DESIGN DISKURS

Über die politische Dimension von Design
oder weshalb wir vom Wissen ins Handeln kommen müssen.

Veröffentlicht am 17.03.20

»The world is on its way to ruin and it’s happening by design« – so diagnostiziert es Mike Monteiro in seinem 2019 erschienen Buch Ruined by Design vom Silicon Valley aus. Damit meint er das verführerische Design eines Überwachungskapitalismus, der sich aus dem Siliziumtal über die Welt ausgebreitet hat. Dessen „smoothe“ Benutzeroberflächen und „userfriendly“ Interfaces fordern uns beständig zur Interaktion mit affirmativen Sternchen, Herzchen oder Daumen hoch heraus. Alles muss glatt sein und nichts darf schief gehen, damit bei der reibungslosen Interaktion möglichst viele der „Datenabgase“ gesammelt werden können, die das Kapital und somit das eigentliche Ziel der Internetgiganten seien – so jedenfalls Monteiros ruinöse Diagnose. Während allerorts das Mantra der Disruption gepredigt wird, um Innovation herbeizuführen, designen diese Unternehmen Plattformen, deren Echokammern und algorithmische Verhaltensökonomie im besten Fall Konformität fördern. Die oberflächliche Abweichung ist vorprogrammiert. Im schlimmsten Fall – und dies ist leider nicht der seltenste – potenziert das Immergleiche dieser Echokammern den Hass auf alles Fremde. Dies ist der designte Ruin, um den es Monteiro geht: Die Ohnmachtserklärung der sozialen Medien gegenüber dem Hass, der durch die Interaktion gefördert wird.

Die Internetriesen könnten es anders machen. Aber wollen sie das überhaupt? Diese Diagnose ließe sich ohne Probleme vom Design der virtuellen auf das Design der realen Welt ausweiten. Die Produktionsweisen der westlichen Überflussgesellschaften reizen in ihrem Ressourcenverbrauch sowie ihrer Abfallproduktion die Kapazitäten unseres Planeten nun tatsächlich bedrohlich und bis zum Äußersten aus, während sie das Humankapital, die Ware Arbeitskraft, in globalisierter Konkurrenz in immer entlegenere Erdteile „outsourcen“, wodurch sich praktischerweise auch gleich die Menschenrechte umgehen lassen. Rein theoretisch könnten wir alles anders machen. Aber wollen wir es? Schließlich wissen wir all das, nur wir handeln nicht. Auch wir erklären unsere eigene Ohnmacht und die Alternativlosigkeit eines globalen, neoliberalen Wirtschaftsmodells.

„Design ist die Bühne, auf der bedeut­same Differenzen erscheinen und Fragen der Verfasst­heit unserer Lebens­welt verhandelt werden können.“

Design hat's geschafft: »it's happening by design«. Das alles integrierende Systemdesign sowie das ebenso totale und dennoch oberflächliche Entschädigungsdesign legt über alles einen „glossy“ Filter und den Anschein falscher Versöhnung – und bleibt somit das Schmieröl des globalen Marktes. Das Fatale an diesem Filter ist jedoch nicht seine Oberflächlichkeit. Wir können ihn nicht einfach entfernen, um zurück zu den vermeintlich ursprünglichen Dingen, zum essenziellen Gebrauchswert zu kommen. Das Fatale ist, wie im sozialtechnologischen Systemdesign, die Totalität der Oberflächlichkeit, die alles zu einer Frage des Designs werden lässt, das am Ende doch nichts grundlegend ändert. Die Dialektik des gestalterischen Größenwahns schlägt in beide Richtungen aus: totale Kontrolle und totale Bedeutungslosigkeit. Innerhalb unserer Ökonomien der Aufmerksamkeit, unserer Gesellschaft der Singularitäten, wie der Soziologe Andreas Reckwitz sie beschreibt, die nur individuell lösbare Probleme kennt, wird Design zu einem „anything goes“ der Gestaltung freier Wahlmöglichkeiten entkräftet, während gleichzeitig ein durchökonomisiertes Systemdesign alles durchdringt. Alles ist gestaltbar und alles lässt sich durch mehr Design lösen, so das Credo. Konkret bedeutet das zum Beispiel: den Krisen der Welt fehlt nur die Sichtbarkeit. Doch wenn alles irgendwie und auf irgendeine Art gestaltet und sichtbar werden kann, weil alles irgendwie gestaltbar ist und es nichts mehr gibt, das die ebenso gestaltete, unsichtbare Ordnung grundlegend herausfordert, verschwindet die Möglichkeit zur Differenz.Wie kommt das Design – und wir – aus dieser Zwickmühle, vom Wissen zum Handeln? Und wie überzeuge ich nun diejenigen, die bis hierhin gelesen haben und sich fragen, worauf all das hinauslaufen soll, von einer politischen Dimension allen Designs, die sich wider besseres Wissen durch das Design selbst erschließt? Ganz einfach: Aus der Polemik wird eine Apologie. Aus einem Angriff auf die falsche Vorstellung voraussetzungsloser und totaler Gestaltbarkeit wird eine Verteidigung dieses Potenzials der Gestaltbarkeit, das im Design angelegt ist. Die politische Dimension allen Designs eröffnet sich dadurch, dass Design sein besonderes Gestaltetsein in besonderer Form ausstellt und somit auf eine potenzielle Gestaltbarkeit verweist, die allen designten Dingen zugrunde liegt. Diese Gestaltbarkeit erstreckt sich hierbei noch auf die grundlegendsten Funktionen, die uns wie von Natur gegeben scheinen, und auf die Systeme und Netzwerke, die wir uns ausgedacht und gestaltet haben. Wir könnten sie auch anders machen. Es gibt immer einen alternativen Vorschlag, der sich gestalten lässt. Durch Design kann sich ein Bewusstsein für die Nicht-Notwendigkeit der aktuellen Ausgestaltung unserer Lebenswelt in eben diese einschreiben. Design ist die Bühne, auf der bedeutsame Differenzen erscheinen und Fragen der Verfasstheit unserer Lebenswelt verhandelt werden können.

