Fiber Mates by Laura Jungmann, Jonathan Radetz, Martha Schwindlig und Elena Tezak
Bild © Robert Hamacher

DESIGN DISKURS

Designer*innen sehen sich heute mit neuen Heraus­forder­ungen kon­fron­tiert, für die es in der Geschichte schein­bar keine Beispiel­lösungen gibt. Design­ge­schichte ver­sinkt infolge­des­sen, ab­gesehen von einer viel­fältigen Retro-Kultur, gern im Dunkel einer obso­leten Diszi­plin. Warum sich den­noch mit der Ver­gangen­heit der Zunft be­schäftigen?

Veröffentlicht am 01.05.2021

Spätestens seit der Post­moderne sieht sich Gegen­wart nicht in einer zeit­lichen Konti­nui­tät, wobei sie, auch wenn nicht ex­plizit thema­­­ti­­­siert, aus­gerech­net darin in die Fuß­stapfen der Moder­ne ge­treten ist. Für die Moderne war das Präfix „neu“ und der Bruch mit der Geschichte einer der gängig­sten Aus­weise ihrer Legi­tima­tion. Gegen­wart wird aber seit geraumer Zeit als Tableau be­trachtet, in dem Ver­gangen­heit nur sporadisch auf­flammt, vom jeweiligen aktu­ellen Be­darf moti­viert. Kein Zweifel, dass sich Designer­*innen heute mit neuen Heraus­forder­ungen kon­fron­tiert sehen, für die es in der Geschichte keine Bei­spiel­lösungen gibt. Zudem zählt ein inno­vatives Flair gerade­zu zum Image der Profes­sion. Design­geschichte ver­sinkt infolge­dessen, abge­sehen von einer viel­fältigen Retro-Kultur, gern im Dunkel einer obso­leten Diszi­plin. Warum sich den­noch mit der Vergangen­heit der Zunft beschäftigen?

 

Bauhaus als Exportschlager

Für eine Erinnerungs­kultur ist ein punktu­elles und je nach Gegen­warts­interesse wieder­be­lebtes Gedächtnis nor­mal. Eines der bekanntesten Bei­spiele für diese Kultur­technik ist die Feier von heraus­ragenden Geschichts­daten. Das kam beispiels­weise beim 100sten Gründungs­jubiläum des Bau­hauses 2019 zum Tragen. Kultur­vertreter­*innen und die Medien über­schlugen sich in der Be­schrei­bung der Singu­lari­tät der einstigen Schule und beton­ten deren zeit­lose Aktu­ali­tät – in viel­fach über­zogenem Maße. Wenn bei­spiels­weise die Staats­ministerin Monika Grütters von der „bis heute welt­weit einflus­sreichste(n) Bildungs­stätte im Bereich der Archi­tektur, der Kunst und des Designs“ sprach und das Goethe-Institut vom „größten Export­schlager“ und vom „Fort­schritt, der von hier aus seinen Sieges­zug um die Welt antrat“, dann wurde ein Gewinn der Er­innerungs­feier auch darin gesehen, das Bau­haus als be­sonderen Wirt­schafts­faktor in Szene zu setzen und sich nahtlos an Paul Floridas Thesen von der „creative class“ anzu­binden, die die „soft skills“ von Designer­*innen als besonderen Vorteil für „economic change“ werten.

„Gerade in den heute oft­mals um­strit­tenen ‚klassischen‘ Narra­tiven der Design­ge­schichte, deren Grenzen, ins­be­sondere im englisch­sprachigen Raum, von der ‚material culture‘ er­weitert werden sollen, zählte die Ge­stal­tung des mensch­lichen Lebens­raums, die Aus­einander­setz­ung mit Problemen des Be­darfs und die Suche nach einer ge­rech­ten Ver­teil­ung von Gütern zu den Grundsätzen.“

Geschichte ist in­zwischen ein Projektions­terrain für Vieles ge­worden. Und nirgend­wo deut­licher als an der Rezeption des Bau­hauses seit seiner Schließung lässt sich ab­lesen, dass die Art und Weise, wie man sich erinnert, immer vom je­wei­l­igen gegen­wärtigen Kontext ab­hängt. Ent­schei­dend ist dabei, woran man sich erinnern will.

