DESIGN DISKURS
Designer*innen tun sich häufig schwer, über den Inhalt und die Wirkung ihrer Arbeit zu sprechen. Eine Sprache für die Form ist aber unabdingbar, um am Diskurs über „Werte im Design“ teilzunehmen – ob es sich um ökonomische, ökologische oder soziale Werte handelt.
Es ist der Schrägstrich im diesjährigen DDC Diskurs-Thema (Wert/e), der uns an etwas erinnert. An einen ‚Kippmoment‘, der uns täglich begleitet: Werte und ‚Werte‘ – diese beiden gleichlautenden Worte, die immer wieder unterschiedlich in uns räsonieren – passen einfach nicht zusammen, lassen sich nicht greifen. In den Debatten um den wirtschaftlichen und sozialen Wert von Design ändern sich die Bedeutungen und ein schneller Wechsel von Vorder- und Hintergrund hinterlässt mitunter Gefühle von Verwirrung, Frustration und Überforderung. Zusammenhänge lassen sich manchmal besser erkennen, wenn wir aus dem Gewirr heraustreten und dabei gleichzeitig einzelne Komponenten genauer betrachten. So gewinnen wir neue Perspektiven und können Vordergründiges von Hintergründigem trennen. In der Filmsprache nennt man diese Bewegung ‚Dolly-Zoom‘ oder ‚Vertigo‘.
Aus den Erfahrungen mit anderen, ähnlich polarisierenden gesellschaftlichen Themen (zum Beispiel der Gleichstellungsdebatte), kann man ableiten, dass das Reproduzieren von mehrdeutiger, ungenauer Sprache auch im Design über Jahrzehnte eine pseudoproduktive Debatte hervorgebracht hat. In der Wertediskussion ist eine ‚verwirrende‘ Situation entstanden, die sich viel zu langsam in Richtung Klarheit und realistische Anspruchshaltungen der Beteiligten wandelt. Besteht die Möglichkeit, dass unpräzise Sprache und ungeklärte Kausalzusammenhänge mangelndes Problembewusstsein und Herrschaftsverhältnisse in einer unreflektierten Dauerschleife konservieren?
Zoom-in — Designer*innen
Werte, welche Werte?
Für Akteur*innen der Kreativwirtschaft sind begriffliche Unschärfen der Normalfall. Wesentliche Teile der Tätigkeiten von Gestalter*innen finden im Verborgenen statt und werden kaum oder gar nicht zur Sprache gebracht. Intuition und Bauchgefühl bilden oft die Grundlage für Entscheidungen und lassen sich kaum in Worte fassen. Tatsächlich scheint es so, als ob eine klare Sprache für Designer*innen nicht unbedingt notwendig ist. Sie kommen auch ohne explizites Wissen oder präzise Ausdrucksweise aus und müssen selten Auskunft über ihre Tätigkeit geben. Das Ergebnis zählt. Durch diesen Mangel an Sprache fällt es vielen Gestalter*innen schwer, genau zu beschreiben, was sie tun. Sie nehmen sich damit die Möglichkeit, dies kritisch zu hinterfragen. Manchmal gestehen sich Gestalter*innen selbst nicht ein, dass sie mit den wissenschaftlichen Bezügen ihrer Disziplin überfordert sind. Es bleibt unklar, welche strategischen Werkzeuge den kreativen Prozess am besten abbilden und wie diese Wirkung entfalten. Viele Kreative können nicht verbalisieren, worin der Wert ihrer Arbeit besteht (Haas; Lobinger 2012). Anstatt sich mit dieser Verunsicherung (auch öffentlich) auseinanderzusetzen, ziehen es manche Gestalter*innen vor, sich zurückzuhalten und andere über Werte sprechen zu lassen.
