa­ra­tur“ er­for­dert folg­lich ei­ne enorm gro­ße Kraft­an­stren­gung.

In Ih­rer Leh­re und For­schung an der Uni­ver­si­tät Lu­xem­burg be­fas­sen Sie sich mit der so­zi­al-öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­ti­on von ur­ba­nen und sub­ur­ba­nen Räu­men. Aus der Viel­zahl der theo­re­ti­schen Dis­kur­se und prak­ti­schen Bei­spie­le wür­de ich mich gern auf ein paar Stich­wör­ter kon­zen­trie­ren, die von der Ar­chi­tek­tur und vom Raum – ihr Fo­kus – auf De­sign über­trag­bar sind. Ein Schwer­punkt die­ser Aus­stel­lung wa­ren ‚Po­li­ti­ken der Re­pa­ra­tur­ge­sell­schaft‘. Sie spre­chen in die­sem Zu­sam­men­hang von „Suf­fi­zi­enz“. Was ver­ste­hen Sie dar­un­ter?

In der Ausstellung „The Great Repair“ in der Akademie der Künste in Berlin wurden die Reinigungskräfte und deren Werkzeuge ins Schlaglicht gerückt. Bild © David von Becker

Flo­ri­an Hert­weck: Der welt­wei­te Res­sour­cen­ver­brauch steigt nach wie vor ste­tig. Ver­deut­licht wird die­se Tat­sa­che durch den im­mer frü­her ein­tre­ten­den Earth Over­shoot Day – den sym­bo­li­schen Zeit­punkt, an dem die Mensch­heit al­le na­tür­li­chen Res­sour­cen ver­braucht hat, die die Er­de in­ner­halb ei­nes Jah­res re­pro­du­zie­ren kann. 2022 fiel er be­reits auf den 28. Ju­li, was be­deu­tet, dass wir in den fünf Mo­na­ten da­nach auf Kos­ten der Zu­kunft le­ben. Das Kon­zept der Suf­fi­zi­enz (von lat. suf­fi­gie­re, dt. aus­rei­chen) er­kennt die öko­lo­gi­schen Gren­zen an und setzt auf die Re­duk­ti­on von Roh­stoff, En­er­gie-, und Flä­chen­kon­sum. Wirt­schafts­wachs­tum im her­kömm­li­chen Sin­ne wird da­durch grund­sätz­lich in Fra­ge ge­stellt. Als neu­es Pla­nungs­pa­ra­dig­ma zielt Suf­fi­zi­enz nicht pri­mär auf ei­ne Ver­hal­tens­än­de­rung des Men­schen, son­dern auf ei­ne Um­ge­stal­tung von In­fra­struk­tu­ren, Bö­den, Dienst­leis­tun­gen und Ar­beits­pro­zes­sen, die den Men­schen in die La­ge ver­set­zen, mög­lichst we­nig Res­sour­cen zu ver­brau­chen. Dem­entspre­chend ist Re­pa­rie­ren suf­fi­zi­ent, wie Jür­gen Bert­ling und Claus Leg­ge­wie be­to­nen, „da es oh­ne Fra­ge den Be­darf an Neu­pro­duk­ti­on … ver­rin­gert.“

„Als neues Planungsparadigma zielt Suffizienz auf eine Umgestaltung von Infrastrukturen, Böden, Dienstleistungen und Arbeitsprozessen.“

Florian Hertweck


Architekt und Professor Florian Hertweck hat die Ausstellung „The Great Repair“ mit kuratiert. Bild © Bruno Comtesse

Den­noch wird es nicht oh­ne per­sön­li­che Ein­schrän­kun­gen ge­hen. Hier kommt es dar­auf an, dass Suf­fi­zi­enz nicht al­le Men­schen gleich be­han­delt, son­dern so­zia­le und räum­li­che Ge­rech­tig­keit im Blick ha­ben muss. Die­se Kom­bi­na­ti­on aus „Wachs­tums­kri­tik, öko­lo­gi­schen Gren­zen und Ver­tei­lungs­fra­gen macht Suf­fi­zi­enz zu ei­ner kom­ple­xen und kon­flikt­rei­chen An­ge­le­gen­heit.“ Das Kon­zept for­dert nicht nur die Po­li­tik her­aus, son­dern Ar­chi­tekt*in­nen, Stadt- und Raum­pla­ner*in­nen – und hier könn­te man na­tür­lich ge­nau­so sa­gen De­si­gner*in­nen – sind ge­fragt, po­si­ti­ve Nar­ra­ti­ve und Stra­te­gi­en der Suf­fi­zi­enz zu ent­wer­fen und Pro­zes­se zu för­dern und zu mo­de­rie­ren, mit de­nen Kon­flik­te der Trans­for­ma­ti­on aus­ge­han­delt wer­den.


