DESIGN DISKURS
Weshalb wir einen tiefergehenden, inhaltlichen Diskurs über Design brauchen, erläutert Professor Markus Frenzl in seiner Replik auf einen Artikel von Niklas Maak in der FAZ.
Niklas Maak ist ein kluger Architekturkritiker. Und natürlich weiß er, wie man vielen anderen seiner Beiträge entnehmen kann, dass Design weit mehr ist als Überästhetisierung und Gestaltung der noch letzten Ecke unseres Planeten. Doch er nutzt Design in seinen Artikeln immer wieder als pejorative Vorsilbe, vielleicht um die Oberflächlichkeiten der Disziplin zuzuspitzen oder die Rolle des Designs bei der Hyperökonomisierung unserer Gesellschaft zu thematisieren.
Seine Forderung „Schafft das Design ab!“ ist jedoch eine polemische Zuspitzung, die bei einer wenig designaffinen Leserschaft vielleicht für einen Schenkelklopfer, ganz bestimmt aber nicht für eine differenzierte Wahrnehmung der gesellschaftlichen Rolle des Designs sorgt. Es ist ein gängiges Narrativ, zu behaupten, Design würde quasi in Form einer feindlichen Übernahme von immer mehr Lebensbereichen Besitz ergreifen, die bislang „undesignt“ geblieben sind. Die simplifizierende Schuldzuweisung ans Design weckt bei vielen wohl Sehnsüchte nach einer „guten alten Zeit“, in der die Dinge angeblich noch ohne kommerzielles Interesse oder womöglich gar nicht gestaltet wurden. Die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Gegenständlichen, die von Digitalisierung und Immaterialisierung bedroht scheinen, hat uns auch im Design ein fast drei Jahrzehnte andauerndes Retro-Phänomen beschert, das Niklas Maak selbst in anderen Artikeln kritisiert. Doch auch das „Ungestaltete“, das er mit seiner Beschreibung eines französischen Dorfs romantisiert, ist das Design von früher: Selbst die Stühle der Boulangerie, die so authentisch wirken, wurden irgendwann von einem Menschen gestaltet und sind heute sicher bei Manufactum erhältlich, wo sie gerne auch von Designern gekauft werden.
Wer die Ursachen des „Mainstream-Designs“ allein in bemühten Designanstrengungen sucht und dabei Möbeldesign, Stadtplanung, Architektur, Marktforschung, Public Design und Fahrzeugdesign in einen Topf wirft, macht es sich zu einfach. Es sind vielmehr die Auswüchse einer immer stärkeren – und in manchen Fällen sogar für die Verbraucher sinnvollen – globalen Regulierung, es sind die Ergebnisse der übergroßen Dominanz der Konzerne, von Ökonomisierung, Konsum und Marketing, die Maak hier kritisiert, denen fraglos auch Teile der Designwelt zuarbeiten und unter denen andere Teile der Designwelt leiden. Die „Disziplinierungsmaßnahmen“, die angeblich bereitwillig vom Design kaschiert werden, stammen nicht zuvorderst von den Designern. Der quietschbunte Spielplatz, den Designer in Manhattans Lower East Side laut Maak gestalteten, um zu kaschieren, dass die einstmals wilde Fläche daneben nun bebaut ist, ist wohl mehr Ausdruck der Gentrifizierung aufgrund der Spekulationswut der Immobilienkonzerne als der Gestaltungswut der Designer.
„Fangt an, in den Wirtschafts-, Wissenschafts- oder Kulturteilen fundiert über Design zu schreiben!“
„Per Design wird die Gesellschaft umgebaut“ – das meint Maak rein im negativen Sinne. Er lässt dabei unerwähnt, dass es zur Ursprungsidee des Designs gehört, Gesellschaft zum Positiven zu verändern, Benachteiligungen abzubauen, für mehr Demokratie, Zugänglichkeit und Teilhabe zu sorgen oder Prozesse transparenter zu machen. Und er lässt auch unerwähnt, dass es die Entwürfe zur Produktvermeidung, zur Irritation der Gesichtserkennung oder gegen das Absaugen von Daten, die er fordert, aus dem Design bereits gibt. Design setzt sich längst damit auseinander, dass wir wichtige Debatten, etwa zu den Folgen der künstlichen Intelligenz, in der gesamten Gesellschaft führen müssen und nicht allein den Konzernen überlassen dürfen. Es ist fast schon amüsant, dass vorrangig das Design verantwortlich für die Beschönigung der Datensammelwut der Konzerne sein soll, obwohl doch Designer immer wieder beklagen, viel zu spät zu bereits fertigen Entwicklungen hinzugezogen und lediglich als Verhübscher missverstanden zu werden. Design lässt sich zweifellos viel zu oft instrumentalisieren und von Konzernen und Systemen für fragwürdige Zwecke ausnutzen. Und natürlich gibt es Designentwürfe, die unnötige Kaufanreize schaffen, Technologie beschönigen oder digitale Überwachung verharmlosen, die man zurecht kritisieren sollte. Doch analog zu diesem „unmoralischen Design“, wie Maak es nennt, gibt es auch Literatur, Kunst und Architektur, die beschönigt, manipuliert, verharmlost und wahre Beweggründe kaschiert, die allein dem Kommerz und der Verkaufsförderung dient. Wohl keiner aber käme auf die Idee, deshalb die Abschaffung einer dieser Disziplinen zu fordern.
