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DESIGN DISKURS

Design muss quer und über­all in einem Unter­nehmen wirken, und nicht ver­ein­zelt wie iso­liert. Würde die Design­branche nicht wie Straßen­musiker­*innen auf­treten, sondern als „Marching Band“, dann wäre der Ein­fluss auf die Organi­sation ent­sprechend ‚imposant‘.

Veröffentlicht am 01.07.2021

Wer ein Unter­nehmen gründet, hat in der Regel dabei immer etwas Fun­da­­men­tales im Sinn: Kund­*innen bekommen! Egal welche zu­sätz­lichen, wichtigen Gründe sich noch finden lassen, ohne Kund­*innen kann keine Organi­sation wert­schöpfend tätig sein. Doch, was ein jeder unter einem Kunden oder einer Kundin ver­steht, hängt auch davon ab, welche Rolle er oder sie in der Orga­nisation erfüllt. Es macht zum Beispiel einen Unter­schied, ob man eine Köchin, einen Ober oder eine Restaurant­be­sitzerin fragt, wie sie eine Kundin oder einen Kunden sehen und wie sie diese oder diesen in den Mittel­punkt ihrer Arbeit stellen.

Die Köchin betrachtet die Kundin oder den Kunden als Nutzer*in und Genießer*in des Ergeb­nisses ihrer Koch­kunst, als jemand, der nach dem Essen zu­frieden, ver­gnügt, er­füllt und beein­druckt ist. Wohl auch als je­mand mit An­sprüchen und Er­wartungen, was sie dazu ani­miert, groß­artige neue Gerichte zu ent­werfen. Letzt­end­lich kommen die Kund­*innen doch wegen ihrer Koch­kunst ins Restaurant!

Der Ober mag das etwas anders sehen. Für ihn ist der/die Kund­*in ein Gast, der eine an­genehme Zeit ver­bringen möchte, denn dafür kommt er ja ins Restau­rant. Guter Em­pfang, nettes Ge­spräch, Hilfe bei der Menü­wahl, Wein­emp­fehlung, Nach­tisch­emp­fehlung, die Rechnung prompt, und die ab­schließende Be­glei­tung bis zur Tür, „Beehren Sie uns bald wieder!“. Ein Haar fischt ein guter Ober schon aus der Suppe: Haupt­sache der/die Kun­d*in ist zu­frieden und hinter­lässt reichlich Trinkgeld.

Die Restau­rant­be­sitzer­in hat wieder­um einen anderen Blick auf den/die Kund­*in, der ja nur einer von vielen sein soll. Sie wird alles ‚unter­nehmen‘, damit die Kund­­*innen ins Restau­rant finden und auch wieder­kehren. Die Wahl der Lage, Ge­stal­tung der Aus­stat­tung, des Ambiente, des Preis­niveaus, des Namens, des Ange­bots und das Renom­mee, das daraus ent­steht: Des­wegen kommen die Kund­*innen doch ins Restau­rant! So oft es geht, ist sie im Lokal und kümmert sich um das Wohl­be­finden der Gäste und gibt ihnen mit auf dem Weg: „Empfehlen Sie uns gerne weiter!“

Die Erlebnisse einer Organisation: User-Experience, Customer-Experience, Brand-Experience.
Bild © Jan-Erik Baars

Ist es die User-Experience, die führend ist? Letzt­end­lich liefert diese die Kern­leistung einer Organi­sation: ohne Koch kein Essen, kein Genuss, keine Leis­tung. Oder ist es die Customer-Ex­perience, die führend ist? Denn, ohne dass Kund­*innen ein Produkt aus­wählen können, es geliefert be­kommen und auch noch dafür be­zahlen, kann eine Organi­sation nichts ein­nehmen! Also, ohne Ober keine Wahl, keine Kund­*innen, keine Be­zahlung.

Oder ist es doch die Brand-Ex­perience, die führt? Schließ­lich muss eine Organi­sation sich im Markt her­vor­tun, damit Menschen sich über­haupt ent­scheiden und bereit sind, das ‚Lokal‘ zu be­treten: Sie könnten ja gleich zur Konkur­renz ab­wandern! Ohne Maître keine Unter­scheidung, keine Ent­scheidung, kein Zuspruch.

„In vielen Unter­nehmen ist ein Ge­ran­gel ent­stan­den, welche der Be­trachtungs­weisen nun führ­end ist, wie eine ‚Hack­ordnung‘ aus­sehen kann.“

Für die Kund­*innen sind alle drei Be­trach­tungen gleicher­maßen ent­schei­dend, wenn es darum geht ein Restau­rant zu be­suchen. Sie können diese nicht von­ein­ander trennen, be­trach­ten alle diese As­pekte als zusammen­ge­hörig. Und je durch­gängiger und stim­miger alles zusam­men­wirkt, desto ein­prägen­der und klarer ist auch der Mehr­wert eines Restau­rants. Und diese Betrach­tung gilt auch für alle andere Leist­ungen, die sie beziehen.

