„Audi A 4 Dress Collection” von Anouk Wipprecht (2015), Bild © Anouk Wipprecht & Audi

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In der Schau „Science Fiction. Vom Space Age zum Meta­verse“ im Vitra Design Museum blickt man in die Ver­gan­gen­heit, um in die Zu­kunft zu schauen. Was ist aus den Visio­nen der Bücher und Filme ge­worden? Eine Zeit­reise samt dem dazu­ge­hörigen Design, ver­bun­den mit der aktu­ellen Frage, was real ist und was nicht – fan­tas­tisch in­sze­niert von Andrés Reisinger.

Veröffentlicht am 02.06.2024


„Menschen sind Geschichten­er­zähler*innen. Das heißt, wir benutzen die Art, wie wir die Welt wahr­nehmen, für die weitere Erklär­ung des Mög­lichen und damit die Gestalt­ung des Über­morgen-Wirklichen.“

Maja Göpel, Transformationsforscherin

Um es gleich zu spoilern, für die Schau „Science Fiction. Vom Space Age zum Meta­verse“ im Vitra Design Museum haben die Kura­tor­innen Nina Stein­müller und Susanne Graner wirklich das Maxi­mum aus dem Samm­lungs­be­stand heraus­ge­holt und zu­gleich kluge Quer­be­züge zu der Aus­stell­ung „Hello Robot. Design zwischen Mensch und Maschine“ (2017, Vitra Design Museum) sowie zur aktu­ell zeit­ver­setzt laufen­den Schau „Trans­form. Design und die Zu­kunft der Ener­gie“ ge­schaffen. Künstler Andrés Rei­sin­ger hat mit einer fast trans­zen­dent klaren Design­sprache das Schau­de­pot in einen Ort ver­wan­delt, der die befremd­liche Ele­ganz und Leere des Hotel­zimmers im Film „Odyssee im Welt­raum“ von Stanley Kubrick (2001) wider­spiegelt (siehe Inter­view weiter unten).

Living Center von Joe Colombo (1970/71), Bild: Rosenthal Einrichtung © Ignazia Favata/Studio Joe Colombo

Wieso ist diese Aus­stell­ung heute so wichtig und so er­frischend? Ja, früher, da war die Zu­kunft noch was. Heute hat sie einen schweren Stand. In einer Zeit, in der zum Bei­spiel ein Bundes­ver­kehrs­minister ent­gegen allen bekannten Um­fragen behauptet, die Menschen wollten kein Tem­po­­limit auf Auto­bahnen, ist eine Idee – irgend­eine Idee – von Zu­kunft umso wichtiger. Er fordert eine unend­liche Gegen­wart. Keine Ver­änder­ung. Keine Zukunft. Keine Vision. In sol­chen Zeiten wird die Zu­kunft zur Res­sour­ce für die Mutigen. Zukunft wohl­ge­merkt im Sinne einer positiven Vor­stell­ung von Zukunft.

Die Ausstellung „Science Fiction Design. Vom Space Age zum Metaverse“ zeigt mit über 100 Samm­lungs­objekten, wie positiv, wie visionär die Zu­kunft in der Ver­gangen­heit ge­sehen wurde und dass es neben dem Retro-Futuris­mus auch einen Futuris­mus 2.0 sowie einen Afro­futuris­mus gibt. Die Be­tracht­ung der Zukunfts­vor­stellun­gen der Ver­gangen­heit kann uns also als Aus­gangs­punkt für die Ge­staltung der Zu­kunft dienen.

Die Ausstellung „Science Fiction Design: From Space Age to Metaverse“ im Vitra Schaudepot läuft noch bis Mai 2025, Bild: Mark Niedermann © Vitra Design Museum

Stopp! Ist gutes Design nicht immer Science Fiction? Der Aus­blick auf etwas Zu­künftiges, auf etwas, das es noch nicht gibt, das mit neuen Mitteln, Materi­alien, Kon­texten, Zusam­men­hängen, ein anderes, besseres Zusam­men­leben ermög­lichen soll? Leider nein, das kann man so nicht sa­gen. Es gibt Phasen, in denen Design unter dem Mehl­tau des ewig Gleichen liegt. Oder schlim­­mer noch – Phasen, in denen Zynis­mus in der Design­welt herrscht.

