DESIGN DISKURS
Braucht es heute noch einen klassischen Designwettbewerb? Sind die Probleme unserer Zeit nicht so drängend, dass wir den Einsatz unseres Designs viel strategischer und zielgerichteter denken müssen? Und ergibt sich nicht bereits daraus, dass man überhaupt einmal diese Fragen stellt, ein neues Verständnis für das, was gut sein kann im und durch Design? Im Diskurs zum Beginn des Jahres resümiert Felix Kosok über das Fragenstellen im Allgemeinen und stellt zugleich das neue Jahresmotto des DDCs vor: Wert/e.
Der einzige Weg, innovative und neue Antworten zu finden, ist, Fragen zu stellen, die bisher nicht gestellt wurden. Wobei das Fragenstellen an sich schon der ergiebigste Motor gesellschaftlichen Fortschritts sein dürfte. Was sind nun die drängenden Fragen unserer Zeit? Und welche Fragen können schon durch ihr Stellen eine Veränderung provozieren? “WAS IST GUT?” war eben solch eine Frage, die uns als Club dazu bewegte, unseren Designwettbewerb sowie seine Prozesse völlig neu zu denken. Im Kern bleibt diese Frage als neuer Titel der Auszeichnung guter Gestaltung treu, die der DDC seit seiner Gründung fordern und fördern will. 1 Die Frage tritt jedoch einen Schritt vor jede vorschnelle Antwort zurück und schaut genauer hin. Angesichts der multiplen Krisen unserer Zeit fordert sie die Designdisziplin auf, sich neu zu positionieren, Haltung einzunehmen und Vorschläge dafür zu machen, wie das Design tatsächlich die Welt verbessern könnte. Weltverbesserndes Design, danach wurde durch den DDC die letzten beiden Jahre fragend gesucht. Rückblickend können wir die uns antreibende Frage nach dem Guten hier nun durch die Perspektive des Designs präzisieren. Während die Frage nach dem Sein des Guten durch eine jahrtausendealte Debatte der Philosoph*innen in ihren Akademien und Symposien bestimmt ist, 2 können wir Designer*innen ganz achtsam im “buddhistischen Geist” 3 unserer Zeit fragen: Was tut gut? Was zunächst nach homöopathisch dosierten Nahrungsergänzungsmitteln klingen mag, nimmt jedoch das Wesentliche des Designs in den Fokus. Design als Tätigkeit ist stets durch Prozesse bestimmt, die es zum einen bedingen, die es wechselseitig jedoch auch überhaupt erst in Gang bringen kann. Wir gestalten unsere Welt und diese wirkt wiederum auf uns zurück und gestaltet uns. 4 Während Philosoph*innen nach dem Wesen des Guten fragen, interessieren wir Designer*innen uns für dessen Wirken. Für das Design ist nicht interessant, was gutes Design ist, sondern was Design Gutes bewirken kann. Welche Prozesse können wir durch unsere Gestaltung in Gang setzen? Welche sinnvollen Produkte können wir entwerfen? Wie gestalten wir zukunftsfähige Lebensräume? Und wie ermöglichen wir soziale Beziehungen?
Die Frage nach dem Wert
Einmal durch WAS IST GUT ins Fragen gekommen, gibt es für uns nun kein Zurück mehr. Den Prozess, den dieser neuartige Designwettbewerb angestoßen hat, wollen wir in diesem Jahr konsequent weiterdenken, oder vielmehr denkend weiter befragen. Dabei fokussieren wir uns ganz auf das, was Designer*innen am besten können: Gestalten. Aber was gestalten wir eigentlich noch, wenn wir Räume, Produkte, Kommunikation und Prozesse entwerfen? Wir erzeugen Wert. So beschreibt es ein Experte für die Frage nach dem Wert, der – unter anderem – Ökonom Karl Marx. Was ist Wert eigentlich? Marx’ Arbeitswerttheorie besagt, dass etwas „nur einen Wert [hat], weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist.“ 5 Zugegebenermaßen gilt diese den meisten Ökonom*innen heute als überholt. Wir können diese Idee trotzdem für unser Fragen aufgreifen und sie auf das Design übertragen. Marx betrachtet die menschliche Arbeit als Naturkraft, als einen Prozess, in dem der Mensch natürliche Ressourcen in Dinge und Waren umwandelt, einen Prozess, der etwas Wertvolles schafft. Die Arbeit ist die „wertbildende Substanz“, aus der sich Neues herauskristallisiert. 6 Zugleich ist sie als wertbildende Substanz in der kapitalistischen Ware in einem Doppelcharakter nicht nur materialisiert, sondern sie bleibt auch abstrakt. Betrachtet Marx den ökonomischen Tauschwert einer Ware, so sieht er in diesem niemals die konkrete Arbeit, die auf ihn angewendet wurde. Vielmehr geht es ihm um ein Verhältnis, durch welches der Tauschwert aus dem Wert der abstrakten Arbeit entsteht. Am Ende ist der Wert eine kompliziert vermittelte soziale Beziehung, die eine abstrakte und eine materielle Seite in der Ware besitzt.
