DESIGN DISKURS
Der Architekt Florian Hertweck im Gespräch mit Gerda Breuer über die Ausstellung „The Great Repair“ und darüber, wie Dinge gut altern können.
Florian Hertweck war maßgeblich beteiligt an der Ausstellung der Akademie der Künste, Berlin, von Oktober 2023 bis Januar 2024, zusammen mit der Zeitschrift Arch+, dem Departement für Architektur, ETH Zürich, und der Faculté des Sciences Humaines, Universität Luxemburg, an der er den Masterstudiengang Architektur leitet.
Gerda Breuer: Ich kann mich noch an den Schock erinnern, den die Publikation des Club of Rome mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ zu Anfang meines Studiums in den 1970er Jahren auslöste. Ich studierte damals an einer Architekturfakultät. Der Bericht war eine der erfolgreichsten Veröffentlichungen der damaligen Zeit und das Bewusstsein für die Gefahren des exponentiellen Wachstums hat sich nicht geändert. Dennoch hören Ressourcenverschwendung und Umweltzerstörung nach wie vor zu unserer Realität.
Lange Zeit war die Devise des einflussreichen Ökonomen Joseph A. Schumpeter bestimmend, der „schöpferische Zerstörung“ als Basis für Innovation, unternehmerisches Wachstum und Wohlstand pries. Die Ausstellung plädiert nun angesichts der Gefahren des permanenten Wirtschaftswachstums für eine alternative Erneuerung unter den Bedingungen des Bestandserhalts und der „Reparatur“.
Culture of Repair, Kreislaufwirtschaft, Nachhaltigkeit sind nun aber nicht eigentlich neu in den Diskussionen von Gestalter*innen, doch hat die Ausstellung gezeigt, daß wir noch viel gründlicher die Forderungen hinterfragen und mit Alternativen zu den wachstumsorientierten Fortschrittserzählungen ausfüllen müssen. „Reparatur“ erfordert folglich eine enorm große Kraftanstrengung.
In Ihrer Lehre und Forschung an der Universität Luxemburg befassen Sie sich mit der sozial-ökologischen Transformation von urbanen und suburbanen Räumen. Aus der Vielzahl der theoretischen Diskurse und praktischen Beispiele würde ich mich gern auf ein paar Stichwörter konzentrieren, die von der Architektur und vom Raum – ihr Fokus – auf Design übertragbar sind. Ein Schwerpunkt dieser Ausstellung waren ‚Politiken der Reparaturgesellschaft‘. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von „Suffizienz“. Was verstehen Sie darunter?
Florian Hertweck: Der weltweite Ressourcenverbrauch steigt nach wie vor stetig. Verdeutlicht wird diese Tatsache durch den immer früher eintretenden Earth Overshoot Day – den symbolischen Zeitpunkt, an dem die Menschheit alle natürlichen Ressourcen verbraucht hat, die die Erde innerhalb eines Jahres reproduzieren kann. 2022 fiel er bereits auf den 28. Juli, was bedeutet, dass wir in den fünf Monaten danach auf Kosten der Zukunft leben. Das Konzept der Suffizienz (von lat. suffigiere, dt. ausreichen) erkennt die ökologischen Grenzen an und setzt auf die Reduktion von Rohstoff, Energie-, und Flächenkonsum. Wirtschaftswachstum im herkömmlichen Sinne wird dadurch grundsätzlich in Frage gestellt. Als neues Planungsparadigma zielt Suffizienz nicht primär auf eine Verhaltensänderung des Menschen, sondern auf eine Umgestaltung von Infrastrukturen, Böden, Dienstleistungen und Arbeitsprozessen, die den Menschen in die Lage versetzen, möglichst wenig Ressourcen zu verbrauchen. Dementsprechend ist Reparieren suffizient, wie Jürgen Bertling und Claus Leggewie betonen, „da es ohne Frage den Bedarf an Neuproduktion … verringert.“
„Als neues Planungsparadigma zielt Suffizienz auf eine Umgestaltung von Infrastrukturen, Böden, Dienstleistungen und Arbeitsprozessen.“
Florian Hertweck
Architekt und Professor Florian Hertweck hat die Ausstellung „The Great Repair“ mit kuratiert. Bild © Bruno Comtesse
Dennoch wird es nicht ohne persönliche Einschränkungen gehen. Hier kommt es darauf an, dass Suffizienz nicht alle Menschen gleich behandelt, sondern soziale und räumliche Gerechtigkeit im Blick haben muss. Diese Kombination aus „Wachstumskritik, ökologischen Grenzen und Verteilungsfragen macht Suffizienz zu einer komplexen und konfliktreichen Angelegenheit.“ Das Konzept fordert nicht nur die Politik heraus, sondern Architekt*innen, Stadt- und Raumplaner*innen – und hier könnte man natürlich genauso sagen Designer*innen – sind gefragt, positive Narrative und Strategien der Suffizienz zu entwerfen und Prozesse zu fördern und zu moderieren, mit denen Konflikte der Transformation ausgehandelt werden.
