REVIEW
Zwei Vorträge, eine Diskussion mit fünf Speakerinnen, fünf Workshops mit sieben Moderatorinnen, 30 Workshop-Teilnehmerinnen online und über 60 Menschen im Livestream. Das war das erste DDC Lab for Female Leadership LEARN & BURN am 3. Dezember 2021.
„Braucht ihr wirklich so viele Mikrofone?“ Beim Aufbau des Livestream-Studios in der noblen Altbau-Etage in Wiesbaden stellte sich aufgrund der vielen Kabel am Boden diese Frage. Am Ende des DDC Labs for Female Leadership LEARN & BURN war klar: Ja, die Mikrofone waren alle notwendig. Denn viele unterschiedliche Stimmen kamen zu Wort, in Vorträgen, bei Diskussionen und im Austausch. Und niemand ist über das kreative Kabelgewirr gestolpert, das der Technik kurz Anlass zur Sorge bereitet hatte. Das Organisationsteam, bestehend aus den fünf DDC Mitgliedern Judith Augustin, Sophie Dobrigkeit, Claudia S. Friedrich, Dagmar Korintenberg und Katja Lis, hatte sich den Umständen entsprechend für ein Online-Event entschieden. Vor Ort in den Räumen der Agentur Fuenfwerken in Wiesbaden trafen sich lediglich die Mitwirkenden unter Vorgaben von 2G+.
Viele Stimmen – eine Message
Zahlen belegen, dass es immer noch viel zu sagen gibt zur Gleichberechtigung auf Führungsebene, auch in der sich offen und divers zeigenden Kreativbranche. Der Anteil der Frauen, der in Design-Studiengängen hoch ist und auch bei den Arbeitnehmer*innen in deutschen Agenturen bei rund 60 Prozent liegt 1, sinkt signifikant, je höher man in den Führungsetagen schaut. Was können wir also tun, um dies zu ändern? Mit LEARN & BURN haben die Women of DDC eine Initiative gestartet, um das Bewusstsein für das Thema Diversität zu schärfen. Designerinnen sollen gestärkt und ermutigt werden, zu gründen oder Führungspositionen in Unternehmen zu übernehmen. Sichtbarkeit, Netzwerken und Mentoring sind Hebel, die hier Wirkung zeigen.
Dem DDC Lab for Female Leadership LEARN & BURN voraus gegangen waren zwei digitale Sprints, bei denen gezielt nach den Bedürfnissen von Gestalterinnen beim Einstieg ins Berufsleben gefragt worden war. Interessant war hier besonders der Austausch über Definitionen der Begriffe „Karriere“ und „Erfolg“ oder über Hindernisse, die einer angestrebten beruflichen Laufbahn im Wege stehen können. Basierend auf diesem Input entwickelte das LEARN & BURN-Team ein umfangreiches Programm mit Keynotes von Expertinnen, einem Podium mit jungen Gestalterinnen, die bereits ein paar Jahre im Berufsleben stehen und Workshops. Während des gesamten Tages wurde das Lab von Sigrid Ortwein „backstage“ grafisch observiert und live dokumentiert.
Die Spielregeln kennen
Nach einer Begrüßung durch DDC Vorstand Claudia S. Friedrich und einer thematischen Einführung durch die Moderatorin, DDC Beiratsmitglied Katja Lis (DDC Beiratsmitglied), startete Ute Poprawe (DDC Fördermitglied, Vorstand DMV und Inhaberin Poprawe Consulting) provokant mit der Frage „Battlefields of Power – why women don’t rise?“. Nach dreißig Jahren, in denen sie international tätig ist, könne sie aus Erfahrung sagen, was Karriere wirklich ausmache. Frauen haben demnach enorm viele Eigenschaften, die sie für Führungsaufgaben bestens qualifizieren. Einige davon können sich allerdings auch negativ auf Karrieren auswirken. Darum sei es essenziell zu wissen, nach welchen Regeln gespielt werde.
Sicher, nicht alles könne man selbst beeinflussen. Strukturelle Probleme gebe es in diesem Wettbewerb genügend. Und Karriere sei eben ein Wettbewerb. Ute Poprawe teilte in ihrem Vortrag bewusst Insights zu Aspekten, die Frauen selbst beeinflussen können. Und dazu gehört, Verantwortung aktiv anzunehmen – denn an Kompetenz und Wissen mangelt es meist nicht. Rolemodels sucht man als Frau in Deutschland länger als anderswo. Das kann die erfahrene Marketingexpertin bestätigen. Dabei wären sie so immens wichtig. Gut, dass bei LEARN & BURN einige zu Wort kamen, ganz im Sinne eines der vielen Learnings des Labs: Nutze deine Beziehungen. Eine deutliche Ansage, Kontakte und Austausch stets zu pflegen und auszubauen.