Sprachgewandte Vertreter*innen findet man an den Schnittstellen von Praxis und Theorie. Eine Vielzahl von Ansätzen wie ‚Critical Design‘, ‚Social Design‘, ‚Speculative Design‘, ‚Human Centred Design‘ oder ‚Value-based Design‘ sind entstanden. Von Designer*innen entwickelt, betonen sie die Rolle von Design als Werkzeug zur kritischen Auseinandersetzung und spiegeln den Willen und die Fähigkeit der Branche wider, sich sozialen, kulturellen und ethischen Widersprüchen zu stellen und bestehende Konventionen kritisch zu hinterfragen. Die Auseinandersetzungen sind von einer wissenschaftlichen Sprache geprägt und knüpfen thematisch an die universitäre Forschung an. Die Akademisierung der Branche zielt aber nicht nur auf die Verbesserung der ästhetischen Gestaltungskompetenz ab, sondern erweitert auch den Spielraum, die Auswirkungen von Design auf soziale, ökonomische und ökologische Systeme zu reflektieren und zu steuern. Zweifellos sind diese Bezugspunkte für Designer*innen unverzichtbar, die Auseinandersetzung bleibt aber oft nur ‚Begleitmusik‘. Im Bildungskontext wird häufig an das soziale Engagement appelliert, indem ästhetische Überlegungen mit einem ausgeprägtem sozialen Bewusstsein verknüpft werden. Jenseits der Hochschulen ist der Einfluss jedoch beschränkt. Das Eintauchen in diese Themen allein ist also keine Lösung für das „Sprachproblem“ der Designer*innen. Was aber noch schwerer wiegt: Der Wirkungsgrad von Projekten, die in diesen reflektierten Umfeldern entstehen, ist für eine gesellschaftliche Außenwirkung vernachlässigbar gering.
Zoom-out — Designer*innen
Do, What You Love
Betrachtet man Designer*innen durch eine „soziologische Brille“, dann wird schnell klar, dass die zum Thema „Werte“ gehörenden Ambiguitäten und Unschärfen besonders gut zur Sozialfigur der Creative Class (Florida 2012) passen: die Bobos. Die bourgeoisen Bohemiens (Brooks 2000), die in einem Werte-Kontinuum zwischen materiellem Wohlsein und moralischem Gutsein leben. Sie wollen alles: ‚Purpose‘, ‚Passion‘ und ‚Success‘. Der Spagat zwischen moralischer Selbstgenügsamkeit und wirtschaftlichem Erfolg erfordert aber Dehnbarkeit und Flexibilität.
„Man hat einen gesellschaftlich relevanten Beruf, der gleichzeitig wirtschaftlichen Wert hat.“
Eine gängige Erzählung besagt, dass man Designer*in wird, weil man in der Lage ist, Widersprüche mühelos in Einklang zu bringen. Der Beruf wird als besonders attraktiv beschrieben, da er einer der wenigen sei, bei dem es sich finanziell lohnt, mit sich selbst in Kontakt zu sein, reflektiert und intuitiv zu handeln. Es wird betont, dass man in diesem Beruf nicht nur persönlich erfüllt sei, sondern auch einen gesellschaftlich bedeutsamen Beitrag leiste, der zugleich wirtschaftlichen Wert hat. Trotz intensiven Engagements und aufwendiger Ausbildung, oft sogar eines Studiums, gerät man gelegentlich in prekäre Situationen. Da man aber für das lebt, was einem wichtig ist, wird das geduldig hingenommen. Schließlich trägt man als Designer*in gesellschaftliche Verantwortung. Design hat zweifellos das Potenzial, Weltbilder zu vermitteln und damit die Welt, in der wir leben, zu beeinflussen. Gelingt es den Protagonist*innen der Kreativwirtschaft nicht, eine Erwerbsbiografie in dieser Unsicherheit zu leben, liegt die Verantwortung dafür bei ihnen selbst (Reckwitz 2012).
