Bild: Aeneas Stankowski mit Unterstützung von KI

DESIGN DISKURS

Anstelle uns mit den Veränderungen einer deterministischen und spekulativen KI-Zukunft zu beschäftigen, sollten wir nach Möglichkeiten suchen, wie wir nachhaltige Aneignungsprozesse von KI-Technologien im Gestaltungsprozess und anderen Disziplinen unterstützen können.

Veröffentlicht am 02.10.2023

Die Debatte um Chancen, Risiken und Folgen der Ent­wick­lung und des Einsatzes von KI für die Design-Branche ist in vollem Gange. Es wird ein nach­haltiger Wandel der Design­berufs­bilder prognos­ti­ziert. Stimmen, die nur geringe Aus­wirk­un­gen erwarten, finden sich im Allge­meinen eher in der Minder­heit. Ob wir diesen Veränder­ungen mit Sorge oder Vor­freude begegnen, hängt von unseren persön­lichen Vor­stell­ungen von erhaltens­werten und wert­vollen Aspekten des Design­pro­zesses ab. Vor dem Hinter­grund wöchent­licher Veröffent­lichung neuer KI-Modelle stellen sich die einen oder anderen Designer­*innen die Frage: Wer gestaltet die Ge­staltung von morgen?


„Niemand ist sich sicher, ob ihre Tätigkeiten voll­ständig oder zumindest zum Teil von KI über­nommen werden könnten.“


Die Möglichkeiten, die der Einsatz generativer KI-Techno­logien bietet, wecken nicht nur bei Designer­*innen Zweifel am zukünftigen Gebraucht­werden müh­sam erworbener und lieb­ge­wonnener Fähig­keiten. Ob Jurist­*innen, Texter­*innen oder Designer­*innen – niemand ist sich sicher, ob ihre Tätig­keiten voll­ständig oder zumindest zum Teil von KI über­nommen werden könnten.

Iterativer Fortschritt wie beim Taschenrechner

So beeindruckend aktuelle Modelle in ihrer General-Purpose-Aus­richtung sind, so ist es eben­falls vor­stell­bar, dass die bevor­stehende Trans­formation der Berufs­welt durch KI eher der ähneln wird, die mit dem Taschen­rechner begann und noch heute anhält, so eine verbreitete Gegen­these, die eben­falls auf viel Zustim­mung stößt. Ein iterativer Fort­schritt, dem es sich nicht zu ver­weigern lohnt. Nicht durch die Erfin­dung, sondern durch die Adap­tion digitaler Werk­zeuge erwuchs in kom­plexer Wechsel­wirkung eine Kolla­bora­tion zwischen Men­schen und Computern, die sich noch immer ent­faltet und mit denen sich gleich mehrere Dis­zi­plinen beschäftigen, unter anderem auch das Design.

Sherry Turkle beschreibt einige dieser Wechsel­wirk­ungen in ihrem Artikel „How computers change the way we think“: Die ersten Studieren­den, die mit Taschen­rechnern arbeiteten, verloren dem­nach anek­dotisch das Gefühl für Größen­ord­nun­gen. Für was ver­lieren wir das Gefühl, wenn wir Texte und Bilder generieren? Man kann sich leicht vor­stellen, dass das, was mit Taschen­rechnern als ersten Personal Computern im wort­wört­lichen Sinne begann, sich auch ganz anders hätte ent­wickeln können. Bei vielen der Inter­aktions­muster, die sich heute in der Ver­wen­dung digitaler Tools etabliert haben, handelt es sich nicht unbe­dingt um die ersten oder die besten Lösungen, sondern um stabile Gleich­ge­wichte, die sich auf Gewohn­heiten stützen, sich durch leichte Erlern­bar­keit oder hohen Nutzen auszeichnen.

Wir wissen, dass nicht nur tech­nische Inno­vatio­nen, sondern auch Gestalt­ung und Ge­brauch digitaler Inter­faces und Techno­logien maß­geb­lich unsere heutigen Formen digitaler Inter­aktion, Kom­muni­kation prägen und damit zen­trale Vor­teile und Nach­teile für digitale Gesell­schaften schaffen. Vor diesem Hinter­grund sollten wir uns, anstatt uns von einer deter­minis­tischen KI-Zukunft geleitet mit Speku­lationen über die kommenden Ver­änder­ungen zu beschäftigen, fragen, wie wir die neuen Mög­lich­keiten, die uns diese Techno­logien bieten, mit Bedacht nach­haltig in den Gestaltungs­pro­zess inte­grieren. Ebenso wichtig ist es, sich bei der Gestalt­ung von KI-basierten Anwen­dungen bewusst zu machen, dass Designer­*Innen hier einen wichtigen Ein­fluss auf die Aneignungs­pro­zesse von KI anderer Disziplinen ausüben.