Die Fachzeitschrift ARCH+ führte zusammen mit Projektpartner*innen mit „The Great Repair“ ihre inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema fort, die sie als Teil des Kurator*innen-Kollektivs des Deutschen Beitrags zur Architekturbiennale in Venedig 2023 begonnen hat. Coverbild © ARCH+

Ger­da Breu­er: Dann fol­gen noch vie­le wei­te­re Stich­wör­ter wie Lang­le­big­keit, So­li­da­ri­tät, Wie­der­an­eig­nung, Plu­ra­li­tät und Sor­ge­ar­beit, die sie als Po­li­ti­ken ei­ner Re­pa­ra­tur­ge­sell­schaft er­kun­den. Viel­leicht kön­nen Sie noch ein, zwei Stich­wör­ter er­klä­ren, die den Er­halt des gu­ten Be­ste­hen­den be­grün­den.

Flo­ri­an Hert­weck: Wir ha­ben be­wusst den Be­griff der Lang­le­big­keit und nicht der Nach­hal­tig­keit ver­wen­det, da Nach­hal­tig­keit seit lan­gem vom ka­pi­ta­lis­ti­schen Sys­tem ab­sor­biert wird. In un­se­rer Dis­zi­plin gilt ei­ne nach­hal­ti­ge Ar­chi­tek­tur als sol­che, die mög­lichst we­nig En­er­gie ver­braucht. Dar­auf sind auch al­le Be­rech­nun­gen und Zer­ti­fi­ka­te aus­ge­rich­tet, die vor­ge­ben, CO2-neu­tral zu sein. Die graue En­er­gie hin­ge­gen, die in den Ge­bäu­den steckt, wird je­doch nicht ein­ge­rech­net. Dass die gän­gi­gen Ab­schrei­bungs­me­cha­nis­men den Wert von Ge­bäu­den nach ei­ner Ge­ne­ra­ti­on qua­si auf Null set­zen, ist je­doch an­ge­sichts von Kli­ma­wan­del und Res­sour­cen­schwund un­ver­ant­wort­bar. Die öko­lo­gi­sche Schein­hei­lig­keit wird noch auf die Spit­ze ge­trie­ben, wenn vor­ge­ge­ben wird, dass der Er­satz­neu­bau nach Ab­bruch kli­ma­neu­tral, al­so nach­hal­tig, sei. Lang­le­big­keit be­deu­tet hin­ge­gen, die Le­bens­zeit der Din­ge so lan­ge wie mög­lich zu er­hal­ten. Das be­deu­tet, sie zu pfle­gen, sie in­stand zu hal­ten und sie zu re­pa­rie­ren. An­statt auf die In­no­va­ti­on von neu­en, schein­bar nach­hal­ti­gen Pro­duk­ten und Ma­te­ria­li­en zu set­zen und da­für Ge­bäu­de ab­zu­rei­ßen oder Bö­den zu ver­sie­geln, soll­ten wir erst­mal da­mit be­gin­nen, die Men­schen wert­zu­schät­zen, die für Pfle­ge, War­tung und Re­pa­ra­tur ver­ant­wort­lich sind. Jetzt bin ich schon bei dem Be­griff der Sor­ge­ar­beit ge­lan­det. Wie­der­an­eig­nung be­deu­tet tra­di­tio­nel­les und in­di­ge­nes Wis­sen, das oft­mals durch In­dus­tria­li­sie­rung und Ko­lo­nia­li­sie­rung ver­lo­ren ge­gan­gen ist, wie­der zu ent­de­cken und für die gro­ße Re­pa­ra­tur frucht­bar zu ma­chen, wäh­rend So­li­da­ri­tät na­tür­lich die ge­rech­te Ver­tei­lung von Res­sour­cen, Bö­den und En­er­gie im­pli­ziert.

„Anstatt Gebäude abzureißen oder Böden zu versiegeln, sollten wir erstmal damit beginnen, die Menschen wertzuschätzen, die für Pflege, Wartung und Reparatur verantwortlich sind.“

Florian Hertweck

 

Architekt Arno Brandlhuber (DDC Ehrenmitglied) schlug im Rahmen des Projektes „Dialogic City“ in Kooperation mit Florian Hertweck die Aufstockung des alten Flughafens Berlin Tempelhof um Wohnungen vor. Bild © Dialogic City, Cornelia Mueller

Ger­da Breu­er: Kön­nen Sie ein Bei­spiel aus Ih­rer ei­ge­nen Pra­xis oder Leh­re nen­nen, das Sie für ei­ne ge­lun­ge­ne Al­ter­na­ti­ve hal­ten.