Die Fachzeitschrift ARCH+ führte zusammen mit Projektpartner*innen mit „The Great Repair“ ihre inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema fort, die sie als Teil des Kurator*innen-Kollektivs des Deutschen Beitrags zur Architekturbiennale in Venedig 2023 begonnen hat. Coverbild © ARCH+
Gerda Breuer: Dann folgen noch viele weitere Stichwörter wie Langlebigkeit, Solidarität, Wiederaneignung, Pluralität und Sorgearbeit, die sie als Politiken einer Reparaturgesellschaft erkunden. Vielleicht können Sie noch ein, zwei Stichwörter erklären, die den Erhalt des guten Bestehenden begründen.
Florian Hertweck: Wir haben bewusst den Begriff der Langlebigkeit und nicht der Nachhaltigkeit verwendet, da Nachhaltigkeit seit langem vom kapitalistischen System absorbiert wird. In unserer Disziplin gilt eine nachhaltige Architektur als solche, die möglichst wenig Energie verbraucht. Darauf sind auch alle Berechnungen und Zertifikate ausgerichtet, die vorgeben, CO2-neutral zu sein. Die graue Energie hingegen, die in den Gebäuden steckt, wird jedoch nicht eingerechnet. Dass die gängigen Abschreibungsmechanismen den Wert von Gebäuden nach einer Generation quasi auf Null setzen, ist jedoch angesichts von Klimawandel und Ressourcenschwund unverantwortbar. Die ökologische Scheinheiligkeit wird noch auf die Spitze getrieben, wenn vorgegeben wird, dass der Ersatzneubau nach Abbruch klimaneutral, also nachhaltig, sei. Langlebigkeit bedeutet hingegen, die Lebenszeit der Dinge so lange wie möglich zu erhalten. Das bedeutet, sie zu pflegen, sie instand zu halten und sie zu reparieren. Anstatt auf die Innovation von neuen, scheinbar nachhaltigen Produkten und Materialien zu setzen und dafür Gebäude abzureißen oder Böden zu versiegeln, sollten wir erstmal damit beginnen, die Menschen wertzuschätzen, die für Pflege, Wartung und Reparatur verantwortlich sind. Jetzt bin ich schon bei dem Begriff der Sorgearbeit gelandet. Wiederaneignung bedeutet traditionelles und indigenes Wissen, das oftmals durch Industrialisierung und Kolonialisierung verloren gegangen ist, wieder zu entdecken und für die große Reparatur fruchtbar zu machen, während Solidarität natürlich die gerechte Verteilung von Ressourcen, Böden und Energie impliziert.
„Anstatt Gebäude abzureißen oder Böden zu versiegeln, sollten wir erstmal damit beginnen, die Menschen wertzuschätzen, die für Pflege, Wartung und Reparatur verantwortlich sind.“
Florian Hertweck
Gerda Breuer: Können Sie ein Beispiel aus Ihrer eigenen Praxis oder Lehre nennen, das Sie für eine gelungene Alternative halten.
Florian Hertweck: In der Lehre hat sich, seitdem ich studiert habe, viel getan. Während sich die Hälfte der Projektaufgaben noch an einem virtuellen Ort abgespielt hatten und es hauptsächlich um Neubau auf der grünen Wiese ging, rückt das Bauen und Planen im Bestand immer mehr in den Fokus. Aber in vielen Fakultäten wird noch immer Städtebau vor der Stadt praktiziert. Wir sollten hingegen nur noch exklusiv mit dem Bestand arbeiten, mit Studierenden eruieren, was die lokalen Ressourcen und Materialien sind und exklusiv auf versiegelten Flächen entwerfen.
In der Praxis bedeutet das für uns alle, unser Tun mit dem Diskurs zusammenzubringen. Ich habe mich nun von einigen Typologien und Praktiken wie dem Entwurf des Einfamilienhauses verabschiedet und eine Firma gegründet – less yellow – die sich exklusiv dem Bauen im Bestand verschrieben hat. Dabei bezieht sich das less yellow / weniger gelb auf den internationalen Farbcode, bei dem Schwarz den Bestand beschreibt, Rot den Neubau und Gelb den Abbruch.
Aber natürlich ist das Bauen im Bestand herausfordernder als das Planen auf der grünen Wiese. Es ist mit viel mehr Arbeit und vielen Überraschungen verbunden.
Gerda Breuer: Design, vor allem Werbedesign, aber auch Produktdesign, war ja lange Zeit Komplizin der innovations- und wachstumsorientierten Wettbewerbsgesellschaft, woher auch das noch sehr verbreitete negative Image stammt. Abschließend möchte ich Sie deshalb gern fragen, was Sie Designer*innen mit auf den Weg geben könnten, um auf die Transformation einer heutigen Gesellschaft einzuwirken.
Florian Hertweck: Wir in unserer Disziplin versuchen, mit bestehenden Materialien zu arbeiten. Und ganz wichtig: Wenn etwas Neues entwickelt wird, es so zu entwickeln, dass es reparierbar ist. Das heißt, der Gebrauchswert und damit vor allem der Wartungswert ist essenziell. Wie können Dinge gut und schön altern? Da können wir viel aus der Geschichte lernen.
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