DESIGN DISKURS
Mobilitätsdesign kann Zugang und ein positives Erleben neuer und vernetzter Mobilität ermöglichen. Es vermittelt Werte, schafft Identifikation und damit Akzeptanz, sodass es von allen gerne genutzt wird. Basierend auf Designforschung kann Mobilitätsdesign einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrswende leisten.
Von Offenbach nach Oberammergau: Mit dem eigenen Wagen in knapp fünf Stunden (ohne Stau, ohne Parkplatzsuche) – oder doch umweltfreundlich mit Bus und Bahn in sechs Stunden (ohne Zugverspätung)? Letzteres kommt uns kaum in den Sinn, auch wenn es aus ökologischen Gründen noch so sinnvoll sein mag. Zu umständlich, man muss umsteigen, sich zurechtfinden, und überhaupt: Im eigenen Auto fühle ich mich doch wie zuhause …
Der Klimawandel, die begrenzte Verfügbarkeit von Ressourcen und der kontinuierlich wachsende Verkehr stellen eine massive Belastung für Mensch und Umwelt dar (Stress, Luftverschmutzung, Lärm, Flächenverbrauch, Verschmutzung). Das erfordert dringend die Entwicklung neuer Lösungen für eine nachhaltige und nutzerfreundliche Mobilität. Die Technologien und Konzepte für ein umweltfreundliches Verkehrssystem sind bereits vorhanden – was fehlt, ist Design! Gestaltung, die den Menschen den Zugang und ein positives Erlebnis dieser neuen und vernetzten Mobilität ermöglicht: Mobilitätsdesign.
Mehr Mobilität – weniger Verkehr
Die Rückgewinnung von Lebensqualität sowie die Reduktion von Umweltbelastungen bedingen eine Transformation des vorherrschenden automobilen Verkehrsmodells. Autozentrierte Mobilität ist keine quasi-natürliche Gegebenheit, sondern politisch und gesellschaftlich gestaltbar. Eine klimaschonende Mobilität bedeutet, sich nicht weniger, sondern anders und intelligenter fortzubewegen. Dazu braucht es weniger fliegende Taxis und vollautonome PKWs, sondern einen von der öffentlichen Hand regulierten Markt, dessen Rückgrat neben dem schienengebundenen Fern-, Regional- und Nahverkehr das öffentliche Nahverkehrssystem bildet und das durch On-Demand-Angebote autonomer beziehungsweise teilautonomer Fahrzeuge (Kleinbusse) und Sharing-Angebote, angetrieben mit nichtfossiler Energie, ergänzt wird.
Eine klimaschonende Mobilität fördert vor allem den Fuß- und insbesondere den Radverkehr in der nahräumlichen Fortbewegung. All dies zusammen ergäbe ein intermodal nutzbares Mobilitätssystem, das durch Vernetzen und Teilen seine Nachhaltigkeit erreicht. Das sich aber auch durch seine Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse der Nutzenden auszeichnet – auch ohne eigenen PKW.
Design vermittelt zwischen Mensch und Mobilitätssystem
Dank der digitalen Verfügbarkeit von unterschiedlichen Mobilitätsangeboten eröffnen sich neue, intelligente Formen der Mobilität: Wir sind nicht mehr auf ein eigenes Fahrzeug angewiesen, sondern können problemlos eine Vielzahl verschiedener Verkehrsmittel nutzen und sie je nach Bedarf und Vorlieben miteinander verknüpfen. Wenn wir uns in Zukunft hauptsächlich mit öffentlichen oder gemeinsam genutzten Verkehrsmitteln (Sharing), zu Fuß oder mit dem Fahrrad (einschließlich seiner e-mobilen Variante) fortbewegen wollen – und das sogar auf einer einzigen Wegstrecke, von Offenbach nach Oberammergau –, wird deutlich, dass nicht nur ein reibungsloses Zusammenspiel der unterschiedlichen Mobilitätsangebote und Verkehrsmittel erforderlich ist (eine Frage der Planung und Organisation, aber auch des Aus- und Umbaus der tragenden Verkehrsinfrastruktur), sondern auch eine umfassende Gestaltung der Mobilitätsräume, einschließlich der Verbindung zum mobilen Internet (Stichwort: ‚Smart Devices‘).
