DESIGN DISKURS
Georg-Christof Bertsch ist Unternehmensberater für Positionierung und Change, Honorarprofessor für interkulturelles Design und Mitglied des fünfköpfigen Beirats des DDC. Neben den geschäftlichen Nöten sieht Bertsch in der Corona-Krise allerdings auch ein großes Potenzial für die Design-Branche. So rät er Designer*innen, sich mit der Transformation in eine grüne Ökonomie und mit neuen Technologien zu befassen. Vor allem aber brauche es innerhalb der Disziplin endlich einen generellen Diskurs, der die gesellschaftliche Relevanz von Design in den Fokus rücke.
Der Corona-Effekt auf Systemebene
Als Professor, im Beirat des DDC und Berater beschäftigst du dich mit Themen wie System-Theorie, Change, Organisationsentwicklung, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und interkulturelles Design. Du hast Deine Sensoren also in vielen Gesellschaftsbereichen aktiv. Blicken wir in die Designwelt: Welche Verschiebungen auf systemischer Ebene ergeben sich dort aktuell durch die Corona-Krise?
Georg-Christof Bertsch: Als auffälligstes Phänomen der bisherigen Krise zeigt sich die ungeheure Selbstverständlichkeit, mit der der Staat Vieles in die Hand nimmt. Spätestens seit den 1980er Jahren, mit dem Aufkommen des Neoliberalismus, forderten manche regelrecht die Abschaffung des Staates. Das mache alles der Markt. Jetzt sieht man, unter diesen besonderen Bedingungen, dass dieser Markt zum Schutz der Gesellschaft wenig beiträgt. Das ist die wichtigste Erkenntnis für mich und auch für uns als Designszene. Dass wir sehr viel stärker auf die Gesellschaft schauen müssen und nicht auf die Wirtschaft. Die Wirtschaft ist ein Teil der Gesellschaft und die Gesellschaft ist Teil der Natur. Genau in dieser Reihenfolge.
Welche Entwicklungen sind für die Design-Disziplin positiv zu werten? Welche weniger?
Bertsch: Schwierig für das Design war bereits vor der Krise, dass es nicht sagen kann, was es will. Dem Design fehlt eine Sinnorientierung. Dadurch ist die Design-Branche letztlich auf die Funktion einer Dienstleistung beschränkt. Eine wirtschaftliche Leistung, die, wenn eine wirtschaftliche Krise kommt, wegfällt. Dadurch stehen wir als Designer*innen mit dem Rücken zur Wand. Wir haben keine gesellschaftlich relevanten Argumente. Es scheint, dass man auf Design verzichten kann. Wir gelten nicht als systemrelevant. Wir könnten jedoch viel mehr auf die Verknüpfung, Verbindung und Kommunikation zwischen Systemen hinarbeiten. Über die dazu nötigen kreativen Fähigkeiten verfügen Designer*innen doch ganz selbstverständlich.
Dann fragen wir nach dem Sinn: Wieso brauchen wir als Gesellschaft Design?
Bertsch: Wir haben mit den neuen politischen Rahmenbedingungen, insbesondere durch den EU Green Deal und die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, eine vollständige Transformation der Wirtschaft vor uns. Das ist eine Aufgabe, an der in allen Aufbauszenarien nicht gezweifelt wird. Das heißt für uns Designer*innen, dass der EU Green Deal für uns ein relevantes Rahmenwerk darstellt, in Folge dessen die gesamte Wirtschaft, damit auch die Produktwelt und die Kommunikation komplett neu aufgebaut werden müssen. Eine riesige Aufgabe. Hier gibt es eigentlich Sinn in Hülle und Fülle. Die Breite unserer Diskussion darüber ist jedoch noch recht kläglich, nicht nur im Design, auch in der Architektur.
„Wie beschreiben wir die gesellschaftliche Relevanz von Design?“
Wir stehen jetzt vor einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Scheideweg: Es könnte sein, dass wir den Weg in die Transformation nehmen. Der andere wäre zurück in die alte Normalität – was sich ja auch nicht Wenige wünschen.