Mit Klarheit entscheiden und kommunizieren
Dramaturgisch hätte es nicht besser geplant werden können, nach den „Battlefields of Power“ von Ute Poprawe folgte der Aufruf „Trau Dich aus der Komfortzone“ von Larissa Pohl, CEO bei Wunderman Thompson Germany, Präsidentin des GWA und Psychologin. Obwohl die Message der beiden erfahrenen Speakerinnen sich ähnelt, der Auftritt der beiden ist sichtbar unterschiedlich, was den Kern des vielleicht wichtigsten Learnings des Tages trifft: Kreative Karrieren sind alles andere als einheitlich oder auf bestimmte Charaktereigenschaften festgelegt. Sie müssen keinen äußeren Formen folgen, im Gegenteil, es geht darum, authentisch aufzutreten. Aber auch wenn der Stil unterschiedlich ist, von alleine kommt Erfolg nicht. Ohne strategische Vorbereitung und klare Kommunikation gehe es nicht, weiß Larissa Pohl. Am Anfang müsse immer die ganz persönliche und bewusste Entscheidung stehen, eine Karriere anzustreben.
Aus ihren Erfahrungen kann Larissa Pohl bestätigen, dass Diversität ein hochrelevantes Thema ist, das Agenturen auf der Agenda haben. Das Bewusstsein sei da, nur werden die Maßnahmen noch zu zögerlich operativ umgesetzt. In einem sehr persönlichen Vortrag zeigt Larissa Pohl deutlich auf, worauf es dabei ankommt. Dass am Ende alle profitieren, nicht nur die Frauen, belegen genügend Studien: Diverse Führungsetagen sind langfristig auch wirtschaftlich erfolgreicher als Monokulturen auf dem C-Level.
Individuelle Wege im Design
In der sich anschließenden Podiumsrunde, die Katja Lis versiert moderiert, spürte man das starke Bewusstsein für das Thema Diversität im Kreis der Gestalterinnen. Über die Frage „Wie schaffen wir den Kulturwandel?“ diskutierte Katja Lis mit Nina Sieverding, Justina Honsel, Svenja Bickert-Appleby, Alice Schaffner und Marie-Niamh Dowling.
Nina Sieverding, Chef-Redakteurin des Designmagazins form, stellte fest, dass ein Heft über Frauen und Design heute anders konzipiert werde als vor einigen Jahren, als es bereits eine Ausgabe mit diesem Schwerpunkt gegeben hatte. Was hat sich verändert? Während vor zehn Jahren Frauen fast ausschließlich mit dem Attribut „stark“ gezeigt wurden, sind die Karrieren heute vielfältiger. Ein deutliches Anzeichen für die Vielschichtigkeit, die das Gender-Thema heute anders als früher zulässt. Ein gutes Beispiel dafür sind auch die beruflichen Laufbahnen der Agentur- und Start-Up-Gründerinnen auf dem Podium. Sie alle ermutigen dazu, Dinge auszuprobieren, im Ausland Erfahrungen zu sammeln, sichtbar zu werden und ein Bewusstsein für die eigene Position und den eigenen Wert zu entwickeln.
Neue Bilder für Führung, Erfolg und Karriere
Female Leadership im Allgemeinen wurde in den Keynotes thematisiert und konkrete Beispiele für weibliche Design-Karrieren wurden auf dem Podium sichtbar. Um neue Bilder und Vorstellungen für weibliche Führungsrollen im Design ging es am Nachmittag bei LEARN & BURN. In jeweils zwei von fünf Workshops eingeteilt wurden um die 40 Teilnehmerinnen online per Breakout-Room. Gearbeitet wurde mit dem kollaborativen Whiteboard-Tool miro.
Claudia S. Friedrich und Dagmar Korintenberg stärkten Wir-Qualitäten und kooperative Strukturen in ihrem Workshop „Wer, wenn nicht WIR?“. Um Ideen für die Designpraxis und kreative Fingerübungen ging es bei „Workflow demystified“, geleitet von Judith Augustin und Sophie Dobrigkeit. Simone Leitenberger widmete sich scheinbar unauflösbaren Gegensätzen mit ihrem Angebot „Der gordische Knoten“. Annette Bertsch fragte „Freiheit wozu? Freiheit wovon?“ und Verena Schumacher entwarf mit den Teilnehmerinnen Zukunftsbilder in ihrem Workshop „Zukunft wird aus Mut gemacht“. Zum Abschluss des Labs moderierte Katja Lis, wieder als Livestream gesendet, die Präsentation aller Workshop-Ergebnisse.
Was sind die Learnings?
Mach dich präsent und rede darüber, was du erreichen willst. Vergiss übertriebene Selbstzweifel, handle strategisch. Kommuniziere klar und sei neugierig. Es ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, überholte Rollenbilder abzulegen. Und so stellt sich vielleicht die Frage, welchen Impact ein Event wie das DDC Lab for Female Leadership LEARN & BURN haben kann, bei dem individuelle Aspekte von Karriere im Fokus standen.
Mit dem Wissen, dass auch kleine Impulse langfristig Wirkung entwickeln, ist es konsequent, dass bei LEARN & BURN nach neuen Narrativen und Rollenbildern gesucht wurde. Wir alle gestalten die Zukunft. Wer etwas von der Energie von LEARN & BURN mitgenommen hat, kann hoffen, dass die Summe der vielen Denkanstöße den notwendigen Kulturwandel ein Stück beschleunigen wird. Bleiben wir neugierig, und bitte auch etwas ungeduldig in Sachen Diversität und Gleichberechtigung – Themen für die wir weiter brennen werden.