DESIGN DISKURS
Designer*innen sehen sich heute mit neuen Herausforderungen konfrontiert, für die es in der Geschichte scheinbar keine Beispiellösungen gibt. Designgeschichte versinkt infolgedessen, abgesehen von einer vielfältigen Retro-Kultur, gern im Dunkel einer obsoleten Disziplin. Warum sich dennoch mit der Vergangenheit der Zunft beschäftigen?
Spätestens seit der Postmoderne sieht sich Gegenwart nicht in einer zeitlichen Kontinuität, wobei sie, auch wenn nicht explizit thematisiert, ausgerechnet darin in die Fußstapfen der Moderne getreten ist. Für die Moderne war das Präfix „neu“ und der Bruch mit der Geschichte einer der gängigsten Ausweise ihrer Legitimation. Gegenwart wird aber seit geraumer Zeit als Tableau betrachtet, in dem Vergangenheit nur sporadisch aufflammt, vom jeweiligen aktuellen Bedarf motiviert. Kein Zweifel, dass sich Designer*innen heute mit neuen Herausforderungen konfrontiert sehen, für die es in der Geschichte keine Beispiellösungen gibt. Zudem zählt ein innovatives Flair geradezu zum Image der Profession. Designgeschichte versinkt infolgedessen, abgesehen von einer vielfältigen Retro-Kultur, gern im Dunkel einer obsoleten Disziplin. Warum sich dennoch mit der Vergangenheit der Zunft beschäftigen?
Bauhaus als Exportschlager
Für eine Erinnerungskultur ist ein punktuelles und je nach Gegenwartsinteresse wiederbelebtes Gedächtnis normal. Eines der bekanntesten Beispiele für diese Kulturtechnik ist die Feier von herausragenden Geschichtsdaten. Das kam beispielsweise beim 100sten Gründungsjubiläum des Bauhauses 2019 zum Tragen. Kulturvertreter*innen und die Medien überschlugen sich in der Beschreibung der Singularität der einstigen Schule und betonten deren zeitlose Aktualität – in vielfach überzogenem Maße. Wenn beispielsweise die Staatsministerin Monika Grütters von der „bis heute weltweit einflussreichste(n) Bildungsstätte im Bereich der Architektur, der Kunst und des Designs“ sprach und das Goethe-Institut vom „größten Exportschlager“ und vom „Fortschritt, der von hier aus seinen Siegeszug um die Welt antrat“, dann wurde ein Gewinn der Erinnerungsfeier auch darin gesehen, das Bauhaus als besonderen Wirtschaftsfaktor in Szene zu setzen und sich nahtlos an Paul Floridas Thesen von der „creative class“ anzubinden, die die „soft skills“ von Designer*innen als besonderen Vorteil für „economic change“ werten.
„Gerade in den heute oftmals umstrittenen ‚klassischen‘ Narrativen der Designgeschichte, deren Grenzen, insbesondere im englischsprachigen Raum, von der ‚material culture‘ erweitert werden sollen, zählte die Gestaltung des menschlichen Lebensraums, die Auseinandersetzung mit Problemen des Bedarfs und die Suche nach einer gerechten Verteilung von Gütern zu den Grundsätzen.“
Geschichte ist inzwischen ein Projektionsterrain für Vieles geworden. Und nirgendwo deutlicher als an der Rezeption des Bauhauses seit seiner Schließung lässt sich ablesen, dass die Art und Weise, wie man sich erinnert, immer vom jeweiligen gegenwärtigen Kontext abhängt. Entscheidend ist dabei, woran man sich erinnern will.
Zukunft gestalten
Ob mit den Fifties die beschwingte Wirtschaftswunder-Ära verbunden wird oder der Aufbau einer demokratischen Kultur mit den Mitteln der Gestaltung wie an der Goethe-Universität in Frankfurt durch Ferdinand Kramer und ab 1951 (!) im Verbund mit dem jüdischen Emigranten Max Horkheimer als Rektor, oder durch die HfG Ulm, die aus der antifaschistischen Bewegung entstand und eine Jugend, die in einer Diktatur aufgewachsen war, dazu anregen wollte, durch Design eine bessere Zukunft zu gestalten; ob mit den Sixties organische Kunststoff-Formen und „space“-Design assoziiert werden oder die ab ovo-Theorien des italienischen Radical Design in Verbund mit „arte povera“, um sich von den eingefrorenen, weil inzwischen elitären Entwurfslösungen der Klassischen Moderne abzusetzen; ob mit den Seventies Schlaghosen und Disco-Design gemeint sind oder das Anti-Design der Friedens- und Anti-Atomkraft-Bewegung und das Recycling-Design im Bewusstsein für die Endlichkeit der Rohstoffe - das hängt von der jeweiligen gegenwärtigen Perspektive ab. Selbst das heute fast immer in einer süßlichen Folklorewelt versinkende britische Arts and Crafts und insbesondere John Ruskin wurden für junge britische Designer*innen dann zum Vorbild, als es um die neue Konjunktur von Handwerk und Mikroökonomien ging und um eine politische Haltung, die den Wert der Arbeit reflektiert, auch wenn sich die Rahmenbedingungen völlig geändert haben.