Bertsch: Wir haben nicht nur den EU Green Deal, sondern ein Bewusstsein auch in den anderen hochentwickelten Regionen – bis auf die traurige Ignoranz der US-Regierung. Aber selbst in der US-Gesellschaft gibt es ein klares Bewusstsein dafür, dass diese Transformation gar nicht zu vermeiden ist. Die Frage ist nur: Wie gehen wir nach vorne? Ich finde daher den Begriff „Das neue Normal“ gut. Im Rahmen dieser großflächigen Transformation wird diese ganze petrolbasierte Ökonomie nicht mehr funktionieren. Das sieht man jetzt bereits schon. Was heißt das für uns? Auf der Negativseite haben wir eine nicht abschätzbare Krise, von der ökonomischen Tragweite als auch von der Dauer her. Auf der positiven Seite kann man davon ausgehen, dass der Weg in eine deutlich grünere Ökonomie hinführt. Und da wird Design, Gestaltung und Architektur in vielerlei Hinsicht benötigt.
Was passiert aber mit den Bereichen, die in einem „neuen Normal“ nicht mehr gebraucht werden? Wie der petrolbasierten Ökonomie, der Autoindustrie und der Luftfahrindustrie? Dann geht es uns zwar ökologisch besser, aber ökonomisch nicht ...
Bertsch: Das ist jetzt eine Transformation wie viele zuvor. Die Transformation der Hausweberei zur Maschinenweberei war im 19. Jahrhundert von furchtbaren Hungersnöten begleitet. Als in New York die petrolbasierten Automobile eingeführt wurden, war dies mit der schlagartigen Arbeitslosigkeit von 25.000 Kutschern verbunden. Das sind schlimme aber unvermeidbare Sideeffects. In der Luftfahrbranche werden massenhaft Leute arbeitslos werden. Das ist überhaupt nicht zu vermeiden. Es wird keiner mehr für ein einstündiges Businessgespräch in den Flieger steigen. Durch die paar Wochen im Umgang mit den neuen Technologien ist ein derartiger Schub der Digitalisierung durchs Land gegangen, dass manches nicht mehr zurückgedreht werden kann.
Aber gewinnen wir auch auf der anderen Seite?
Bertsch: Ein System reorganisiert sich konstant neu. Wenn es einen Schaden hat, wird sich das selbst ergänzen. Das ist das natürliche Gesetz der so genannten biologischen Autopoiesis. Wenn an einer Stelle relevante Wirtschaftsteile wegfallen, wird es an anderen Stellen neue geben. Für Viele ist das, zumindest vorübergehend, nicht angenehm.
Der Corona-Effekt auf Wohnen und Arbeiten
Zusammen mit Peter Eckart und Kai Vöckler hast Du 2013 das Designinstitut für Mobilität und Logistik an der HfG Offenbach gegründet. Ihr fordert unter anderem, dass Stadtplanung und Mobilität neu zusammen gedacht werden müssen, zum Beispiel indem Arbeiten und Wohnen näher zusammenkommen. Wenn wir die jetzige Situation betrachten, hat sich doch einiges getan: Wir arbeiten im Homeoffice, die Pendelei ist aufgehoben und wir meeten per Video ...
Bertsch: Die im Schnitt Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnungen sind zu klein, um das abzubilden, was wir aktuell brauchen. Sie sind auch zu klein für ein Mehrgenerationenwohnen. Da bedarf es genau unserer Leute, nämlich der Architekt*innen und Designer*innen, um künftige Wohn- und Arbeitstypologien zu entwickeln, die dies sinnvoll ermöglichen. Die klassische Designer*innen- und Architekt*innenenfantasie eines großen offenen Raumes ist völlig unbrauchbar für eine Kombination aus Arbeiten und Wohnen mit Familien.
Wie können solche neuen Arbeits- und Wohnformen aussehen? Vielleicht kannst Du das einmal anhand einer Designagentur mit über 200 Mitarbeitern durchdeklinieren ...
Bertsch: Die Teamarbeit könnte man in einer Kombination von Home- und Gemeinschaftsoffice variabel gestalten: Ein Teil der Projektarbeit passiert im Homeoffice, ein Teil in einem kleineren Büro vor Ort zusammen, etwa in einem Co-Working-Space. Dann braucht man aber diesen großen zusammenhängenden Raum nicht mehr. Ich würde einer Agentur daher raten: Schaut euch genau an, wie ihr strukturiert seid und überlegt euch auf dieser Basis, wie das räumlich flexibler organisiert sein, wie man Teams dynamisch und flexibel ausgliedern und wieder eingliedern kann. Es gibt aktuell tolle Ansätze und technische Lösungen dafür. In den neuen flexiblen Office-Flächen kann man mit Alkoven arbeiten, die innerhalb eines Raumes privatere Räume schaffen, wie das Hersteller wie Vitra vorschlagen.
