Wir präsentieren den ersten Entwurf der Ergebnisse unseres Konvents für demokratisches Design, der im März 2022 in Frankfurt am Main stattgefunden hat: zehneinhalb Thesen, die auf dem Konvent von Designexpert*innen erarbeitet wurden. Entscheidend ist hierbei die letzte halbe These, vielmehr eine Klausel am Ende: Diese Thesen sind offen, erweiterbar und müssen diskutiert werden – mit euch!
Präambel
Unsere Demokratie ist porös geworden. Während ihre Idee nichts an Strahlkraft eingebüßt hat – selbst Diktaturen schmücken sich mit ihr –, werden demokratische Strukturen und Institutionen sowie eine gelebte demokratische Praxis brüchig – sie werden angezweifelt, offen missachtet und sogar angegriffen. Designer*innen verfügen über die gestalterischen Mittel, dem etwas entgegenzusetzen: mit divergentem Denken, kreativen Strategien und den Methoden eines iterativen Designprozesses lassen sich neue Wege der Partizipation und demokratischer Teilhabe gestalten, die dem schleichenden Zerfall unserer Demokratie etwas entgegensetzen können.
Jedoch organisieren sich Designer*innen zu wenig politisch – und die institutionelle Politik bietet ihnen hierzu auch wenig Anreiz. Bisher werden Designer*innen als Gestaltungsexpert*innen gar nicht oder zu spät in politische Prozesse miteingebunden. Ebenso wenig können Designer*innen ihren Unterhalt allein durch politische, geschweige denn aktivistische Projekte bestreiten. Um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern, muss sich das ändern.
Es gilt, neuen Möglichkeiten der aktiven Teilhabe zu gestalten, öffentliche Räume des konstruktiven Streits zu entwerfen sowie neue Wege der politischen Kommunikation zu erdenken, welche unsere Gesellschaft zusammenbringt und nicht spaltet. Weil sich dieses politische Unterfangen lohnt, muss es auch ökonomisch entlohnt werden. Und dies alles kann nur vor dem Horizont einer nachhaltigen Gestaltung geschehen, die zukünftigen Generationen die gleichen Handlungsspielräume ermöglicht.
Der Deutsche Designer Club (DDC) fordert die Designbranche und die Politik dazu auf, die bestehende Lücke zwischen Design und Politik zu schließen. Wir müssen gemeinsam die kreativen Werkzeuge einsetzen, die uns das Design als Ausgestaltung unserer Lebenswelten bereitstellt. Der Konvent für demokratisches Design, der im März 2022 in Frankfurt am Main stattfand, war ein erster Schritt in diese Richtung. Folgende zehn Punkte, die auf dem Konvent von Designexpert*innen erarbeitet wurden, sollen verdeutlichen, was der DDC unter einem Design für die Demokratie versteht:
1. | Design für die Demokratie ist politisch Wir designen unsere Lebenswelt, die sich zugleich immer auch anders designen lässt. Designentscheidungen prägen uns und unseren Alltag. Somit ist dem Design eine politische Dimension inhärent. Wir brauchen neue Plattformen des Austauschs, um diese politische Dimension aktiv zu entfalten. |
2. | Design für die Demokratie ist partizipativ Ohne Partizipation am Designprozess und eine Pluralität der Perspektiven lassen sich die Herausforderungen unserer Zeit nicht bewältigen. Design ist immer Gestaltung für jemanden, für andere, für Nutzer*innen, für Menschen, für die Gesellschaft. Die Designbranche muss neue Wege finden, alle Stakeholder*innen miteinzubeziehen. |
3. | Design für die Demokratie ist kritisch-transformativ Wir können den verhärteten Status Quo nicht weiterhin gestalterisch affirmieren, sondern müssen ihn gemeinsam kritisch hinterfragen. Wir müssen die Dinge durch die transformative Kraft des Designs grundlegend verändern und eine neue, nachhaltige Normalität schaffen. Durch Design verändern wir die Welt so wie wir uns verändern. Sowohl die Designer*innen als auch die Politik müssen sich dieses Potenzials bewusst werden. |
4. | Design für die Demokratie ist streitbar Es geht nicht darum, dass Designer*innen die perfekte Lösung für all unsere Probleme gestalten. Design ermöglicht Handlungen im gleichen Maße, wie es andere verhindert. Ohne eine öffentliche Designkritik kann es kein gutes Design geben. So wie die Demokratie lebt das Design vom Streit um die Sache. |
5. | Design für die Demokratie ist ästhetisch Designer*innen sind auch Expert*innen der Erscheinung. Wir wissen, wie man Dinge zu öffentlichen Angelegenheiten macht. Durch ihr Erscheinen werden aus bloßen Tatsachen uns angehende Dinge. Design für die Demokratie hebt den ästhetischen Wert des Designs als politischen Wert hervor. |