Flo­ri­an Hert­weck: In der Leh­re hat sich, seit­dem ich stu­diert ha­be, viel ge­tan. Wäh­rend sich die Hälf­te der Pro­jekt­auf­ga­ben noch an ei­nem vir­tu­el­len Ort ab­ge­spielt hat­ten und es haupt­säch­lich um Neu­bau auf der grü­nen Wie­se ging, rückt das Bau­en und Pla­nen im Be­stand im­mer mehr in den Fo­kus. Aber in vie­len Fa­kul­tä­ten wird noch im­mer Städ­te­bau vor der Stadt prak­ti­ziert. Wir soll­ten hin­ge­gen nur noch ex­klu­siv mit dem Be­stand ar­bei­ten, mit Stu­die­ren­den eru­ie­ren, was die lo­ka­len Res­sour­cen und Ma­te­ria­li­en sind und ex­klu­siv auf ver­sie­gel­ten Flä­chen ent­wer­fen.

In der Pra­xis be­deu­tet das für uns al­le, un­ser Tun mit dem Dis­kurs zu­sam­men­zu­brin­gen. Ich ha­be mich nun von ei­ni­gen Ty­po­lo­gi­en und Prak­ti­ken wie dem Ent­wurf des Ein­fa­mi­li­en­hau­ses ver­ab­schie­det und ei­ne Fir­ma ge­grün­det – less yel­low – die sich ex­klu­siv dem Bau­en im Be­stand ver­schrie­ben hat. Da­bei be­zieht sich das less yel­low / we­ni­ger gelb auf den in­ter­na­tio­na­len Farb­code, bei dem Schwarz den Be­stand be­schreibt, Rot den Neu­bau und Gelb den Ab­bruch.

Aber na­tür­lich ist das Bau­en im Be­stand her­aus­for­dern­der als das Pla­nen auf der grü­nen Wie­se. Es ist mit viel mehr Ar­beit und vie­len Über­ra­schun­gen ver­bun­den.

Um 1980 avancierten in der Bundesrepublik und in West-Berlin Hausbesetzungen und die kollektive Instandsetzung verfallender Häuser zu einem sichtbaren und vieldiskutierten Mittel des Protests. Bild © Archiv Hämer, UDK Berlin

Ger­da Breu­er: De­sign, vor al­lem Wer­be­de­sign, aber auch Pro­dukt­de­sign, war ja lan­ge Zeit Kom­pli­zin der in­no­va­tions- und wachs­tums­ori­en­tier­ten Wett­be­werbs­ge­sell­schaft, wo­her auch das noch sehr ver­brei­te­te ne­ga­ti­ve Image stammt. Ab­schlie­ßend möch­te ich Sie des­halb gern fra­gen, was Sie De­si­gner*in­nen mit auf den Weg ge­ben könn­ten, um auf die Trans­for­ma­ti­on ei­ner heu­ti­gen Ge­sell­schaft ein­zu­wir­ken.

Flo­ri­an Hert­weck: Wir in un­se­rer Dis­zi­plin ver­su­chen, mit be­ste­hen­den Ma­te­ria­li­en zu ar­bei­ten. Und ganz wich­tig: Wenn et­was Neu­es ent­wi­ckelt wird, es so zu ent­wi­ckeln, dass es re­pa­rier­bar ist. Das hei­ßt, der Ge­brauchs­wert und da­mit vor al­lem der War­tungs­wert ist es­sen­zi­ell. Wie kön­nen Din­ge gut und schön al­tern? Da kön­nen wir viel aus der Ge­schich­te ler­nen.

Dinge einfach mal sein lassen, wie sie sind – und damit das Selbstverständnis der Disziplin Architektur in Frage stellen – „The Great Repair“ im Pavillon de l’Arsenal in Paris, Bild © Sophie Civita

Florian Hertweck 

ist Ar­chi­tekt und Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Lu­xem­burg, wo er den Mas­ter­stu­di­en­gang Ar­chi­tek­tur lei­tet. Von 2009 bis 2016 war er Pro­fes­sor für Ar­chi­tek­tur und Städ­te­bau an der Eco­le Na­tio­na­le Su­pé­ri­eu­re d’Ar­chi­tec­tu­re de Ver­sailles, von 2013 bis 2015 Gast­pro­fes­sor an der Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te Nürn­berg. Er hat in Pa­ris und New­cast­le Ar­chi­tek­tur und Kunst­ge­schich­te stu­diert. 2018 ku­ra­tier­te er mit An­drea Rumpf den lu­xem­bur­gi­schen Pa­vil­lon der 16. Ar­chi­tek­tur­bi­en­na­le von Ve­ne­dig zur Bo­den­fra­ge.

www.studio-hertweck.com

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