Da wir aber diese räumlichen Situationen noch nicht haben, wünschen sich auch wahrscheinlich viele wieder zurück an den Arbeitsplatz zu gehen.
Bertsch: Sicher. Vor allem ist das jetzt ein Learning für die Arbeitgeber*innen. Diese konnten sich bislang nicht vorstellen, die tägliche Einflussnahme und Kontrolle ohne Präsenz auszuüben. Da zeigt sich aber ein komplett veraltetes Führungsdenken. Aber man sieht nun, dass es funktionieren kann. Man sieht aber auch die Grenzen. Und das macht es für neue Ideen und Gestaltungen so interessant. Das ist der gleiche Effekt wie bei der digitalen Videochat-Kommunikation: Man gewöhnt sich mit der Dauer der Krise und man wird sie sich nicht mehr abgewöhnen.
„Wir werden uns die digitalen Kommunikationsformen unter Corona nicht mehr abgewöhnen.“
Der Corona-Effekt auf Stadt und Mobilität
Es gibt Prognosen, die sagen, wir werden nach Corona eine Stadtflucht erleben. Die Menschen werden sich ein Häuschen auf dem Land kaufen, selbst ihre Lebensmittel anbauen und verstärkt die Nähe in der direkten Gemeinschaft suchen und nicht mehr im anonymen Nirvana des Internets. Was hältst Du von dieser Prognose?
Bertsch: Das scheint mir ein bisschen arg romantisch zu sein. Aber ich hoffe, dass durch die ohnehin stärkere Digitalisierung Cloudworking auch für andere Bereiche im ländlichen Raum möglich ist. Es wird bestimmte Pendelbewegungen gar nicht mehr geben. Wenn ich mir Brandenburg anschaue: Unheimliche viele Leute dort müssen sehr weite Strecken fahren, obwohl sie die Dinge auch gut auch von zuhause aus machen könnten. Diese ländlichen Gebiete werden durch eine zunehmende Digitalisierung interessanter. Diese Tendenzen waren schon vor der Corona-Pandemie da und werden sich weiter fortsetzen. Die Bedeutung des Ausbau des Breitband-Internet im ländlichen Raum ist jetzt noch klarer und muss elementarer Teil des Wideraufbauprogramms nach der Krise sein.
Der Schutz von digitalen Gesundheitsdaten
Wir erleben im Zuge der Corona-Pandemie-Maßnahmen eine weltweite Diskussion um Grundrechte, auch in Bezug auf Forderung nach Datenschutz hinsichtlich der Einführung der Gesundheitstracking-Apps. Wie bewertest du dies als Befürworter der Digitalisierung?
Bertsch: Es gibt zunächst einmal die amerikanische Artificial Intelligence (AI) Strategie, die eine kapitalmarktgetriebene ist. Die chinesische ist durch den Überwachungsstaat getrieben. In Europa brauchen wir eine eigene humane AI Strategie, für die Emmanuel Macron bereits 2017 vorschlug, in einer deutsch-französischen Kooperation mit dem umfassenden französischen Gesundheitsdatenbestand anzufangen. Auf diesen Vorstoß hat die Bundesregierung überhaupt nicht reagiert. Das andere ist die Frage des Hostings, diese wurde bisher nicht wirklich diskutiert. Ob der Server in Holland oder Wisconsin steht, ist eben nicht egal. Dies wird uns klarer, seitdem wir, unter anderem durch Edward Snowden, wissen, dass es geheimdienstliche Querverbindungen durch alle großen Provider in den USA gibt. Wenn wir in Europa die Server aufbauen, müssen wir uns jedoch auch mit städtebaulichen Eingriffen beschäftigen, denn diese Serverparks sind ja auch Gebäude, Räume, riesige, abgeschirmte Kisten. Die dritte Frage ist die energetische: Will ich mir die haarsträubenden Energiemengen leisten, um die Daten als Blockchain zu sichern?
Wie können wir uns von den Tech-Riesen wie Google, Amazon, Apple oder neuerdings auch Zoom emanzipieren? Wäre es dann sinnvoll, wenn man sich die Diskussion um die Corona-Tracking-Apps anschaut, dass der Staat solche Server aufbaut?