Nach dem fort­schritts­gläubigen ersten Space Age der 1950er und 1960er Jahre sind wir heute in einem prag­matischen Space Age 2.0 ange­kom­men, in dem Space X, das James-Webb-Welt­raum­teles­kop, die Erfor­schung von Neu­trinos und Dunkler Materie Reali­täten ge­schaffen haben, die vor­mals undenk­bar waren.

„Djinn Lounge Chair“ von Olivier Mourgue (1964/65), © Vitra Design Museum, Bild: Jürgen Hans © VG Bild-Kunst Bonn, 2024

Was ist also UNSERE Science Fiction? Um diese Frage zu beant­worten, lohnt sich der Blick zurück, den diese Schau glänzend ermög­licht. Was ist zu sehen? Die Aus­stell­ung insze­niert zukunfts­orien­tierte Objekte ihrer Zeit – von Gae Aulenti, Eero Aarnio, Luigi Colani, Joe Colombo oder Verner Panton. Nicht fehlen dürfen Olivier Mourgues „Djinn Sessel“ aus dem Film „2001: Odyssee im Welt­raum“ (1968) oder Eero Aarnios „Tomato Chair“ aus Barry Sonnen­felds „Men in Black“ (1997) und Pierre Paulins „Ribbon Chair“ aus „Blade Runner 2049“ von Denis Ville­neuve (2017). Auch Marc Newsons „Orgone Chair“ in „Pro­metheus“ (2012), Design­objekte wie Charles Rennie Mackin­toshs „Argyle Chair“ (1897) aus „Blade Runner“ (1982) sind zu sehen. Eine Augen­weide. So viel dazu.

Ebenso präsent sind die neuen Mög­lich­keiten des computer­unter­stützten Ent­werfens und des 3D-Drucks, die etwa Joris Laar­mans „Alu­minium Gradient Chair“ (2013) hervor­brachten, den ersten aus Metall ge­druck­ten Stuhl. Die Aus­stell­ung präsen­tiert  auch Andrés Reisin­gers „Shipping Series“ (2021) sowie seinen „Horten­sia Chair“ (2018) – ein ver­spiel­tes und zu­gleich futuris­tisches Objekt, das der Künst­ler und Designer zu­nächst als NFT ent­wickelte und erst da­nach als echtes Möbel fertigen ließ.

KI-Mode „Latent Couture” von Mikey Woodbridge (2023), Bild © Mikey Woodbridge

Am Rande, aber präzise, wirft die Schau einen Blick auf aktu­elle Futuris­men, nicht zu­letzt die NFT-basierte Kunst im digi­talen Raum und den Afro­futuris­mus. Von „Space is the place“ (1974) mit dem exzent­rischen Musiker Su Ra im Zent­rum bis hin zu „Black is King“ (2020) von Beyon­cé er­streckt sich das Spek­trum des Afro­futuris­mus, der hier erfreu­licher­weise einen Platz ge­funden hat. Den Über­blicks­band „Afro­futurism. The World of Black Sci-fi and Fantasy Culture“ von Ytasha L. Womack, der 2013 ver­öffent­licht wurde, möchte ich als Be­gleit­lektüre em­pfehlen. Die Kurator­innen sind sich der Verant­wort­ung und Pro­ble­matik der Inte­gration des Themas er­freu­lich be­wusst. Nina Stein­müller: „Wir sehen, wie stark die Design­geschichte bisher von west­lichen Narrativen geprägt ist. Mich fasziniert daher der Afro­futurism. Die kritische und kom­plexe post­koloni­ale Diskus­sion, die auch in Design, Film und Mode ausge­tragen wird. Als Kura­torin stellt sich natür­lich die Frage: Kann ich das von außen über­haupt kommen­tieren? Können wir als zwei weiße Frauen diesem Thema über­haupt gerecht werden? Wir wollen es the­ma­ti­sieren und nicht eine Mein­ung dazu äußern. Am Ende haben wir uns dafür ent­schieden.“

Video-Still aus dem Film „Die Reise zum Mond” von Georges Méliès (1902), Bild © Public Domain