Dieser kurze Text zum Fragen soll an dieser Stelle nicht in eine weitere Marx-Auslegung münden. Von denen gibt es reichlich genug und es wäre auch eher ein Frageprozess der Ökonomie, der sich hier auf die Suche nach Antworten machen würde. Und ob Marx am Ende vielleicht nicht doch eher ein Fan des Designs gewesen wäre, kann ich an dieser Stelle nicht beantworten. Was interessant für unsere Frage nach dem Wert und den Werten des Designs ist, ist die Einsicht, dass sowohl Wert als auch Werte geschaffen werden müssen. Beide sind zu gleichen Teilen durch abstrakte, immaterielle sowie materielle, ökonomische Faktoren bestimmt. Selbst der materielle, ökonomische Wert ist nicht einfach so da. Er muss durch Arbeit erzeugt werden. Zugleich existierten Werte als abstrakte Größen, als „regulative Fiktion“, wie der Philosoph Andreas Urs Sommer sie beschreibt, 7 nie wirklich, weil sie sich immer erst in einem Beziehungsverhältnis verwirklichen müssen – und somit auch offen dafür bleiben, immer wieder neu gestaltet zu werden.
Es sind diese zwei Seiten des Wertbegriffes, welche sich immer wieder in der Debatte um Werte wiederfinden, 8 die insbesondere für das Design von Interesse sind. Es ist dieser Riss, der sich im Deutschen durch die Trennung in Singular und Plural ausdrückt, welcher das Fragen nach Wert/en in zwei unterschiedliche Expert*innen-Lager delegiert. Die materiellen Werte werden von den Ökonom*innen untersucht, die ideellen Werte werden von Philosoph*innen und der Sozialwissenschaft beschrieben. Dieser Split in der Mitte des Wertbegriffs scheint indes so tief zu sein, dass sich beide Seiten kaum zusammen verhandeln lassen. Unverbindlich stehen sie sich gegenüber. Auf der ideellen Seite finden wir die klassische Trias des Wahren, Schönen und Guten. Neben den ethischen Werten, die wir mit WAS IST GUT bereits ergründen wollten, finden sich die kulturellen und ästhetischen Werte wieder. Welche Rolle Schönheit im Design spielt, liegt mehr oder weniger auf der Hand. Wie wir wiederum den Wert der Wahrhaftigkeit im Kontext eines kulturellen Systems verstehen wollen, wäre sicherlich eine weitere spannende Titelfrage … nun ja, für ein anderes Mal … Dem Wahren, Schönen und Guten gegenüber stehen die materiellen Werte, vorne weg der ökonomische Wert im Singular. Hinzuzufügen wären die Werte der Gesundheit sowie Lebendigkeit, die ja ebenfalls materiell beziehungsweise organisch begründet werden, sowie der prozessual gedachte Wert der Nachhaltigkeit, der unser ganzes Produktions- und Distributionssystem betrifft. Beide Seiten werden leider meistens getrennt voneinander behandelt. Das Gute fragt nicht nach dem Wirtschaftlichen, die Nachhaltigkeit interessiert sich in den seltensten Fällen für Ethik oder Ästhetik – leider!
Aber wer, wenn nicht wir Designer*innen, wären eben jene Expert*innen, die in ihrer alltäglichen Arbeit immer wieder diesen Riss durch neue Konstruktionen überbrücken? In unserem täglichen Gestalten erzeugen wir neue Querverbindungen, in denen unterschiedliche Werte zusammenfließen – ästhetische, ökonomische, ethische – und etwas Neues entsteht. Wir Designer*innen sind die Meister*innen dieser Wertverknüpfungen, im systemischen Wertedenken und in der regelrechten Wertneuschöpfung. Wenn es um die Frage nach der Verwirklichung von Wert/en geht, dem Schaffen neuer Werte, um wertebasierte Gestaltung und um die Verwirklichung von Werten in unserer Gesellschaft, dann sind wir Designer*innen es, die gefragt werden müssen – ebenso, wie wir uns selbst fragen sollten.