 

Zukunft gestalten

Ob mit den Fifties die be­schwingte Wirt­schafts­wunder-Ära ver­bunden wird oder der Auf­bau einer demo­kratischen Kultur mit den Mitteln der Gestal­tung wie an der Goethe-Uni­versi­tät in Frank­furt durch Ferdinand Kramer und ab 1951 (!) im Verbund mit dem jüdischen Emigranten Max Hork­heimer als Rektor, oder durch die HfG Ulm, die aus der anti­faschis­tischen Be­wegung ent­stand und eine Jugend, die in einer Dik­tatur auf­ge­wachsen war, dazu an­regen wollte, durch Design eine bessere Zukunft zu ge­stalten; ob mit den Sixties or­ganische Kunst­stoff-Formen und „space“-Design asso­ziiert werden oder die ab ovo-Theorien des italien­ischen Radical Design in Verbund mit „arte povera“, um sich von den ein­ge­frorenen, weil inzwischen eli­tären Ent­wurfs­lösungen der Klassischen Moderne abzu­setzen; ob mit den Seventies Schlag­hosen und Disco-Design gemeint sind oder das Anti-Design der Friedens- und Anti-Atom­kraft-Bewe­gung und das Recyc­ling-Design im Bewusst­sein für die End­lich­keit der Roh­stoffe - das hängt von der je­weiligen gegen­wärtigen Pers­pek­tive ab. Selbst das heute fast immer in einer süß­lichen Folk­lore­welt ver­sinkende britische Arts and Crafts und ins­be­sondere John Ruskin wurden für junge britische Designer­*innen dann zum Vor­bild, als es um die neue Kon­junk­tur von Hand­werk und Mikro­ökonomien ging und um eine politische Haltung, die den Wert der Arbeit reflek­tiert, auch wenn sich die Rahmen­be­ding­ungen völlig ge­ändert haben.

Gerade in den heute oft­mals um­stritt­enen „klassischen“ Narra­tiven der Design­ge­schichte, deren Grenzen, ins­be­sondere im englisch­sprachigen Raum, von der „material culture“ er­weitert werden sollen, zählte die Gestaltung des mensch­lichen Lebens­raums, die Aus­einander­setzung mit Problemen des Bedarfs und die Suche nach einer ge­rechten Vertei­lung von Gütern zu den Grund­sätzen. Vor­schläge, sich vom „all­gegen­wärtigen Über­fluss von Design“­ 1 (Anh-Linh Ngo) zu be­freien, wie sie an­läss­lich des 100. Gründungs­jubi­läums des Bau­hauses ein­ge­bracht wurden, sind vor diesem Hinter­grund unge­recht­fertigt. Nicht nur, dass Warn­ungen vor der Ver­selb­ständi­gung formal-ästhetischer Ent­schei­dungen immer wieder erneut in der Design­ge­schichte in den Fokus rückten, sondern bei den Re­präsentanten einer seriösen Design­ge­schichte war Ge­staltung immer eng mit ge­sell­schafts­polit­ischen und sozialen Zielen verzahnt.

 

Vorbilder aus der Geschichte

Auf ein Bei­spiel dieser Design­ge­schichte scheint sich auch die Idee der EU-Präsidentin Ursula von der Leyen mit der Idee eines „New European Bau­haus“ zu be­ziehen, um eine ver­änderte Vor­stellungs­welt von Städten und vom EU Green Deal durch Designer­*innen, Künstler­*innen und Archi­tekt­*innen voran­zu­treiben. Und wenn der Umwelt­forscher Hans-Joachim Schell­n­huber, zusam­men mit Politiker­*innen, Archi­tekt­*innen und Künstler­*innen, ein „Bau­haus der Erde“ schaffen will, in dem man Fragen der Nach­haltig­keit und Ressourcen­schonung thema­ti­siert, wenn in Aachen mit dem „Bau­haus Europa“ Ideen für die Euregio durch­ge­spielt werden sollten, dann ver­bindet man mit einem Beispiel der Design­geschichte das Bild einer ex­peri­men­tier­­freu­digen Haltung und den Wunsch, brennende Probleme der eigenen Zeit auf eine be­son­dere Weise zu lösen, für die es in der Geschichte offen­sicht­lich schon Vorbilder gab.

Man mag diese Initia­tiven be­lächeln, aber schon 2015 hatte die Politik per Bundes­tags­be­schluss und ein­helliger Zu­stimmung aller Fraktionen die natio­nale Bau­haus-Jubiläums-Kampagne mit dem Motto „die welt neu denken“ ­2 über­schrieben. Der Slogan war zuge­geben­er­maßen offen und un­konkret, hatte aber den­noch einen ein­deutigen Appell­charakter. Nicht nur den Schwer­punkt zu legen auf eine Erin­ner­ung an das historische Bau­haus allein, sondern dessen gesell­schafts­poli­t­ische Rele­vanz zu revi­tali­sieren, wurde von allen Frak­tionen in der De­batte des Deutschen Bundes­tags ein­hellig be­tont. Und schon zwischen 2012 und 2015 hat die EU über 26 Millio­nen Euro in unter­schied­liche Design­projekte in­vestiert, u.a. in das SEE Netz­werk­ 3 (Sharing Experience Europe) oder 2013 mit dem Action Plan for Design-Driven Inno­vation­ 4. Während Designer­*innen noch gegen das negative Image ihrer Profes­sion an­kämpfen, scheint die Politik schon ganz andere Wahr­nehm­ungen zu haben.