„Eine klimaschonende Mobilität bedeutet, sich nicht weniger, sondern anders und intelligenter fortzubewegen.“
Das ist die zentrale Herausforderung für das Mobilitätsdesign: Wie „spricht“ das System mit mir – repräsentiert es innovative Mobilität? Man denke nur an das eigene Auto, das ja nicht einfach nur ein Fortbewegungsmittel ist, sondern mich mit meinen Werten und Einstellungen nach außen repräsentiert. Wie vermitteln wir den Menschen ein positives Erlebnis einer geteilten und umweltfreundlichen Mobilität? Dabei geht es nicht nur um funktionale und praktische Aspekte, sondern auch wesentlich um emotionale Faktoren: Fühle ich mich wohl und sicher? Wird mir gegenüber Wertschätzung entgegengebracht?
Mobilitätsdesign im Sinne einer an den Bedürfnissen und Wünschen des Menschen orientierten Gestaltung vermittelt zwischen den Menschen und dem Mobilitätssystem mit seinen digitalen wie physischen Schnittstellen: Es verbessert den Zugang zum Mobilitätssystem mit seinen Räumen, Objekten und Informationen, beeinflusst die Erfahrung positiv und schafft Bedeutung („Offenbacher Modell“). Menschen wollen nicht nur nahtlos von A nach B kommen, sondern sich dabei auch sicher und wohlfühlen, um sich mit dieser Form der Mobilität identifizieren zu können. Schaut man sich jedoch das öffentliche Verkehrssystem an, wird unmittelbar klar, dass es bei weitem noch nicht die Qualität hat, um eine glaubwürdige Alternative zum eigenen PKW zu sein.
Es braucht ein systemisches Verständnis
Das fängt schon bei den notwendigen Informationen an, die ich benötige, um den Weg zu finden. Kann ich mich im Auto darauf verlassen, dass mich von Offenbach nach Oberammergau eine bundesweit einheitliche Beschilderung leitet, muss ich bei Bus und Bahn mit Wechsel des Anbieters und des zuständigen Verkehrsamts immer wieder neue Informationsleitsysteme verstehen (was ungemein an die Kleinstaaterei im 18. Jahrhundert erinnert). Wenn überhaupt die Information zur Verfügung steht. Nutzende müssen bei jeder Mobilitätsschnittstelle eine andere Sprache lernen, andere Strukturen, Farben, Schriften und Symbole. Da hilft auch das Smartphone nicht weiter, wenn ich mitten in einem Hauptbahnhof stehe und zwar weiß, dass ich mit dem Bus weiterkomme, nur eben nicht, welchen der beiden möglichen, jeweils 200 Meter entfernten Ausgänge ich nehmen muss, um ihn zu erreichen.
„Bin ich der Rotz, den man leicht abwischen kann oder ein Kunde, der sich wertgeschätzt fühlen soll?“
Ein intermodal nutzbares Mobilitätssystem ist als ein zusammenhängendes, unterschiedliche Angebote verknüpfendes System zu verstehen, das lokal wie regional und national durchgehend nutzbar ist – von der Bushaltestelle vor meiner Haustür bis nach Oberammergau (oder wo auch immer ich hin will). Aber nicht nur die Informationen sind als zusammenhängendes Ganzes zu begreifen. Vom Fahrradständer über das Transportmittel bis zur Bahnhofshalle – jedes dieser Einzelelemente vermittelt in seiner Gestaltung den Nutzenden einen Zugang zum Mobilitätssystem, von den funktional notwendigen Anforderungen an die Verständlichkeit und Gebrauchstauglichkeit bis hin zu seiner Bedeutung, zur emotional-symbolischen Wirkung der gestalteten Mobilitätsräume.