Bertsch: Der Staat ist letztendlich Repräsentant unserer Gesellschaft. Staaten können bekanntlich ihre Macht missbrauchen. Aber der Staat in unserer demokratischen Gesellschaft ist ein Garant für den Schutz des Individuums und vor allem der der Einklagbarkeit von Recht. Wenn man seine Daten an Apple gibt, verlieren wir diese Kontrolle. Das ist der Riesenunterschied. Die Frage ist vor allem, welche Alternativen es gibt? Und da sind wir in Europa zur Zeit in der Defensive, weil wir die Entwicklung dieser Systeme nicht vorangetrieben haben. Nur die Gesetzgeber können diese Tech-Riesen überhaupt noch in die Schranken weisen, nicht die nachwachsenden Mitbewerber. Ein erster Schritt ist die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), übrigens ein Exportschlager.
Design for Social Innovation
Du beschäftigst dich auch mit Nachhaltigkeit. Führende Denker wie Bruno Latour fordern, dass wir Menschen uns wieder als Teil der Natur wahrnehmen müssen. Ein Verständnis, dass wir im Verlauf der Moderne, so scheint es, vergessen haben. Wie kommen wir da wieder hin? Und was heißt das für das Design?
Bertsch: Design verändert ja die Welt mit, indem wir sie gestalten. Das Gute am Design ist seine große Freiheit an Bewegungsmöglichkeit. Wir machen uns zu wenig Gedanken darüber, was Design alles kann. Design kann viel mehr, als es zurzeit tut. Man darf sich nicht nur auf die Wirtschaftsmöglichkeiten konzentrieren. Da hat Ezio Manzini mit seiner Forderung nach „Design for social innovation“ vor einigen Jahren schon einen guten Diskurs aufgemacht. Wo kann Design helfen zu visualisieren, zu aktivieren, zu kommunizieren, um Zukunftsbilder zu entwerfen? Da spielt Design eine Riesenrolle. Das kann sonst keiner. Bei der Frage der Blickwinkel finde ich die Initiative „Women of DDC“ sehr wichtig. Frauen haben einen anderen Blick auf die Welt als Männer, insbesondere bei der Interpretationen sozialer Phänomene wird dies sehr deutlich.
„Der EU Green Deal ist eine Riesenchance für das Design. Schaut in das Dokument!“
Auch wenn immer wieder die politische Dimension von Design herausgestellt wird, in der Regel sind es die Politiker*innen und Unternehmer*innen und nicht die Designer*innen, die die großen Direktiven stellen. Wie können sich Designer*innen auf Entscheidungsebene aktiv einbringen? Und macht es jetzt überhaupt Sinn, da es bei Vielen doch nur um reine Existenzsicherung geht?
Bertsch: Der DDC versucht ja, Design nicht als getrennte Gewerke zu verstehen, sondern als integrierte Gestalter unserer Gesellschaft und unserer Welt. Dafür kämpfen wir auf allen Ebenen. Leider sind wir viel zu klein als Branche auf der Lobbyebene. Aber dennoch: Wie können wir unseren Beitrag zur Gesellschaft formulieren? Der EU Green Deal ist eine gute Chance, die Rolle des Designs in dieser Transformation darzustellen.
Wie könnte das konkret ausschauen? Ich gehe beispielsweise zu meiner/m Kund*in, der mir ein Produktbriefing gegeben hat und ich sage: Lassen Sie uns erst einmal über den EU Green Deal reden?
Bertsch: Meine Frau, Professorin Annette Bertsch, lehrt genau das an der Kunsthochschule in Kassel. Design Management ist wichtig, um besser zu verstehen, an welcher Stelle im Wertschöpfungsprozess Design überhaupt relevant ist. Und an welcher Stelle Designer*innen hinzugezogen werden und sie die Prozesse beeinflussen können. Die Grundidee ist, möglichst weit vorne in den Designprozess hinein zu kommen, bevor das klassische Designbriefing entsteht. Das kann man nur erreichen, wenn man mit der/dem Kund*in konstant Kontakt hält. Man muss wissen, wann sie etwas entwickeln wollen und relativ früh mit Ideen auf die/den Kund*in zugehen, bevor diese/r überhaupt auf die Idee kommt, ein Briefing zu schreiben.
Aktuell dürfte das nicht so einfach sein ...