Integration von KI in den Designprozess

Wie möchten wir die Arten und Weisen, wie wir denken, durch KI verändern oder nicht verän­dern? Die weitläufige An­nahme, dass Mensch und KI zusammen besser und/oder verant­wortungs­voller arbeiten und ent­scheiden können, lädt zum Aus­tausch zur oben ge­nannten Frage­stellung ein. Der kollabo­ra­tive Imperativ stellt Designer­*innen in Bezug auf die Zukunft der Disziplin die Frage: „Wie verändern wir durch Gestalt­ung und Gebrauch von KI die Gestalt­ung von morgen?“ Die ersten Ver­suche, generative KI-Techno­logien in die Design­praxis zu integrieren, sind bereits erste Schritte dieses Formungsprozesses.


„Das kollaborative Szenario eines Mensch-KI-Verhält­nisses bietet viele gestalterische Ansatzpunkte.“


Das kollaborative Szenario eines Mensch-KI-Verhält­nisses, in denen KI-Systeme Men­schen bei Pro­zessen, die ihnen unlieb­sam sind oder schwer­fallen, ergän­zen und unter­stützen, bietet viele gestalt­erische Ansatz­punkte. Konkrete Aus­arbeit­ungen, die sich hier um ein stabiles Gleich­ge­wicht und die nach­haltige Ent­wick­lung einer co-kreativen Arbeit be­mühen, gibt es aktuell noch nicht viele. In An­be­tracht einer vermeint­lich extrem kom­plexen und ver­schlossenen Techno­logie kon­zen­trieren sich viele Gestaltende auf die effizienz­steigernde Anwen­dung von KI-Tools wie Mid­journey oder StableDiffusion.

Durch den Taschenrechner verloren Studierende laut Sherry Turkle ihr Gefühl für Zehnerpotenzen. Bild: Aeneas Stankowski mit SDXL

Unschärfe in der Ein- und Ausgabe

Wie kann eine Kollabo­ration zwischen Mensch und KI-Modellen jenseits der in aktuellen An­wen­dungen ein­ge­betteten Inter­aktions­paradig­mas aus­sehen? Das Text2X-Inter­aktions­paradigma, bei welchem KI-Modelle zum Beispiel Bilder oder Texte auf der Basis von Text­ein­gaben der Nutzer­*innen generieren, zeich­net sich aus KI-, inter­aktions-, informations­technischen und sprach­lichen Gründen durch eine Un­schärfe aus: Die Ein­gabe­länge ist auf eine bestimmte An­zahl an Zeichen be­grenzt und ein Bild oder Konzept sagt mehr als tausend Worte, die weder Nutzer­*innen in der Lage sind einzu­geben, noch aktuelle Modelle in der Lage sind zu ver­arbeiten. Diese Un­schärfe wurde von Ge­stalter­*innen früh als divergierendes Merk­mal identi­fiziert, um Varianten zu bilden oder ein weißes Blatt zu überwinden.

Abhängigkeit von KI

Eine Aneignung eines solchen Arbeits­pro­zesses verortet sich auch in Frage­stell­ungen der Un­abhängig­keiten und Abhängig­keiten von KI. Manche zähen Arbeits­schritte bilden das Funda­ment integraler Gestaltungs­fähig­keiten. Ihre Automati­sierung bedeutet mög­licher­weise, sich nicht nur von diesen Fähig­keiten zu trennen, sondern auch, das Gefühl für sie zu ver­lieren und neuen, besseren, oder auch schlechteren Denk­weisen den Weg zu ebnen. Diverse Studien zu kreativer Flexi­bilität belegen, dass vor­liegende Bilder und Kon­zepte einen starken Ein­fluss darauf nehmen, entlang welcher Motive und Werte wir weiter­denken können und unsere Fähig­keiten, grund­legend anders über Frage­stellungen nach­zu­denken, begren­zen. Ein Effekt, der uns in partizi­pa­tiven Pro­zessen und Dienst­leistungs­pro­zessen schmerz­lich bewusst ist. Vielleicht sind wir bei der Ver­wen­dung von ChatGPT oder Mid­journey bereits in eine ähnliche Situation geraten? Leider stehen die Chancen schlecht, dass wir es bemerkt haben.