Es ist eben nicht egal, ob ich auf einem Sitz aus Drahtgitter Platz nehme oder auf einer Holzoberfläche: Bin ich der Rotz, den man leicht abwischen kann oder ein Kunde, der sich wertgeschätzt fühlen soll? Zumal, wie wir am Offenbach Institut für Mobilitätsdesign (OIMD) in Zusammenarbeit mit Kognitionspsycholog*innen der Goethe-Universität empirisch belegen konnten, dass die Wartezeit sitzend auf einem Holzmöbel verbracht als deutlich kürzer empfunden wird.
Die digitale Erweiterung unserer Mobilität
Mobilitätsdesign umfasst die unterschiedlichen gestalterischen Zugänge zu einem intermodal nutzbaren Mobilitätssystem, selbstverständlich auch in seiner digitalen Erweiterung. Dies bezieht sich nicht nur auf erweiterte und personalisierte Handlungsmöglichkeiten für Nutzende durch das mobile Internet, das künftig über verschiedene ‚Wearables‘ verfügbar wird, sondern auch auf die Entwicklung des Mobilitätssystems zu einem von künstlicher Intelligenz gesteuerten, adaptiven und responsiven System.
Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Zunächst beinhaltet er die Weiterentwicklung herkömmlicher Elemente des Mobilitätssystems (Fahrzeuge, Bauwerke, Gebrauchsgegenstände) zu ‚Smart Objects‘, die in der Lage sind, Informationen bereitzustellen und Daten über sich selbst sowie ihre Umgebung zu speichern. Sie können diese Informationen mit anderen Objekten im Mobilitätssystem und auch mit Personen teilen. Zugleich wird die digitale Schnittstelle zusehends verschwinden und mit der Umgebung verschmelzen. Für das Mobilitätsdesign stellen sich viele Fragen: Wie wird in diesen neuen Kontexten Vertrauen geschaffen, wie werden Prozesse transparent gestaltet und wie wird die Handlungsautonomie gewährleistet?
Design schafft Akzeptanz
Das klingt nach Zukunftsmusik. Aber schaut man genauer hin, finden sich weltweit bereits viele Ansätze, wie ein nachhaltiges Mobilitätssystem aufgebaut werden kann. Für die Gestaltung (Architektur und Design) bedeutet dies, systemisch gedachte Gestaltungslösungen zu entwickeln. Dies ersetzt nicht den erforderlichen politischen Gestaltungswillen und eine gute Verkehrsplanung und -organisation. Aber es vermag Akzeptanz zu verschaffen, in dem es konsequent menschbezogen, aus der Perspektive der Nutzenden und ihrer Bedürfnisse gestaltet wird. Eine umweltschonende und vernetzte Mobilität muss nicht nur reibungslos funktionieren, sondern auch ein positives Mobilitätserlebnis vermitteln und den Menschen Wertschätzung entgegenbringen.
„Die individuelle Aneignung und Bewertung ist ein entscheidender Faktor für die Akzeptanz.“
Wichtig dabei ist, dass es immer um Gestaltung für die Öffentlichkeit geht, Gestaltung für alle und nicht, wie in der Automobilindustrie, auf zeitbasierte Zielgruppen zugeschnittene Designlösungen. Die Gestaltung sollte nach außen verdeutlichen, dass man an einer fortschrittlichen Mobilität teilhat. Durch die Gestaltung des Mobilitätssystems werden Werte vermittelt und Bedeutungen strukturiert. Die individuelle Aneignung und Bewertung ist ein entscheidender Faktor für die Akzeptanz. Diese wird nicht nur durch die Kommunikation „über“ eine neue Mobilität erreicht, sondern vor allem „durch“ eine an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtete Gestaltung des Mobilitätssystems. Eine solche Gestaltung optimiert den Zugang (praktische Dimension), beeinflusst Erfahrungen positiv (ästhetische Dimension) und ermöglicht Identifikation (symbolische Dimension).
Was tun?