Halbtotale — Auftraggeber*innen
Der Impact-Faktor von Design
Zusätzlich zur soziologischen Perspektive wagen wir einen Blick durch die ökonomische Linse. Die Wertschöpfung der Kreativwirtschaft ist beachtlich. Laut einem Bericht der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes zu Spillover-Effekten (Södermann 2018) – also indirekten Auswirkungen auf die Wertschöpfung – wird der jährliche Beitrag der Designwirtschaft zur Gesamtwirtschaft in Deutschland auf beeindruckende 42 Milliarden Euro geschätzt. Die Kompetenzen von Designer*innen stellen einen immensen Wirtschaftsfaktor dar.
„Die Kompetenzen von Designer*innen stellen einen immensen Wirtschaftsfaktor dar.“
Der Begriff ‚Werte‘ hat hier eine gänzlich andere Bedeutung: Aus diesem Blickwinkel stehen Umsätze, Wachstum, (wirtschaftliche) Nachhaltigkeit und Humankapital im Vordergrund. Auftraggeber*innen erwarten konkret messbare Ergebnisse. Im wirtschaftlichen Kontext definiert sich der Wert durch Zielerreichung. Die Aktivitäten der Kreativbranche schaffen Absatzmärkte, wo zuvor keine existierten. Eine klare Abbildung dieser Einflussfaktoren des Designs und die Schaffung strategischer Klarheit sind von entscheidender Bedeutung für faire Geschäftsbeziehungen zwischen Designer*innen und Auftraggeber*innen.
Möglichkeiten, den Wert von Design zu messen, bietet die Wirkungsforschung. Gemessen wird, ob, wie schnell und wie intensiv die intendierte Wirkung einsetzt. Dafür stehen unterschiedliche qualitative und quantitative Methoden zur Verfügung (Haas; Lobinger 2012, Kirst 2023). Das Versprechen dahinter ist, dass der marktwirtschaftliche Wert kreativer Arbeit planbar, abbildbar und der Erfolg messbar wird. Dabei geht es neben Aufmerksamkeit auch um Überzeugung oder Memorabilität als relevante Währungen.
Auch aus diesem Blickwinkel stellt sich das eingangs erwähnte Sprachproblem: Die Zugänge sind vielfältig und von wissenschaftlicher Sprache geprägt. Im Rahmen eines Designstudiums ist eine umfassende Vermittlung der komplexen Zusammenhänge in begleitenden Lehrveranstaltungen nur möglich, wenn diese nicht abgekoppelt von der Praxis gelehrt werden.
Pan-Out – Designer*innen : Auftraggeber*innen
Sprachlos im Kreativitätsdispositiv
„Eigentlich hab’ ich ziemlich viel Erfolg, aber für mich fühlt sich’s an wie Scheitern.“ (Deichkind 2019). Die aus der Werbeszene stammenden Musiker der Gruppe Deichkind bringen das Lebensgefühl einer ganzen Branche auf den Punkt: Trotz der enormen Impulskraft für die gesamte Wirtschaft dominieren atypische Arbeitsverhältnisse und prekäre Einkommenssituationen die Mehrzahl von Designer*innenkarrieren (Manske 2009). Es offenbart sich eine disproportionale Beziehung zwischen Auftraggeber*innen und Auftragnehmer*innen, die im Alltag so festgefahren scheint, dass eine baldige Lösung dieser Schieflage nicht absehbar ist. Die von Andreas Reckwitz formulierten Überlegungen zum „Kreativitätsdispositiv“ (Reckwitz 2012) liefern hierfür eine funktionale Arbeitshypothese. Das Kreativitätsdispositiv beschreibt, wie Kreativität zu einem zentralen Wert und einer Schlüsselressource in modernen Gesellschaften geworden ist. Es umfasst verschiedene Aspekte wie Bildungssysteme, Arbeitsmärkte, kulturelle Produktion und Konsum und hebt hervor, wie Kreativität zu einem entscheidenden Faktor für individuellen und gesellschaftlichen Erfolg geworden ist. Damit hängt die Vorstellung zusammen, dass Vergütung für kreative Dienstleistungen nicht nur monetär sein muss, sondern „das Privileg kreativ sein können“ schon eine Vergütung ideeller Natur darstellt (Manske 2021).