Bertsch: Es drückt sich in der Krise aktuell fatal aus, wenn die Designer*innen nicht nah genug an der/am Kund*in dran sind. Der Kontakt reißt ab, man hat ja scheinbar keinen Anlass sich auszutauschen. Also dranbleiben, um eben frühzeitig in Themen als Gesprächspartner*in einzusteigen und ernst genommen zu werden. Wenn man nicht kommuniziert, ist man raus dem Spiel. Das ist auch ein Bestandteil der klassischen Luhmannschen Theorie: In dem Moment, in dem man nicht mehr kommuniziert, hört auch ein System auf zu existieren. Durch den Abriss der Kommunikation löst sich das Kund*innen-Berater*innen-Verhältnis ganz einfach auf.
Digital-ökologische Transformation
Der DDC hat diesen DESIGN DISKURS anlässlich seines 30-jährigen Bestehens initiiert, um einen neuen umfassenderen Designbegriff zu diskutieren. Ein Diskurs, der sich unter dem Brennglas der Krise zuspitzt. Woran müsste sich Deiner Meinung nach dieses neue Verständnis der Disziplin orientieren?
Bertsch: Designer*innen müssen sich stärker in Richtung Technologie entwickeln. Sie selbst müssen sich mehr Technologie aneignen, aber auch mit Technologen und Ingenieuren mehr zusammenarbeiten. Neue Kooperation an Schnittstellen zu Biologie, Technologie oder Medizin eingehen. Der DDC ist ein gutes Beispiel dafür, wie man diese Schnittstellen zusammenbringen kann. Alle Gestaltungsdisziplinen müssen aber insgesamt mehr mit Technologie zusammengehen. Deshalb ist das Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston so erfolgreich, weil sie Technologie und Design zusammendenken. In Europa sind es zum Beispiel das Karlsruher Institut für Technologie, das Zentrum für Kunst und Medien ZKM, ebenso in Karlsruhe, die Aalto Universität in Helsinki oder das ARTEM in Nancy, Lothringen.
Du forderst also in puncto nachhaltige Transformation nicht „back to basic“, sondern ein Wandel Hand in Hand mit technologischen Entwicklungen?
Bertsch: Wenn ich über den EU Green Deal rede, dann geht es eigentlich nur über technologischen Entwicklungen. Wie kann ich diese Technologien so transformieren, dass wir in eine nachhaltige Gesellschaft kommen? Nachhaltige Produkte, Cradle-to-cradle Prozesse, User Interface, alles das, was da passiert, muss ich gestalten. Der EU Green Deal will keine Jutesack-Romantik, sondern eine Hightech-Wirtschaft, die vollständig auf nachhaltigen Prinzipen basiert und nicht mehr CO2 in die Luft bläst. Man muss dabei aber immer wieder die Sinnfrage stellen.
„Designer*innen müssen sich mit neuen Technologien, mit angrenzenden Disziplinen befassen.“
Was bedeutet das für die Designer*innen in der Praxis? Und speziell für den Diskurs im DDC?
Bertsch: Wir müssen einerseits über die geschäftlichen Nöte sprechen. Aber gleichzeitig auch darüber, wie wir die Disziplin weiterentwickeln können. In der Architektur ist dieser Diskurs verbreiteter. Im Design passiert das nicht. Da schaut man mal nach Trends, aber das ist zu kurzfristig. Die Langfristigkeit der Perspektive ist unter uns so schlecht entwickelt. Wir als Designer*innen müssen uns mit Zukunftsstudien und -szenarien auseinandersetzen, mit neuen Technologien und neuen Materialien sowie neuen Lösungssystemen. Die BASF Designfabrik ist ein herausragendes Beispiel dafür. Designer*innen sind in der Mehrzahl heute nicht nah genug an den Nachbarsdisziplinen dran. Für den DDC heißt das: Erstmal reinhören in die eigenen Disziplinen und sich dann mit den angrenzenden Disziplinen verbinden. Design muss letztlich aus der Ecke des nachgeordneten Kommunikationsmittels rauskommen.
In Frankreich hat der ehemalige französische Umweltminister Nicolas Hulot eine Kampagne initiiert, die darauf zielt, die Zeit der Krise für eine grundlegende Transformation zu nutzen. Die Kampagne unterstützen viele Prominente wie Marion Cotillard, Juliette Binoche, Joan Phoenix und hierzulande Lars Eidinger. Sie alle haben einen Satz vollendet. Wie würdest Du ihn vollenden? Le temps est venu, die Zeit ist gekommen ...
Bertsch: ... sich als Designer*in intensiver mit angrenzenden Disziplinen: Soziologie , Biologie, Medizin auseinanderzusetzen.