Um dies zu erreichen, hat das OIMD mit dem „Offenbacher Modell menschbezogener Mobilitätsgestaltung“ ein theoretisches Modell mit Leitbegriffen entwickelt, das auf der an der HfG Offenbach entwickelten Theorie der Produktsprache aufbaut.
Damit wurde eine Grundlage für die vielfältig anwendungsbezogene Designforschung gelegt, die in unsere Forschungsprojekte wie zum Bahnhof der Zukunft (Deutsches Zentrum für Schienenverkehrsforschung/Eisenbahn-Bundesamt) oder zu intermodalen Schnittstellen, den „Mini-Bahnhöfen“ (Bundesministerium für Bildung und Forschung) einfließt. In der Zusammenarbeit mit Psycholog*innen, Soziolog*innen, Humangeograf*innen, Informatiker*innen, Stadt- und Verkehrsplaner*innen wurden Untersuchungen zur Wirkung von Planungs- und Gestaltungsentscheidungen auf Nutzende durchgeführt und empirisch valide Ergebnisse erzielt, die die Bedeutung gestalterischer Entscheidungen belegen.
Vieles ist Designer*innen aus ihrer Berufserfahrung vertraut: beispielsweise, dass Lichtführung und Lichttemperatur funktional wegeleitend sein können, aber eben auch auf das subjektive Sicherheitsempfinden einwirken. Oder dass kohärent gestaltete Informationen (digital wie analog) nicht nur funktional eine bessere Wegfindung ermöglichen, sondern zugleich Vertrauen (und damit auch subjektive Sicherheit) vermitteln. Dies konnte jetzt systematisch untersucht werden – ein wichtiges Werkzeug dafür war und ist der Einsatz von Virtual Reality-Simulationen, die es erlauben, Designlösungen mit herkömmlichen Situationen zu vergleichen und unter Laborbedingungen zu evaluieren.
Mit wissenschaftlich fundierten Analyse- und Befragungsmethoden und dem Einsatz neuer Technologien konnte die Designforschung ein Werkzeug entwickeln, das Entscheidungsträger*innen und Verantwortlichen die Möglichkeit gibt, Planungs- und Gestaltungsentscheidungen bei (verkehrs)baulichen Maßnahmen bereits vorab auf ihre Wirkung hin zu prüfen. Zugleich gibt es den Planer*innen und Gestalter*innen die Möglichkeit, sich im Vergleich mit Testaufbauten relativ kostengünstig von den zukünftigen Nutzenden ein Feedback zu holen, dass in den weiteren Entwurfsprozess einfließen kann. Nicht zuletzt wirken VR-Realexperimente mit ihrem hohen Immersionscharakter sehr viel überzeugender als herkömmliche Formen der Vermittlung zukünftiger Bauvorhaben.
Eine positive Perspektive für alle
Mit der Etablierung eines systemischen, an der Mobilität (und nicht dem Transportmittel) ausgerichteten Designansatzes, der die gestalterischen Herausforderungen beim Aufbau eines intermodal nutzbaren, umweltfreundlichen Mobilitätssystems konsequent von den Bedürfnissen der Nutzenden her erfasst und konzeptionelle Lösungen entwickelt, ist ein neues Aufgabenfeld für das Design entstanden: Mobilitätsdesign. Im Zusammenspiel mit einer wissenschaftlich fundierten Designforschung kann Mobilitätsdesign einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrswende und damit zur Verbesserung unserer Lebensumwelt beitragen.
Wenn die neue, intelligente und nachhaltige Mobilität die in sie gesetzten Hoffnungen nicht enttäuschen soll, bedarf es nicht nur des politischen Willens zu den notwendigen strukturellen Reformen, sondern auch veränderter Planungslogiken und der frühzeitigen Einbindung der Gestaltung (Design, Architektur) in eine integrierte Verkehrs- und Stadtplanung. Und es bedarf einer umfassenden Gestaltung der Mobilitätsräume, die bei den individuellen Bedürfnissen ansetzt und zugleich eine positive Perspektive für alle bietet.