In Kombination mit der unterentwickelten sprachlichen Ausdrucksfähigkeit der Kreativen entsteht ein folgenschwerer Effekt. Dieser spielt für eine Vielzahl von Erwerbstätigen eine existenziell entscheidende Rolle. Das Problem, das daraus erwächst, ist, dass Designer*innen den Wert ihrer Leistungen nicht ausreichend benennen können. Um den direkten Zusammenhang mit ihrer Arbeit als überzeugendes Argument für den Verkauf ihrer Ressourcen nutzen zu können, benötigen Designer*innen Einblicke in die Trickkiste der Überzeugungskunst, die sie zwar intuitiv perfekt beherrschen, aber nicht strategisch anwenden.
Zoom in – Designer*innen : Rezipient*innen
Gaslighting als Dauerzustand
Noch einmal wollen wir die Perspektive wechseln und abschließend auf das Verhältnis von Designer*innen zu Rezipient*innen blicken. Die gestaltete Kommunikation in unserer medialen Umwelt ist hochgradig effektiv. Sie ist persuasiv, ohne dass Gestalter*innen über das Zustandekommen der Wirkung differenziert Auskunft geben können. Durch langjährig erworbene gute Praxis und erfahrungsgesättigte Intuition (Heinen 2008) hat sich eine operativ hocheffiziente Branche herausgebildet, die nicht in der Lage ist, über ihr Tun zu reflektieren. Das Studium der visuellen Kommunikation reproduziert stabil und wiederholbar die vom Markt geforderten, impliziten Fähigkeiten von Gestalter*innen. Mit allen visuellen Tricks wird an der Aufmerksamkeit der Rezipient*innen gezerrt, Relevanz vorgetäuscht und „Abwehrmechanismen“ unterwandert. Der Manipulation zu widerstehen, ist beinahe unmöglich.
Gestalter*innen zielen dabei darauf ab, die Entscheidungen von Menschen zu beeinflussen. Nach eingeübten Mustern gestaltete Artefakte erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass eine gewünschte Wirkung auch tatsächlich eintritt. Ob als ‚nudging‘ (Bröckling 2017) oder ‚priming‘ (Kahneman 2012) oder einfach als Wegweiser: Design nimmt Einfluss auf Entscheidungen, die wir treffen. Bilder nehmen dabei als Überzeugungsmittel eine ganz besondere Stellung ein. Visuelle Kommunikation kann Rezipient*innen überzeugen, sich gegen ihre üblichen Routinen zu entscheiden. Davon bleiben auch grundlegende Werte der Rezipient*innen nicht unberührt. Designer*innen werden genau dafür bezahlt: mit visuellen Mitteln zu beeinflussen, zu überzeugen, zu manipulieren.
Für diese Manipulationen sind sowohl Auftraggeber*innen als auch Auftragnehmer*innen verantwortlich. In Zusammenhang mit dem Thema „Werte“ eröffnet sich damit eine gänzlich neue Dimension. Und viele Gestalter*innen nehmen diese Verantwortung auch bewusst wahr. So hört man häufig, dass man sich aus ethischen Gründen gegen den einen oder anderen Auftrag entschieden hat, weil man nicht gegen die eigenen ‚Werte‘ handeln und kein Erfüllungsgehilfe sein möchte. Durch die häufig schwierige wirtschaftliche Lage einer Vielzahl von Kreativschaffenden finden auch Aufträge, die sehr deutlich von Moralvorstellungen der Branche abweichen, ausreichend viele Auftragnehmer*innen.