Gerade in den heute oftmals umstrittenen „klassischen“ Narrativen der Designgeschichte, deren Grenzen, insbesondere im englischsprachigen Raum, von der „material culture“ erweitert werden sollen, zählte die Gestaltung des menschlichen Lebensraums, die Auseinandersetzung mit Problemen des Bedarfs und die Suche nach einer gerechten Verteilung von Gütern zu den Grundsätzen. Vorschläge, sich vom „allgegenwärtigen Überfluss von Design“ 1 (Anh-Linh Ngo) zu befreien, wie sie anlässlich des 100. Gründungsjubiläums des Bauhauses eingebracht wurden, sind vor diesem Hintergrund ungerechtfertigt. Nicht nur, dass Warnungen vor der Verselbständigung formal-ästhetischer Entscheidungen immer wieder erneut in der Designgeschichte in den Fokus rückten, sondern bei den Repräsentanten einer seriösen Designgeschichte war Gestaltung immer eng mit gesellschaftspolitischen und sozialen Zielen verzahnt.
Vorbilder aus der Geschichte
Auf ein Beispiel dieser Designgeschichte scheint sich auch die Idee der EU-Präsidentin Ursula von der Leyen mit der Idee eines „New European Bauhaus“ zu beziehen, um eine veränderte Vorstellungswelt von Städten und vom EU Green Deal durch Designer*innen, Künstler*innen und Architekt*innen voranzutreiben. Und wenn der Umweltforscher Hans-Joachim Schellnhuber, zusammen mit Politiker*innen, Architekt*innen und Künstler*innen, ein „Bauhaus der Erde“ schaffen will, in dem man Fragen der Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung thematisiert, wenn in Aachen mit dem „Bauhaus Europa“ Ideen für die Euregio durchgespielt werden sollten, dann verbindet man mit einem Beispiel der Designgeschichte das Bild einer experimentierfreudigen Haltung und den Wunsch, brennende Probleme der eigenen Zeit auf eine besondere Weise zu lösen, für die es in der Geschichte offensichtlich schon Vorbilder gab.
Man mag diese Initiativen belächeln, aber schon 2015 hatte die Politik per Bundestagsbeschluss und einhelliger Zustimmung aller Fraktionen die nationale Bauhaus-Jubiläums-Kampagne mit dem Motto „die welt neu denken“ 2 überschrieben. Der Slogan war zugegebenermaßen offen und unkonkret, hatte aber dennoch einen eindeutigen Appellcharakter. Nicht nur den Schwerpunkt zu legen auf eine Erinnerung an das historische Bauhaus allein, sondern dessen gesellschaftspolitische Relevanz zu revitalisieren, wurde von allen Fraktionen in der Debatte des Deutschen Bundestags einhellig betont. Und schon zwischen 2012 und 2015 hat die EU über 26 Millionen Euro in unterschiedliche Designprojekte investiert, u.a. in das SEE Netzwerk 3 (Sharing Experience Europe) oder 2013 mit dem Action Plan for Design-Driven Innovation 4. Während Designer*innen noch gegen das negative Image ihrer Profession ankämpfen, scheint die Politik schon ganz andere Wahrnehmungen zu haben.
„Neben die ‚positiven Zukunftsbilder‘ können genauso gut positive Vergangenheitsbilder treten in Erinnerung an wesentliche Charakteristika: deren ganzheitliches, meist multidisziplinäres Denken, deren Einbeziehung eines gesellschaftsrelevanten Kontextes, der Eigeninitiativen und einer entschiedenen Positionierung für ethisch-soziale Ziele.“
Alle markanten designhistorischen Positionen in der historischen Moderne waren von Designer*innen selbst initiiert worden. Sie betrachteten sich nicht als Dienstleister*innen und Auftragnehmer*innen, waren keine „willfährigen Gehilfen des Marketings“ 5 (Markus Frenzl), reduzierten sich nicht auf eine Verschönerungskosmetik und waren nicht ausschließlich auf Kommerz und Konsum konzentriert. Ihre Konzepte haben sie fast immer in Krisenzeiten entwickelt: in der Ablösung der Monarchie durch demokratische Reformströmungen, während der Erschütterungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs, des Realitätseinbruchs durch neu aufbrechende Umweltfragen nach der Ölkrise ab 1973. Das ist eine grandiose Geschichte!
Gesellschaftspolitische Relevanz
Angesichts vieler Erschütterungen wie der Corona-Pandemie, der negativen Seiten der neuen Technologien, der Doppelbödigkeit des Internet und der Social Media, des kulturell noch wenig erforschten Geländes von Künstlicher Intelligenz, des Post-Kolonialismus und einer pluralen Demokratie, des zunehmenden Unrechtsempfinden einstiger Selbstverständlichkeiten wie der „white supremacy“, wie sie zur Zeit vor allem in den USA umkämpft sind, der Gender-Debatten, unbewältigter Nationalismen in Zeiten der Globalisierung und der Umweltzerstörungen, sollte der Blick auf Positionen von Design in der Vergangenheit ermutigen.
Neben die „positiven Zukunftsbilder“ 6, wie sie Uli Mayer-Johansson vorschlägt, können genauso gut positive Vergangenheitsbilder treten, keinesfalls im Sinne von Rezepten und der unsinnigen Idee von zeitlosen Entwürfen, aber in Erinnerung an wesentliche Charakteristika: deren ganzheitliches, meist multidisziplinäres Denken, deren Einbeziehung eines gesellschaftsrelevanten Kontextes, der Eigeninitiativen und einer entschiedenen Positionierung für ethisch-soziale Ziele. Das Kurzzeitgedächtnis an das negative Image von Design erübrigt sich dann von selbst.