„Eine Auseinander­setz­ung mit den Welt­bildern und Werten von KI-Modellen ist unverzichtbar.“


Die unschärfe­bedingte Beliebig­keit, die co-kreative Arbeit mit KI aktuell mit sich bringt, kommt hier besonders zum Tragen. Was im Einzelnen als Beliebig­keit durch­gehen kann, bildet in Summe eine Repro­duktion der in KI-Modellen ver­arbeiteten Daten und Werte. Hier­durch wird Aus­einan­der­setz­ung mit den Welt­bildern und Werten, welche unaus­weich­lich Teil jedes sprach- und bild­basierten Modells sind, un­verzichtbar.

Noch wichtiger ist die Frage, wie wir als Gestaltende auf diese kolla­borative Zukunft Ein­fluss nehmen, und eine Beteili­gung an der Beant­wortung wichtiger Fragen, wie KI unsere Denk- und Urteils­fähigkeit be­ein­flussen soll, ermöglichen.

Werkzeuge ermöglichen nicht nur neue Funktionen, sondern beeinflussen auch unsere kognitive Entwicklung. Bild: Wikipedia (José-Manuel Benito Álvarez)

Anspruchsvolle Aufgabe für das Design

Latente Auswirkungen von Gestaltungs­ent­scheidun­gen zeigen sich erst im Ge­brauch – Folgen und Aus­­wirk­ungen werden, selbst bei großer Sorg­falt, erst durch langfristige Adaption und Beobachtung von Folge­ent­scheidungen sicht­bar. Die hohe Kom­plexität, die die Gestalt­ung und Ent­wicklung von KI-Anwen­dun­gen mit sich bringt und die von Fragen der Daten­erzeu­gung, Kuratierung über Ressour­cen­ver­brauch, Inter­aktions­gestaltung bis zu politischen Fragen der Zugangs­gerechtig­keit, Biases und Diskrimi­nier­ung reicht, machen KI zu einer an­spruchs­vollen Auf­gabe für das Design. Es wäre zu einfach, den Gestaltungs­teil aus dieser Ver­flecht­ung heraus zu brechen und zu versuchen, ihn separat behandeln.


„Nicht alle können sich mit der Definition eines heterogenen Design­begriffs anfreunden.“


Der Einfluss, den das Design auf die Ent­wick­lungs­pfade von Modellen und ihren An­wendungs­mög­lich­keiten ausübt, ist aktu­ell eher gering. Die Ein­bin­dung von Gestaltung in Forschungs­pro­zesse im Allge­meinen, aber speziell im KI-Bereich zu zurück­haltend, um maß­geb­lich zu einer nach­haltigen Entwick­lung von Modellen und Tools bei­zu­tragen. Trotz der Rele­vanz dieser Ent­wicklungs­pfade, die nicht determi­nistisch sind, sondern deren Genese auf viel­fältige Fak­toren zurück­geht, nehmen wir auf sie in erster Linie indirekten Ein­fluss. In diesem Kon­text müssen wir vielleicht auch unser Techno­logie­ver­ständ­nis in Aus­bildung und beruf­licher Praxis hinterfragen.

Neue Definitionen der Designdisziplin

Das Design hat, trotz vieler unvorhergesehener Wendungen, in den vergan­genen Jahr­zehnten aus­ge­zeichnet, dass Designer­*innen immer wieder bereit waren, die Disziplin selbst sowie Unter­diszi­plinen inter­diszi­plinär neu zu definieren. Dazu gehört immer, dass sich nicht alle mit jeder Definition eines hetero­genen Design­be­griffs anfreunden können.

Durch die Aneignung von KI-Software zur Gener­ier­ung von Bildern und Ideen, die Um­struk­turier­ung des Design­pro­zesses und Aus­lagerung von Arbeits­schritten, gestalten Designer­*innen die Gestaltung von morgen. Ob unsere Möglich­keiten aktiver Teil­habe an diesen Ent­wick­lungs­pro­zessen in Zukunft auf diesen zwar wichtigen Anteil be­schränkt sein wird, hängt davon ab, ob wir uns der Heraus­forder­ung stellen wollen, die Schnitt­stelle zwischen Design und Techno­logie zu ver­tiefen und neu zu definieren.

Aeneas Stankowski

ist Designer und Forscher und beschäftigt sich mit der Kontextu­alisierung neuer Technologien. Er ist Gast­professor für Creative AI + Design an der HfG Schwäbisch Gmünd und forscht beim Deutschen Forschungs­zentrum für KI am Design Research Lab der Universität der Künste Berlin.