DESIGN DISKURS
Anstelle uns mit den Veränderungen einer deterministischen und spekulativen KI-Zukunft zu beschäftigen, sollten wir nach Möglichkeiten suchen, wie wir nachhaltige Aneignungsprozesse von KI-Technologien im Gestaltungsprozess und anderen Disziplinen unterstützen können.
Die Debatte um Chancen, Risiken und Folgen der Entwicklung und des Einsatzes von KI für die Design-Branche ist in vollem Gange. Es wird ein nachhaltiger Wandel der Designberufsbilder prognostiziert. Stimmen, die nur geringe Auswirkungen erwarten, finden sich im Allgemeinen eher in der Minderheit. Ob wir diesen Veränderungen mit Sorge oder Vorfreude begegnen, hängt von unseren persönlichen Vorstellungen von erhaltenswerten und wertvollen Aspekten des Designprozesses ab. Vor dem Hintergrund wöchentlicher Veröffentlichung neuer KI-Modelle stellen sich die einen oder anderen Designer*innen die Frage: Wer gestaltet die Gestaltung von morgen?
„Niemand ist sich sicher, ob ihre Tätigkeiten vollständig oder zumindest zum Teil von KI übernommen werden könnten.“
Die Möglichkeiten, die der Einsatz generativer KI-Technologien bietet, wecken nicht nur bei Designer*innen Zweifel am zukünftigen Gebrauchtwerden mühsam erworbener und liebgewonnener Fähigkeiten. Ob Jurist*innen, Texter*innen oder Designer*innen – niemand ist sich sicher, ob ihre Tätigkeiten vollständig oder zumindest zum Teil von KI übernommen werden könnten.
Iterativer Fortschritt wie beim Taschenrechner
So beeindruckend aktuelle Modelle in ihrer General-Purpose-Ausrichtung sind, so ist es ebenfalls vorstellbar, dass die bevorstehende Transformation der Berufswelt durch KI eher der ähneln wird, die mit dem Taschenrechner begann und noch heute anhält, so eine verbreitete Gegenthese, die ebenfalls auf viel Zustimmung stößt. Ein iterativer Fortschritt, dem es sich nicht zu verweigern lohnt. Nicht durch die Erfindung, sondern durch die Adaption digitaler Werkzeuge erwuchs in komplexer Wechselwirkung eine Kollaboration zwischen Menschen und Computern, die sich noch immer entfaltet und mit denen sich gleich mehrere Disziplinen beschäftigen, unter anderem auch das Design.
Sherry Turkle beschreibt einige dieser Wechselwirkungen in ihrem Artikel „How computers change the way we think“: Die ersten Studierenden, die mit Taschenrechnern arbeiteten, verloren demnach anekdotisch das Gefühl für Größenordnungen. Für was verlieren wir das Gefühl, wenn wir Texte und Bilder generieren? Man kann sich leicht vorstellen, dass das, was mit Taschenrechnern als ersten Personal Computern im wortwörtlichen Sinne begann, sich auch ganz anders hätte entwickeln können. Bei vielen der Interaktionsmuster, die sich heute in der Verwendung digitaler Tools etabliert haben, handelt es sich nicht unbedingt um die ersten oder die besten Lösungen, sondern um stabile Gleichgewichte, die sich auf Gewohnheiten stützen, sich durch leichte Erlernbarkeit oder hohen Nutzen auszeichnen.
Wir wissen, dass nicht nur technische Innovationen, sondern auch Gestaltung und Gebrauch digitaler Interfaces und Technologien maßgeblich unsere heutigen Formen digitaler Interaktion, Kommunikation prägen und damit zentrale Vorteile und Nachteile für digitale Gesellschaften schaffen. Vor diesem Hintergrund sollten wir uns, anstatt uns von einer deterministischen KI-Zukunft geleitet mit Spekulationen über die kommenden Veränderungen zu beschäftigen, fragen, wie wir die neuen Möglichkeiten, die uns diese Technologien bieten, mit Bedacht nachhaltig in den Gestaltungsprozess integrieren. Ebenso wichtig ist es, sich bei der Gestaltung von KI-basierten Anwendungen bewusst zu machen, dass Designer*Innen hier einen wichtigen Einfluss auf die Aneignungsprozesse von KI anderer Disziplinen ausüben.
Integration von KI in den Designprozess
Wie möchten wir die Arten und Weisen, wie wir denken, durch KI verändern oder nicht verändern? Die weitläufige Annahme, dass Mensch und KI zusammen besser und/oder verantwortungsvoller arbeiten und entscheiden können, lädt zum Austausch zur oben genannten Fragestellung ein. Der kollaborative Imperativ stellt Designer*innen in Bezug auf die Zukunft der Disziplin die Frage: „Wie verändern wir durch Gestaltung und Gebrauch von KI die Gestaltung von morgen?“ Die ersten Versuche, generative KI-Technologien in die Designpraxis zu integrieren, sind bereits erste Schritte dieses Formungsprozesses.
„Das kollaborative Szenario eines Mensch-KI-Verhältnisses bietet viele gestalterische Ansatzpunkte.“
Das kollaborative Szenario eines Mensch-KI-Verhältnisses, in denen KI-Systeme Menschen bei Prozessen, die ihnen unliebsam sind oder schwerfallen, ergänzen und unterstützen, bietet viele gestalterische Ansatzpunkte. Konkrete Ausarbeitungen, die sich hier um ein stabiles Gleichgewicht und die nachhaltige Entwicklung einer co-kreativen Arbeit bemühen, gibt es aktuell noch nicht viele. In Anbetracht einer vermeintlich extrem komplexen und verschlossenen Technologie konzentrieren sich viele Gestaltende auf die effizienzsteigernde Anwendung von KI-Tools wie Midjourney oder StableDiffusion.