„Neben die ‚posi­tiven Zu­kunfts­bilder‘ können genauso gut positive Ver­gan­gen­heits­bil­der tre­ten in Erin­ner­ung an wesent­liche Charak­ter­is­tika: deren ganz­heit­liches, meist multi­dis­zi­pli­näres Denken, deren Ein­be­zieh­ung eines gesell­schafts­rele­vanten Kon­textes, der Eigen­initi­ativen und einer ent­schiedenen Posi­tion­ierung für ethisch-soziale Ziele.“

Alle markanten design­historischen Posi­tionen in der historischen Moderne waren von Designer­*innen selbst initiiert worden. Sie betrachteten sich nicht als Dienst­leister­*innen und Auf­trag­­nehmer­*innen, waren keine „will­fährigen Ge­hilfen des Marke­tings“­ 5 (Markus Frenzl), redu­zier­ten sich nicht auf eine Ver­schönerungs­kos­metik und waren nicht aus­schließ­lich auf Kom­merz und Konsum kon­zen­triert. Ihre Kon­zepte haben sie fast immer in Krisen­zeiten ent­wickelt: in der Ab­lösung der Monar­chie durch demo­kra­tische Reform­strömun­gen, während der Er­schüt­ter­ungen des Ersten und Zweiten Welt­kriegs, des Realitäts­ein­bruchs durch neu auf­brechende Umwelt­fragen nach der Öl­krise ab 1973. Das ist eine gran­diose Geschichte!

 

Gesellschaftspolitische Relevanz

Angesichts vieler Er­schüt­ter­ungen wie der Corona-Pan­demie, der negativen Seiten der neuen Tech­no­logien, der Doppel­bödig­keit des Internet und der Social Media, des kultur­ell noch wenig er­for­schten Ge­ländes von Künst­licher Intelli­genz, des Post-Kolonia­lis­mus und einer pluralen Demo­kratie, des zu­nehmen­den Un­rechts­empfinden ein­stiger Selbst­verständ­lich­keiten wie der „white sup­rem­acy“, wie sie zur Zeit vor allem in den USA um­kämpft sind, der Gender-Debat­ten, unbe­wältigter Natio­nalis­men in Zeiten der Globali­sierung und der Um­welt­zer­störungen, sollte der Blick auf Posi­tionen von Design in der Ver­gangen­heit ermutigen.

Neben die „positiven Zukunfts­bilder“­ 6, wie sie Uli Mayer-Johans­son vor­schlägt, können genau­so gut positive Ver­gangen­heits­bilder treten, keines­falls im Sinne von Rezepten und der un­sin­nigen Idee von zeit­losen Ent­würfen, aber in Er­inner­ung an wesent­liche Charakter­istika: deren ganz­heit­liches, meist multi­diszi­plinäres Denken, deren Ein­be­ziehung eines gesell­schafts­rele­vanten Kon­textes, der Eigen­initi­ativen und einer ent­schie­denen Posi­tio­nierung für ethisch-soziale Ziele. Das Kurz­zeit­ge­dächtnis an das negative Image von Design erübrigt sich dann von selbst.

Quellenangaben

1   Ngo, Anh-Lin: Der Architekt, der auch mit Worten baut. In: DDC Magazin online, vom 09.01.2020
2   „Die Welt neu denken – Der 100. Jahrestag der Gründung des Bauhauses im Jahre 2019“, Antrag Bundestagsdrucksache Drucksache 18/3727, 13.1.2015.
3   www.europa.eu: The „Sharing Experience Europe“-Platform
4   www.interregeurope.eu: Design-driven innovation is European speciality
5   Frenzl, Markus: Schafft die oberflächliche Designberichterstattung ab! In: DDC Magazin online, vom 04.02.2020 
6   Mayer-Johansson, Uli: Wir tragen Verantwortung. In: DDC Magazin online, vom 02.03.2020

Prof. i. R. Dr. Gerda Breuer

1995–2014 Professorin für Kunst- und Design­ge­schichte an der Berg. Uni­versi­tät Wupper­tal. Leiter­in der dortigen Design­sammlung. 2005–2012 Vor­sitzende des wissen­schaft­lichen Beirates der Stiftung Bauhaus Dessau. 2014–2016 Research Fellow­ship Stiftung Bauhaus Dessau. Ausstellungen und Ver­öffent­lichungen zur Kunst-, Fotografie- und Design­geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.