DESIGN DISKURS
Design muss quer und überall in einem Unternehmen wirken, und nicht vereinzelt wie isoliert. Würde die Designbranche nicht wie Straßenmusiker*innen auftreten, sondern als „Marching Band“, dann wäre der Einfluss auf die Organisation entsprechend ‚imposant‘.
Wer ein Unternehmen gründet, hat in der Regel dabei immer etwas Fundamentales im Sinn: Kund*innen bekommen! Egal welche zusätzlichen, wichtigen Gründe sich noch finden lassen, ohne Kund*innen kann keine Organisation wertschöpfend tätig sein. Doch, was ein jeder unter einem Kunden oder einer Kundin versteht, hängt auch davon ab, welche Rolle er oder sie in der Organisation erfüllt. Es macht zum Beispiel einen Unterschied, ob man eine Köchin, einen Ober oder eine Restaurantbesitzerin fragt, wie sie eine Kundin oder einen Kunden sehen und wie sie diese oder diesen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen.
Die Köchin betrachtet die Kundin oder den Kunden als Nutzer*in und Genießer*in des Ergebnisses ihrer Kochkunst, als jemand, der nach dem Essen zufrieden, vergnügt, erfüllt und beeindruckt ist. Wohl auch als jemand mit Ansprüchen und Erwartungen, was sie dazu animiert, großartige neue Gerichte zu entwerfen. Letztendlich kommen die Kund*innen doch wegen ihrer Kochkunst ins Restaurant!
Der Ober mag das etwas anders sehen. Für ihn ist der/die Kund*in ein Gast, der eine angenehme Zeit verbringen möchte, denn dafür kommt er ja ins Restaurant. Guter Empfang, nettes Gespräch, Hilfe bei der Menüwahl, Weinempfehlung, Nachtischempfehlung, die Rechnung prompt, und die abschließende Begleitung bis zur Tür, „Beehren Sie uns bald wieder!“. Ein Haar fischt ein guter Ober schon aus der Suppe: Hauptsache der/die Kund*in ist zufrieden und hinterlässt reichlich Trinkgeld.
Die Restaurantbesitzerin hat wiederum einen anderen Blick auf den/die Kund*in, der ja nur einer von vielen sein soll. Sie wird alles ‚unternehmen‘, damit die Kund*innen ins Restaurant finden und auch wiederkehren. Die Wahl der Lage, Gestaltung der Ausstattung, des Ambiente, des Preisniveaus, des Namens, des Angebots und das Renommee, das daraus entsteht: Deswegen kommen die Kund*innen doch ins Restaurant! So oft es geht, ist sie im Lokal und kümmert sich um das Wohlbefinden der Gäste und gibt ihnen mit auf dem Weg: „Empfehlen Sie uns gerne weiter!“
Die Erlebnisse einer Organisation: User-Experience, Customer-Experience, Brand-Experience.
Bild © Jan-Erik Baars
Ist es die User-Experience, die führend ist? Letztendlich liefert diese die Kernleistung einer Organisation: ohne Koch kein Essen, kein Genuss, keine Leistung. Oder ist es die Customer-Experience, die führend ist? Denn, ohne dass Kund*innen ein Produkt auswählen können, es geliefert bekommen und auch noch dafür bezahlen, kann eine Organisation nichts einnehmen! Also, ohne Ober keine Wahl, keine Kund*innen, keine Bezahlung.
Oder ist es doch die Brand-Experience, die führt? Schließlich muss eine Organisation sich im Markt hervortun, damit Menschen sich überhaupt entscheiden und bereit sind, das ‚Lokal‘ zu betreten: Sie könnten ja gleich zur Konkurrenz abwandern! Ohne Maître keine Unterscheidung, keine Entscheidung, kein Zuspruch.
„In vielen Unternehmen ist ein Gerangel entstanden, welche der Betrachtungsweisen nun führend ist, wie eine ‚Hackordnung‘ aussehen kann.“
Für die Kund*innen sind alle drei Betrachtungen gleichermaßen entscheidend, wenn es darum geht ein Restaurant zu besuchen. Sie können diese nicht voneinander trennen, betrachten alle diese Aspekte als zusammengehörig. Und je durchgängiger und stimmiger alles zusammenwirkt, desto einprägender und klarer ist auch der Mehrwert eines Restaurants. Und diese Betrachtung gilt auch für alle andere Leistungen, die sie beziehen.