Unschärfe in der Ein- und Ausgabe
Wie kann eine Kollaboration zwischen Mensch und KI-Modellen jenseits der in aktuellen Anwendungen eingebetteten Interaktionsparadigmas aussehen? Das Text2X-Interaktionsparadigma, bei welchem KI-Modelle zum Beispiel Bilder oder Texte auf der Basis von Texteingaben der Nutzer*innen generieren, zeichnet sich aus KI-, interaktions-, informationstechnischen und sprachlichen Gründen durch eine Unschärfe aus: Die Eingabelänge ist auf eine bestimmte Anzahl an Zeichen begrenzt und ein Bild oder Konzept sagt mehr als tausend Worte, die weder Nutzer*innen in der Lage sind einzugeben, noch aktuelle Modelle in der Lage sind zu verarbeiten. Diese Unschärfe wurde von Gestalter*innen früh als divergierendes Merkmal identifiziert, um Varianten zu bilden oder ein weißes Blatt zu überwinden.
Abhängigkeit von KI
Eine Aneignung eines solchen Arbeitsprozesses verortet sich auch in Fragestellungen der Unabhängigkeiten und Abhängigkeiten von KI. Manche zähen Arbeitsschritte bilden das Fundament integraler Gestaltungsfähigkeiten. Ihre Automatisierung bedeutet möglicherweise, sich nicht nur von diesen Fähigkeiten zu trennen, sondern auch, das Gefühl für sie zu verlieren und neuen, besseren, oder auch schlechteren Denkweisen den Weg zu ebnen. Diverse Studien zu kreativer Flexibilität belegen, dass vorliegende Bilder und Konzepte einen starken Einfluss darauf nehmen, entlang welcher Motive und Werte wir weiterdenken können und unsere Fähigkeiten, grundlegend anders über Fragestellungen nachzudenken, begrenzen. Ein Effekt, der uns in partizipativen Prozessen und Dienstleistungsprozessen schmerzlich bewusst ist. Vielleicht sind wir bei der Verwendung von ChatGPT oder Midjourney bereits in eine ähnliche Situation geraten? Leider stehen die Chancen schlecht, dass wir es bemerkt haben.
„Eine Auseinandersetzung mit den Weltbildern und Werten von KI-Modellen ist unverzichtbar.“
Die unschärfebedingte Beliebigkeit, die co-kreative Arbeit mit KI aktuell mit sich bringt, kommt hier besonders zum Tragen. Was im Einzelnen als Beliebigkeit durchgehen kann, bildet in Summe eine Reproduktion der in KI-Modellen verarbeiteten Daten und Werte. Hierdurch wird Auseinandersetzung mit den Weltbildern und Werten, welche unausweichlich Teil jedes sprach- und bildbasierten Modells sind, unverzichtbar.
Noch wichtiger ist die Frage, wie wir als Gestaltende auf diese kollaborative Zukunft Einfluss nehmen, und eine Beteiligung an der Beantwortung wichtiger Fragen, wie KI unsere Denk- und Urteilsfähigkeit beeinflussen soll, ermöglichen.
Anspruchsvolle Aufgabe für das Design
Latente Auswirkungen von Gestaltungsentscheidungen zeigen sich erst im Gebrauch – Folgen und Auswirkungen werden, selbst bei großer Sorgfalt, erst durch langfristige Adaption und Beobachtung von Folgeentscheidungen sichtbar. Die hohe Komplexität, die die Gestaltung und Entwicklung von KI-Anwendungen mit sich bringt und die von Fragen der Datenerzeugung, Kuratierung über Ressourcenverbrauch, Interaktionsgestaltung bis zu politischen Fragen der Zugangsgerechtigkeit, Biases und Diskriminierung reicht, machen KI zu einer anspruchsvollen Aufgabe für das Design. Es wäre zu einfach, den Gestaltungsteil aus dieser Verflechtung heraus zu brechen und zu versuchen, ihn separat behandeln.
„Nicht alle können sich mit der Definition eines heterogenen Designbegriffs anfreunden.“
Der Einfluss, den das Design auf die Entwicklungspfade von Modellen und ihren Anwendungsmöglichkeiten ausübt, ist aktuell eher gering. Die Einbindung von Gestaltung in Forschungsprozesse im Allgemeinen, aber speziell im KI-Bereich zu zurückhaltend, um maßgeblich zu einer nachhaltigen Entwicklung von Modellen und Tools beizutragen. Trotz der Relevanz dieser Entwicklungspfade, die nicht deterministisch sind, sondern deren Genese auf vielfältige Faktoren zurückgeht, nehmen wir auf sie in erster Linie indirekten Einfluss. In diesem Kontext müssen wir vielleicht auch unser Technologieverständnis in Ausbildung und beruflicher Praxis hinterfragen.
Neue Definitionen der Designdisziplin
Das Design hat, trotz vieler unvorhergesehener Wendungen, in den vergangenen Jahrzehnten ausgezeichnet, dass Designer*innen immer wieder bereit waren, die Disziplin selbst sowie Unterdisziplinen interdisziplinär neu zu definieren. Dazu gehört immer, dass sich nicht alle mit jeder Definition eines heterogenen Designbegriffs anfreunden können.
Durch die Aneignung von KI-Software zur Generierung von Bildern und Ideen, die Umstrukturierung des Designprozesses und Auslagerung von Arbeitsschritten, gestalten Designer*innen die Gestaltung von morgen. Ob unsere Möglichkeiten aktiver Teilhabe an diesen Entwicklungsprozessen in Zukunft auf diesen zwar wichtigen Anteil beschränkt sein wird, hängt davon ab, ob wir uns der Herausforderung stellen wollen, die Schnittstelle zwischen Design und Technologie zu vertiefen und neu zu definieren.