Zoom-in – Designer*innen : Rezipient*innen
Design wirkt, aber niemand weiß genau wie
In der Beziehung zwischen Designer*innen und Rezipient*innen entsteht nun ein doppeltes Dilemma: Bobo-Designer*innen wollen nach eigenen ethischen Vorstellungen der Gesellschaft zugewandt handeln, produzieren aber als Marktteilnehmer*innen für ihre Auftraggeber*innen hochwirksame und manipulative Überzeugungsnarrative, von denen sie selbst oft nicht sagen können, wie und warum sie wirken.
Rezipient*innen auf der anderen Seite sind als Teil der Gleichung ebenso gefordert, eine Sprachfähigkeit bezüglich visueller Phänomene zu entwickeln (visual literacy). Auf beiden Seiten entsteht eine Black Box. Als Gesellschaft sind wir gegenüber der Wirkmacht von Bildern viel inkompetenter, als wir zugeben können. Wir sind der Wirkung von Visuellem hilflos ausgeliefert. Irgendwie sind wir in der Lage, manipulative Bilder zu formulieren, aber außerstande, diese zu dekodieren. So wird auch die Verantwortung von Designer*innen und Rezipient*innen klar: Um an einem Diskurs über Werte teilzunehmen, muss es eine Sprache für die Form geben.
We can be heroes
Design ist politisch. Das bringt Verantwortung mit sich. Blickt man auf die Beiträge zum DDC DESIGN DISKURS, fallen viele wichtige Beiträge zur Diskussion um die Zukunft unserer Branche und – vielleicht noch wichtiger – Haltungen auf, die demokratisch und weltoffen sind. Es gibt breites Bewusstsein dafür, wie Gestalter*innen unsere Gesellschaften mitformen. Es gibt Beispiele guter Praxis und Forderungen nach mehr Verantwortungsbewusstsein.
„Es geht um eine allgemeine
Bild-Bildung unserer Gesellschaft.“
In diesem Beitrag möchten wir einen Schritt weiter gehen. Wir sind der Meinung, dass Gestalter*innen Artefakte erschaffen, die besonders starke Auswirkungen auf unsere Lebenswelten haben. Dies birgt eine oft übersehene Verantwortung. Es geht um Mündigkeit, verstanden als Unabhängigkeit, die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, die wiederum Sprachfähigkeit vorraussetzt. Wir finden, dass Gestalter*innen verpflichtet sind, mehr Bewusstsein gegenüber den Wirkungen ihrer Arbeit zu entwickeln. Funktionale Zusammenhänge, die zur Überzeugung bis hin zur Manipulation des Zielpublikums führen, müssen strukturell wesentlich besser durchschaut werden können. Das bringt eine bessere Verhandlungssituation gegenüber Auftraggeber*innen und verbessert die Einkommenssituation von Designer*innen. Es geht um eine allgemeine Bild-Bildung unserer Gesellschaft. Eine Konsequenz davon wäre die Stärkung sowohl der Sender*innen als auch der Empfänger*innen. In einer Gesellschaft, die Schwierigkeiten im Umgang mit Bildern hat und in der bildbasierte Medien die Meinungsbildung maßgeblich beeinflussen, tragen Designer*innen eine Mitverantwortung, die visuelle Kompetenz sowohl bei der Produktion als auch bei der Rezeption zu fördern.
Seit über einem Jahrzehnt forschen wir an Methoden zur Förderung visueller Kompetenz, indem wir Rhetorik als Grundlage von Design betrachten und zukunftsorientierte Design-Studienprogramme entwickeln (Kirjuchina, Grundnigg 2022). Dabei legen wir methodische Strukturen frei, die helfen, Wirkursachen zu erkennen. Dies schafft eine Kanonisierung wissenschaftlicher Theorien zur visuellen Kommunikation und verringert damit die Undurchschaubarkeit der Bildproduktion und -rezeption. Eine enge Verbindung von Gestaltungstheorie und -praxis ist die Folge – ähnlich einem antiken Theoriegebäude, das praxisorientierte Werkzeuge für die Gestaltung bereitstellt. Rhetorik dient als strukturgebendes Gerüst für die Konzeption, Gestaltung und Medialisierung von Überzeugungsnarrativen. Durch die Integration von Rhetorik in die Gestaltung entsteht ein „Begriffsapparat“, der Handlungszusammenhänge und Vokabulare manifestiert. Eine gemeinsame Sprache erleichtert den Dialog zwischen Produzent*innen und Rezipient*innen und die neu gewonnene Schreib- und Lese-Kompetenz wird zu einem wesentlichen Bestandteil visueller Bildung.