Design existiert als eigenständige Disziplin für die meisten Wissenschaftler seit dem 18. Jahrhundert, spätestens aber seit der Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts. Wer Gestaltung in einem umfassenderen Sinne definiert, für den ist aber schon der erste Faustkeil auch ein Designentwurf – selbst wenn Maak das nur als Rechtfertigungsstrategie von Lehrstuhlinhabern und der Designtheorie abtut. Die Gestaltung von Artefakten ist essenzieller Teil unserer Kultur, ja Teil des Menschseins. Wer „ästhetische Erlebnisse“ nicht auch als „Nutzwert“ begreift, der hat die Designdebatten des 20. Jahrhunderts um einen erweiterten Funktionsbegriff nicht verstanden. Wer Marketing und Design gleichsetzt, ignoriert die Bemühungen von Werkbund, Bauhaus oder HfG Ulm bei der Gestaltung von Gesellschaft, aber auch die Debatten der jüngeren Zeit, die sich unter Begriffen wie Social Design oder Transformationsdesign intensiv mit der sozialen Relevanz des Designs befassen, neue Formen des Zusammenlebens, von Handlungen oder Dienstleistungen entwickeln und sich mit den Herausforderungen von Klimakatastrophe, Digitalisierung oder Globalisierung befassen. Doch darüber wird in den Publikumsmedien so gut wie gar nicht berichtet. Design hat – trotz Bauhaus und HfG Ulm traurigerweise vor allem in Deutschland – keine starke Lobby in Politik und Kultur und noch viel weniger in den Medien.
Es ist längst an der Zeit, dem Design nicht nur als ästhetische und absatzfördernde, sondern auch als kultur- und identitätsstiftende, ja gesellschaftsprägende Disziplin in den Publikumsmedien, ihren Feuilletons, Wirtschafts- oder Wissenschaftsteilen den Platz einzuräumen, der seiner Relevanz entspricht. In den Tages- und Wochenzeitungen findet Design aber noch immer unter Rubriken wie „Lifestyle“, „Stil“ oder „Gesellschaft“ statt, beschränkt sich auf amüsiert-kopfschüttelnde Berichte über das „exaltierte Design“ der durchgeknallten Autorendesigner oder berichtet über die neuesten „Stardesigner“ und „Trends“ auf den Möbelmessen. Wer tiefergehende, inhaltliche Auseinandersetzungen im Design, Designtheorie, Designforschung oder Konzepte vermitteln will, dem wird schnell gesagt, dass das Publikum damit überfordert sei. Seltsam, dass dieses Publikum problemlos mit den alljährlichen Sonderteilen zur Buchmesse überfordert werden kann.
Der Forderung „Schafft das Design ab!“ lassen sich deshalb ein paar Forderungen an die Medien entgegensetzen: Hört auf, Design als dümmliche Lifestyledisziplin und willfähriger Gehilfe des Marketings zu kommunizieren! Verwendet Design nicht länger als populistische Metapher für Globalisierung, Kommerz und Konsum! Fangt an, auch in den Wirtschafts-, Wissenschafts- oder Kulturteilen fundiert über Design zu schreiben und den Designdiskurs zu fördern! Lasst nicht nur Fachfremde über Design schreiben, sondern holt euch dafür auch kompetente Leute aus dem Design selbst! Berichtet über Konzepte, Inhalte und Designforschung! Und schafft endlich die oberflächliche Designberichterstattung ab!