Das, was die ‚Kund*innen‘ als zusammengehörig sehen, trennen die Unternehmen jedoch in verschiedene Funktionen und Rollen auf. Der Koch ist für das Nutzungserlebnis verantwortlich (F&E) der Ober für das Kundenerlebnis (Marketing) und der Maître für das Markenerlebnis (Corporate). Und in gewohnt klassischer Manier fokussieren sich diese Funktionen auf ihren Beitrag, als gelte nur das Eine! So ist in vielen Unternehmen ein Gerangel entstanden, welche der Betrachtungsweisen nun führend ist, wie eine ‚Hackordnung‘ aussehen kann. Denn, wer führend ist, hat auch das Sagen, wenn es um die Verteilung der Budgets und Mittel geht.
Die Erlebnisse einer Organisation sind oft losgelöst voneinander gestaltet ...
Bild © Jan-Erik Baars
Wirklich führend ist in diesen Fragen weder das eine noch das andere Gewerk: Führend sind immer nur die Menschen, die etwas von der Organisation möchten, denen die Organisation zu Diensten ist – die Kund*innen!
Erfolgreiche Organisationen entwickeln ihre Leistungen daher immer ganzheitlich und achten auf die Kohärenz der Ausführung: zusammenhängend! Denn die Wirkung aller Leistungen einer Organisation nimmt eine Gestalt an, die anders ist als die bloße Summe ihrer Bestandteile: Sie können sich gegenseitig stärken und zu einem gewinnenden Erlebnis werden, oder sie können sich gegenseitig schwächen und den/die Kund*in kalt lassen. Die Kohärenz der Gestaltung und Ausführung aller Leistungen ist die Voraussetzung dafür, dass Kund*innen ein Bündnis mit einem Unternehmen aufbauen und die konsistente Anwendung der Grund dafür, dass die Kundschaft bleibt. Qualitative Gestaltung ist die primäre Voraussetzung für den Erfolg, das Management ist hier nur unterstützend.
Das richtige Zusammenwirken ist anders als die Summer der Erlebnisse, stärker!
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Statt sich nun zu streiten, ob UX, CX oder vielleicht doch BX führend ist, sollte man immer die Perspektive des/der Kund*in einnehmen und sich realisieren, dass alles zusammenhängt. Es ist die Qualität der Gestaltung aller Berührungspunkte zum/zur Kund*in die maßgeblich dazu beiträgt, ob sich ein ‚orchestriertes‘ Ganzes einstellt. Nur wenn man Produkt-, Kommunikations- und Markendesign aus ‚einer‘ Perspektive führt, kann das gelingen.
„Nicht gutes Management ist ausschlaggebend für den Unternehmenserfolg, sondern gutes Design.“
In den meisten Organisationen gibt es dieses Zusammenspiel so nicht, dort werden die Gestaltungsaktivitäten losgelöst voneinander beauftragt und umgesetzt. Hier wird das größte Potenzial für Unternehmenserfolg liegengelassen – und hier verpasst die Designbranche als Ganzes eine Gelegenheit, Gestaltung als die wichtigste wertschöpfende Maßnahme in Organisationen zu positionieren. Nicht gutes Management ist ausschlaggebend für den Unternehmenserfolg, sondern gutes Design. Dieses, jedoch, muss, wie das Management auch, quer und überall in der Organisation wirken, und nicht vereinzelt wie isoliert. Würde die Designbranche nicht wie Straßenmusiker*innen auftreten, sondern als „Marching Band“, dann wäre der Einfluss auf die Organisation entsprechend ‚imposant‘.
Vielleicht können wir dafür ein „Gestaltungsmanagement“ einführen? Eine Rolle, die das Zusammenwirken aller Leistungsentfaltungen führt und überblickt, dafür ein Ziel vorgibt und beherzt eingreift, wenn ein Aspekt aus der Reihe tanzt. Also eine Rolle, welche die gesamte Leistungserbringung gestaltet (gestalten lässt) und nicht nur einen Teil davon. Dann wäre Design, um mit Michael Porter zu sprechen, die wirkliche primäre Aktivität eines Unternehmens. Nur so entstünden kohärente und wertvolle Leistungen für Kund*innen und nur so wäre ein Unternehmen effektiv und erfolgreich.
Also, liebe Designer*innen, wie kommen wir zusammen, wann marschieren wir los? Und, wer schwingt den Taktstock?!