Manche Praktiker*innen befürchten wahrscheinlich, dass das oben Formulierte zu theoretisch sei. Zu viel Theorie und zu starker Fokus auf Reflexions- und Sprachfähigkeit würden ‚verkopfte‘ Designlösungen hervorbringen, die nicht für sich sprechen können. Dem kann jedoch in aller Deutlichkeit widersprochen werden. Das aktuelle Curriculum des Fachbereichs Kommunikationsdesign der Fachhochschule Salzburg fußt auf Rhetorik als Referenzrahmen für Designtheorie. Die Qualität der gestalterischen Arbeiten, die derzeit entstehen, ist herausragend. Das erste Mal seit Bestehen des Fachbereichs wurde beim wichtigsten Kreativ-Wettbewerb Österreichs, dem CCA Award ‚Student of the Year‘, eine Arbeit mit Gold prämiert. In Deutschland haben Studierende des Fachbereichs Kommunikationsdesign den bedeutenden Nachwuchswettbewerb für Kreativität des Art Directors Club Germany mit zwei ‚Grand Prix‘ und sechs ‚Goldenen Nägeln‘ überragend gewonnen. Lehrkonzepte, wie das oben beschriebene, unterstützen nicht nur herausragende Nachwuchstalente, sondern auch Designer*innen, die über eine erweiterte visuelle Kompetenz und ein ausgeprägtes strategisches Verständnis verfügen.
Wert–Schätzung
Die unterschiedlichen Perspektiven auf das Jahresthema des DDC geben uns eine Vorstellung davon, dass Werte ganz unterschiedlich verstanden, geschätzt und diskutiert werden. Das ständige Wechseln der Ebenen sorgt manchmal für Missverständnisse. Immer wieder entgleitet das Kernthema, an dem man schon so nahe dran war. Das ist der ‚double-bind Charakter‘ der Bobo-Fantasie, die sich an beiden Enden nicht einlösen lässt. Wenn wir unsere ethischen Werte leben, haben sie oft keinen ökonomischen Wert.
Als Handlungsräume zur Integration beider Werte-Dimensionen, sehen wir zum einen die Vermittlung von Bildkompetenz ganz allgemein (visual literacy) und zum anderen das Studium der Wirkungs- und Funktionszusammenhänge (visuelle Rhetorik) für Designer*innen. Wir finden, dass in Anbetracht der Wirkmacht von Design, alle Marktteilnehmer*innen von den Kenntnissen der wesentlichen Mechanismen profitieren würden.
Die Bilder zu unserem Beitrag stammen alle aus der Ausstellung „IN*VISIBLE“ von Johanna Wicht und Christine Poplavski. Die von Studierenden gestaltete Ausstellung, die im Sommer 2022 an der FH Salzburg gezeigt wurde, macht unsichtbare Probleme von Frauen und anderen unterrepräsentierten Designer*innen in Österreich sichtbar. Die viel beachtete Ausstellung hat die Fachwelt begeistert. Wir fragen ganz provokant: Entstehen solche Projekte auch außerhalb von Hochschulen? Mit Aussicht auf das nächste Jahresthema des DDC könnten wir uns zum Beispiel „Who would have paid for it?“ vorstellen. Es erscheint uns sinnvoll, der Frage nachzugehen, wie wir sicherstellen können, dass wichtige gesellschaftliche Themen von Designer*innen auch professionell und systematisch für die Allgemeinheit formuliert werden können.
Thomas Grundnigg und Viktoria Kirjuchina, Bild © Johanna Wicht