Das, was die ‚Kund­*innen‘ als zusam­men­ge­hörig sehen, trennen die Unter­nehmen je­doch in ver­schiedene Funkt­ionen und Rollen auf. Der Koch ist für das Nutzungs­erlebnis ver­ant­wortlich (F&E) der Ober für das Kunden­er­leb­nis (Marketing) und der Maître für das Marken­er­leb­nis (Cor­porate). Und in gewohnt klas­sischer Manier fokus­sieren sich diese Funkt­ionen auf ihren Bei­trag, als gelte nur das Eine! So ist in vielen Unter­nehmen ein Ge­ran­gel ent­standen, welche der Betrach­tungs­weisen nun führend ist, wie eine ‚Hack­ordnung‘ aus­sehen kann. Denn, wer führend ist, hat auch das Sagen, wenn es um die Ver­teilung der Budgets und Mittel geht.

Die Erlebnisse einer Organisation sind oft losgelöst voneinander gestaltet ...
Bild © Jan-Erik Baars

Wirklich führend ist in diesen Fragen weder das eine noch das andere Ge­werk: Führend sind immer nur die Menschen, die etwas von der Organi­sation möchten, denen die Organi­sation zu Diensten ist – die Kund­*innen!

Erfolgreiche Organi­sationen ent­wickeln ihre Leistungen daher immer ganz­heit­lich und achten auf die Ko­härenz der Aus­führung: zusam­men­hängend! Denn die Wirk­ung aller Leist­ungen einer Organi­sation nimmt eine Gestalt an, die anders ist als die bloße Summe ihrer Bestand­teile: Sie können sich gegen­seitig stär­ken und zu einem gewin­nenden Erleb­nis werden, oder sie können sich gegen­seitig schwächen und den/die Kund­*in kalt lassen. Die Kohärenz der Gestal­tung und Aus­führung aller Leist­ungen ist die Vor­aus­setz­ung dafür, dass Kund­*innen ein Bünd­nis mit einem Unter­nehmen auf­bauen und die konsis­tente An­wen­dung der Grund dafür, dass die Kundschaft bleibt. Qualitative Gestal­tung ist die primäre Vor­aus­setzung für den Er­folg, das Manage­ment ist hier nur unterstützend.

Das richtige Zusammenwirken ist anders als die Summer der Erlebnisse, stärker! 
Bild © Jan-Erik Baars

Statt sich nun zu streiten, ob UX, CX oder viel­leicht doch BX führend ist, sollte man immer die Pers­pektive des/der Kund­*in ein­nehmen und sich reali­sieren, dass alles zusammen­hängt. Es ist die Qualität der Gestal­tung aller Berührungs­punkte zum/zur Kund­*in die maß­geblich dazu bei­trägt, ob sich ein ‚orchest­riertes‘ Ganzes ein­stellt. Nur wenn man Produkt-, Kommuni­kations- und Marken­design aus ‚einer‘ Pers­pektive führt, kann das gelingen.

„Nicht gutes Manage­ment ist aus­schlaggebend für den Unter­nehmens­er­folg, sondern gutes Design.“

In den meisten Organi­sationen gibt es dieses Zusam­men­spiel so nicht, dort werden die Gestal­tungs­akti­vitäten los­gelöst von­ein­ander beauf­tragt und um­ge­setzt. Hier wird das größte Poten­zial für Unter­nehmens­erfolg liegen­ge­lassen – und hier ver­passt die Design­branche als Ganzes eine Gelegen­heit, Gestal­tung als die wichtigste wert­schöpfende Maß­nahme in Organi­sationen zu posi­tio­nieren. Nicht gutes Manage­ment ist aus­schlag­gebend für den Unter­nehmens­erfolg, sondern gutes Design. Dieses, jedoch, muss, wie das Manage­ment auch, quer und überall in der Organi­sation wirken, und nicht ver­einzelt wie isoliert. Würde die Design­branche nicht wie Straßen­musiker­*innen auf­treten, sondern als „Mar­ching Band“, dann wäre der Ein­fluss auf die Organi­sation ent­sprechend ‚imposant‘.

Vielleicht können wir dafür ein „Gestaltungs­manage­ment“ ein­führen? Eine Rolle, die das Zusam­men­wirken aller Leistungs­ent­faltungen führt und über­blickt, dafür ein Ziel vor­gibt und be­herzt ein­greift, wenn ein Aspekt aus der Reihe tanzt. Also eine Rolle, welche die gesamte Leistungs­erbring­ung ge­staltet (gestalten lässt) und nicht nur einen Teil davon. Dann wäre Design, um mit Michael Porter zu sprechen, die wirk­liche primäre Akti­vität eines Unter­nehmens. Nur so ent­stünden kohä­rente und wert­volle Leist­ungen für Kund­*innen und nur so wäre ein Unter­nehmen effektiv und erfolgreich.

Also, liebe Designer­*innen, wie kommen wir zusam­men, wann marschieren wir los? Und, wer schwingt den Taktstock?!

Prof. Jan-Erik Baars

Als einer der führenden Experten im Design­manage­ment leitet Jan-Erik Baars derzeit den Nach­diplom­studiengang Design Management an der Hoch­schule Luzern, Schweiz. Baars forscht zu den Schwer­punkten Organi­sations­reife, Design Leader­ship und Kunden­zentrierung. Infolge­dessen hat er den Customer Centricity Score (CCS) ent­wickelt und ist Autor des Buches „Leading Design“. 2019 hat er das Beratungs­unter­nehmen Prenew mit­ge­gründet. Außer­dem ist er Mitglied des Vor­stands der Schweizer Design­agentur Vetica. Zuvor war er bei der Deutschen Telekom und Philips tätig.

www.janerikbaars.com