6. | Design für die Demokratie ist undiszipliniert Gute Probleme haben die Eigenheit, sich nicht disziplinär einengen zu lassen. Sie lassen sich, wenn überhaupt, nur interdisziplinär lösen. Zugleich fordern sie uns dazu auf, uns selbst und unsere Disziplinen neu und anders zu denken und zu verlernen, was wir bisher unter Design verstanden haben. |
7. | Design für die Demokratie ist zukunftsoffen Jeder Designentwurf enthält in seinem Kern eine Spekulation auf eine bessere Zukunft. Zugleich muss er sich in seinem historischen Kontext erweisen, um früher oder später selbst verbessert zu werden. In dieser Offenheit zur Zukunft bleibt Design beweglich und veränderbar. Wir müssen diese Zukunftsoffenheit im Design leben. |
8. | Design für die Demokratie ist inklusiv Durch aktuelle queer-feministische und post-koloniale Designkritiken wurden bisher blinde Flecken der Designdisziplin aufgedeckt. Diese sind kein Ärgernis, sondern ein Ansporn für das Design, unsere Welt gemeinsam inklusiver zu gestalten. Gutes Design bezieht andere mit ein und befähigt sie zum Handeln. |
9. | Design für die Demokratie ist praktisch Im Design verknüpfen sich Denken und Handeln in den Dingen, Strukturen, Objekten und Systemen unseres praktischen Lebensvollzugs. Mit Design verwirklicht sich eine projekt-basierte Demokratie der alltägliche, kommunalen Lebenswelt, welche sowohl die regionale als auch die globale Politik mitbestimmen kann. Wir müssen echte Projekte für echte Menschen fokussieren. |
10. | Design für die Demokratie ist nachhaltig In ihrem verbesserungswürdigen Zustand bleibt die Demokratie ein Versprechen aus der Zukunft. Eine Zukunft, die wir durch unsere Art zu leben, zu produzieren, zu wirtschaften und selbstverständlich zu designen nicht verunmöglichen dürfen. Unser Design darf die Gestaltungsspielräume zukünftiger Generationen nur vergrößern und nicht verengen. |
10,5. | Diese Thesen sind unabgeschlossen Wie die Demokratie selbst ist dieses Vorhaben eines Designs für die Demokratie auch ein Prozess, der um die eigene Fehlbarkeit weiß. Die ersten zehn Punkte sollen eine Perspektive auf ein Design für die Demokratie eröffnen und müssen stetig erweitert werden. |
Die Politik und die Design- und Kreativbranche werden gemeinsam noch einen Weg zurücklegen müssen, auf dem sich weitere Facetten eines Designs für die Demokratie ergeben werden. Aus dem Konvent für demokratisches Design ergeben sich über ein neues Selbstverständnis des Designs hinaus weitere, konkrete Forderungen, die wir gemeinsam mit der Politik umsetzen wollen:
― | Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDG) müssen Grundlage aller politischen sowie gestalterischen Entscheidungen werden. |
― | Designexpert*innen müssen in gestalterisch-politische Prozesse von Anfang an miteinbezogen werden, um diese ökologisch, ökonomisch sowie sozial nachhaltiger zu gestalten. |
― | Politik selbst muss als die Gestaltung von Prozessen verstanden werden, die trotz aller Unterschied viele Ähnlichkeiten mit dem Design teilt. Auf dieser Grundlage können Politiker*innen und Designer*innen voneinander lernen. |
― | Partizipatorische Design-Thinking-Methoden müssen in politische Prozesse integriert werden, um alle Stakeholder*innen an den Tisch zu bekommen. |
― | Kreativität macht neue Handlungsspielräume sowie die Möglichkeit der Partizipation erfahrbar. Die Politik und die Kreativ- und Designbranche müssen gemeinsam Kreativität als demokratisches Instrument vermitteln und benutzen. |
― | Designer*innen müssen neue Wege der Kommunikation über ihre Arbeit finden. Denn auch das Design von vermeintlich simplen Alltagsgegenständen stößt strukturelle Prozesse an, deren Gestaltung wesentlicher Teil des Designs ist. |
― | Die Politik muss aktiver auf die Fähigkeit von Designer*innen zurückgreifen, positive Zukunftsbilder sowie Narrative für die politische Kommunikation zu entwerfen. |
― | Verantwortung und Haltung müssen grundlegende Bestandteile einer Designausbildung sein. Der Raum für die Erfahrung von Selbstwirksamkeit muss ebenso Teil einer zukunftsorientierten Designausbildung sein. |
― | Die gestalterische Arbeit in politischen Kontexten kann nicht rein idealistisch bleiben. Engagement für die Demokratie muss sich für Gestalter*innen lohnen. Die Politik muss in kreative Vorhaben investieren. |
― | Der Designkonvent muss als Plattform des Austauschs als jährliches Event etabliert werden. |
Bei Fragen, Anregungen oder Kommentaren könnt ihr euch direkt an felix.kosok@ddc.de wenden.