An dieser Stelle aber kehrt die Frage nach guter Gestaltung – nun gegen eine falsche Totalität und anti-essentialistisch gewendet – wieder – und zwar als Frage nach einem Design, das seinem Begriff gerecht wird; in dem sich die Differenz des Designs nicht in den Distinktionen des Vermarktbaren leerläuft, sondern ihren Grund in bedeutungsvoller Gestaltbarkeit bewusst hält und aktualisiert. Gute Gestaltung ist folglich jene, die durch ihre Besonderheit auf die Möglichkeit verweist, Dinge überhaupt gestalten und somit auch anders gestalten zu können. Dieses Besondere des Designs spielt sich an seiner Oberfläche ab, die somit das Tiefste ist, was uns Design anbieten kann. Als Einblick auf den grundlosen Grund aller gestalteten Dinge, die auch ganz anders sein könnten. Wesentliches lässt sich kaum ändern. Stil, Gesellschaft und Lifestyle – auch jener, der um seine Voraussetzungen weiß – hingegen schon.

„Gute Gestaltung ist folglich jene, die durch ihre Besonder­heit auf die Möglich­keit verweist, Dinge über­haupt ge­stalten und somit auch anders ge­stalten zu können.“

Dieses Potenzial liegt in jedem Design. Aber wie kommt man von diesem Andersmöglichsein, wie Annette Geiger kürzlich die Differenzlogik des Designs benannte, zu einem Andersmöglichmachen? Auch hier ist die Antwort erstaunlich simpel. Weder muss, noch kann oder soll Design alle Probleme der Welt alleine lösen. Es kann dies aber in einem Vorgriff versuchen und sich die Probleme aneignen, sie verkörpern, als bedeutsame Differenz sichtbar und in ihrer Ausgestaltung bestreitbar werden lassen. Die Qualität allen guten Designs ist seine Bestreitbarkeit! Es gibt keine gute Gestaltung ohne Kritik. Gutes Design, das aus einer Welt der neutralen Tatsachen uns angehende, haarsträubende Dinge macht, setzt sich selbst und das Gute, das es verwirklichen will, im Licht der Öffentlichkeit immer wieder neu aufs Spiel. Weil Design die Welt gestaltet – und zwar so, dass sie gestaltbar bleibt – ist die Notwendigkeit von Kritik und Öffentlichkeit Teil einer politischen Dimension des Designs. Eine Kritik, die auch nicht davor zurückschrecken darf, die aktuelle Verfasstheit des Designs – der Disziplin, der Produkte und der Theorie – sowie seine Grundlagen infrage zu stellen und sie an einen normativen Begriff von „Guter Gestaltung“ sowie an eben jenes Andersmöglichsein zu erinnern.

Was bleibt zu tun: Wir brauchen weniger „Seamlessness“, weniger „smoothe“ Interaktion und mehr Friktion – mehr Reibung! Ecken! Kanten! Gegenstände, die uns entgegenstehen und denen wir uns stellen müssen. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Design, das die Krisen der Welt nicht nur sichtbar werden lässt, sondern sie auch in ihrer Gestaltbarkeit zeigt – wie aktuell in der Ausstellung „Making Crises Visible“ im Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main. So ist die Ausstellung das Produkt eines reibungsvollen Dialogs zwischen Wissenschaft, Design und Kunst, zwischen dem Leibniz Forschungsverband „Krisen eine globalisierten Welt“, der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, der Goethe-Universität sowie der HfG Offenbach, die in ihrem Aufeinandertreffen auf ihre jeweiligen Grenzen verweisen, um sich so in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit sowie ihren jeweiligen Potenzialen anzuerkennen. Ein Dialog, der sich nun auf die Reaktion des Publikums erweitert. Und schließlich brauchen wir Kritik und eine Designdisziplin, die sich diese Kritik gefallen lassen muss – und will. Weil sie um die Kritikwürdigkeit guter Gestaltung weiß.

 


Making Crises Visible

12.02. – 02.06.2020
Senckenberg Naturmuseum, Frankfurt am Main
makingcrisesvisible.com

Felix Kosok

Der Designer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main und schließt aktuell seine Doktorarbeit mit dem Titel „Form, Funktion und Freiheit. Über die ästhetisch-politische Dimension des Designs“ ab. In seiner Dissertation untersucht Kosok eben jene Aspekte des Designs, die meistens als unpolitisch und rein ästhetisch, wenn nicht sogar als ästhetisierend angesehen werden. Seine These lautet, dass sich eine politische Dimension des Designs gerade durch eine eigene Designästhetik erschließt. Darüber hinaus verbindet Kosok Theorie mit Praxis und betreibt seit 2015 studio069 Frankfurt am Main, mit dem er für Kunden aus Kultur und Wirtschaft tätig ist. Felix Kosok ist seit 2017 Mitglied im DDC.