Wertneuschöpfungsexpert*innen
Eine neue Frage bildet sich allmählich heraus, die wir durch die Perspektive des Designs noch weiter schärfen können. Betrachten wir die Wert/e aus der Perspektive der Gestaltung, so ergeben sich bereits erste offensichtliche Brücken, die ich hier noch kurz aufgreifen möchte. Gerade die oft vernachlässigte Ästhetik im Design erweist sich als Bindeglied zwischen unterschiedlichen Werten materieller und ideeller Art. So ließe sich an dieser Stelle vielleicht doch einmal mutmaßen, ob Karl Marx entgegen aller Vermutungen ein Fan des Designs gewesen wäre. Denn er war immerhin schlau genug, die Nachwelt wissen zu lassen, dass er selbst jedenfalls nie ein Marxist war. Gleich zu Beginn von „Das Kapital“ definiert er jedenfalls die Ware als einen Gegenstand, der „durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt“. 9 Er fügt jedoch sogleich hinzu: „Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie zum Beispiel dem Magen oder der Phantasie [im Englischen „fancy“] entspringen, ändert nichts an der Sache.“ 10 In einer Fußnote liest sich dann ein Zitat des englischen Ökonomen Nicholas Barbon, dass die meisten Dinge einen Wert haben, weil sie den Appetit des Geistes stillen. Bereits unsere Bedürfnisse, die so häufig doch als Grundlage unterschiedlichster Modelle herangezogen werden, sind eine „fancy“ Sache, hochgradig ästhetisch vermittelt, kapriziös und phantasievoll. Gerade in der Gestaltung von Kommunikation, selbst in der Werbung, können wir uns das bewusst vor Augen führen. Der Kunstkritiker Wolfgang Ullrich beschreibt die phantasievolle Ausgestaltung unseres alltäglichen Lebens durch Produkte als „Fiktionswerte“. 11 Nach Ullrich sollten wir das Design von Produkten, ihrer Verpackung und Bewerbung, nicht als epistemologischen Schein der Lüge missverstehen, sondern sie als ästhetischen Schein zu würdigen wissen. Ob man nun so weit gehen möchte und jede narrativ-aufgeladene Duschgelverpackung verteidigen muss – ja, ich geb’s zu, ab und zu bade ich auch in Lebensfreude Pur –, sei dahingestellt. Jedoch sollten gerade wir Gestalter*innen uns darüber bewusst sein, dass Schönheit als Wert nicht nur die bloße Oberfläche von Dingen ist. Ästhetik macht aus den Dingen dieser Welt uns angehende Sachen, die uns inspirieren, motivieren, aber auch irritieren und zum Nachfragen anstacheln können. In diesem Sinn ist die ästhetische Dimension des Designs bereits ein Bindeglied, durch das sich unter anderem auch eine politische Dimension des Designs eröffnet, wie ich anderer Stelle bereits ausgeführt habe. 12
Eine weitere von mir angesprochene Wertkategorie, die gerade im Design Verbindungen zwischen materiellen und ideellen Werten schafft, ist die Nachhaltigkeit. Denn aus der Perspektive des Designs greift die Nachhaltigkeit zu kurz, wenn sie lediglich im Kontext der Produktion und des Ressourcenverbrauchs gedacht wird – obwohl es selbstverständlich wünschenswert wäre, wenigstens das einmal zu erreichen. Nachhaltigkeit muss vielmehr auch in ihrer sozialen und ethischen Dimension verstanden werden und gerade im Design mit einer Ästhetik verbunden werden, welche die große Transformation, die uns bevorsteht, als Gestaltungsaufgabe erkennbar werden lässt. Klimaschutz darf nicht bloß eine Frage der nachhaltigen Industrie bleiben, sondern muss auch im Sinne der Klimagerechtigkeit in einem globalen, politischen Prozess ausgehandelt werden. 13 Gerade das Design ist hier gefragt, nicht nur die materiellen Prozesse neu und besser zu gestalten, sondern auch positive Zukunftsbilder zu entwerfen, welche eine gesamtgesellschaftlich getragene Transformation möglich machen. Dies kann nur so gelingen.
Wen sollten wir also fragen, wenn es um die Verbindung von Wert und Werten geht, um die Schöpfung neuer Wert/e? Wer verknüpft Ökonomie mit Ethik und findet positive Bilder für die Transformation unserer Gesellschaft in eine ökologische und sozial nachhaltige Zukunft? Weder die Expert*innen des Werts, die Ökonom*innen, noch die Expert*innen der Werte, die Philosoph*innen, können diese Frage alleine beantworten. Es braucht die Expert*innen der Umsetzung ideeller Werte in materiellen Strukturen, Produkten, Kommunikationen, Räumen und Prozessen. Es braucht uns Designer*innen, um die Frage nach den Wert/en zu beantworten, die wir uns in diesem Jahr in einer neuen Ausgabe von WAS IST GUT stellen wollen. Wie gestalten wir also wertschätzende Kommunikation, die den Inhalten gegenüber nicht neutral bleibt? Wie entwickeln wir wertschöpfende Produkte, die auch andere befähigen können? Wie entwerfen wir wertbasierte Lebenswelten und Räume, in denen sich die Werte dann nicht mehr hintergehen oder ignorieren lassen? Sowohl in Raum, Produkt als auch in der Kommunikation betrifft Design als wertstiftender Prozess die drängenden sozialen, ökologischen und politischen Fragen unserer Zeit sowie die praktischen, ökonomischen und ästhetischen Fragen der jeweiligen Disziplinen. Lasst uns gemeinsam diese neue Frage angehen. Denn für die gesellschaftliche Transformation, aber auch den Fortbestand unserer Demokratien ist es so wichtig, dass wir niemals mit dem Fragen aufhören. Denn nur neue Fragen bringen uns vielleicht in diesem gemeinsamen Prozess dann auch zu neuen Antworten.