Die Aus­stell­ung geht histor­isch von der Litera­tur des 19. Jahr­hun­derts aus, etwa „Franken­stein“ von Mary Shelley oder „20.000 Meilen unter dem Meer“ von Jules Verne aus, die sich mit fan­tast­ischen Zu­künften be­schäftigen. Richtig popu­lär und Teil der Pop-Kultur wurden die visio­nären Zu­künfte durch Comics oder Pulp-Maga­zine wie etwa „Astoun­ding Stories of Super Science“ aus dem „Golden Age of Sci-Fi“ (1934 – 1963). Deren erzähler­ische Cover führten zu regel­rechten Fan­tasie-Battles der Illus­trator­*innen. Dort publi­zierten beginnend mit den Au­tor­en wie Isaac Asimov, H.G. Wells, Stanis­law Lem und Philipp K. Dick in den 1930er Jahr­en, bevor sie seriö­sere Ver­lage fanden. Die in diesen Stories be­schrieben­en Objekte, die von den kon­genia­len Illus­tra­toren in Bilder über­setzt wurden, sprangen den De­signer­*innen in die Augen. Sie grübelten darüber, wie das denn statisch ge­macht werden könnte, welche neuen Materi­alien benötigt würden, wie alles durch­sichtig und organ­isch sein kann. Ray und Charles Eames ge­hörten ebenso wie Jean Prouvé oder George Nelson dazu. Einige der schönsten Hefte sind in der Schau zu­sammen mit Roboter-Spiel­zeugen aus der Zeit zu sehen. 
 
Einer der ersten Filme, die in der Aus­stellung gezeigt werden, ist „Die Reise zum Mond“ (1902) von Georges Méliès, der für die Be­trachter­*innen damals ein totaler Flash gewesen sein muss. So was hatte man noch nie gesehen. Die Reise zum MOND. Was passiert auf dem Mond? Welche Objekte gibt es dort? Was braucht man dort? Neben diesem Film, gewisser­maßen dem Ur-Film des Science-Fiction-Genres, tauchen in der Aus­stell­ung „Star Trek“, „2001: Odyssee im Welt­raum“, „Blade Runner“ auf; es gibt Referen­zen zu „Alien“ und anderen.

„Neo-Chemosphere” von ZYVA Studio & Charlotte Taylor (2021) Bild © Zyva Studio X Charlotte Taylor

Susanne Graner interes­siert sich vor diesem Hinter­grund dafür, was JETZT junge Designer­*innen be­schäftigt: „Spannend ist es, zu sehen, wie die jungen Designer und Designer­innen sich im Moment lässig in völlig anderen Räumen be­wegen, mit den tech­nischen Möglich­keiten, die ver­füg­bar sind, ge­stalten. Wie im Game Design gibt es Situatio­nen, wo man noch nicht weiß: Ist das real oder ist das irreal? Was jetzt in der Ge­stalt­ung passiert hat aber keinen Un­heim­lich­keits­charak­ter, sondern es werden Ästhet­iken ge­schaffen, die von der Wirk­lich­keit kaum zu unter­scheiden sind, aber in einer Schwebe zwischen real und irreal bleiben.“

Die Schau ist ge­lungen und sehr an­regend. Wenn etwas fehlt, dann sicherlich die in der Sci-Fi-Film­welt un­ge­heuer ein­fluss­reichen Zeich­nun­gen des Fran­zosen Jean Giraud, auch „Moebius“ ge­nannt, die jedoch nicht Teil der Samm­lung sind. Susanne Graner, als Kura­torin verant­wort­lich für die Samm­lung des Vitra Design Mu­seums und Leiterin der dazu­ge­hörigen Res­tau­rier­ungs­­werk­­statt, sagt: „Die Aus­stell­ung wurde zu 99 Prozent aus Samm­lungs­be­ständen zu­­sam­men­­ge­stellt.“ Chapeau! 

 

 
„Complicated Sofa” aus der Serie „The Shipping” von Andrés Reisinger (2021), Bild © Reisinger Studio

„Okay, Gehirn, ich fühle es, hier ist etwas“
Interview mit Andrés Reisinger


Andrés Reisinger (*1990), Argen­tinier mit Studio in Madrid, ist aus dem Game Design und dem digitalen Raum zum Gestalten analoger Objekte ge­kom­men. In der Aus­stell­ung, die er als Kre­ativ­direktor verant­wortet, sind seine Arbeiten „Shipping Series“ (2021) und „Hortensia Chair“ (2018) zu sehen. Die all­gegen­wärtigen Spiegel in der Aus­stell­ung beziehen sich auf den großen argen­tinische Literaten Jorge Luis Borges, Autor des fantastischen Realis­mus, in dessen Ge­schich­ten Spiegel ununter­brochen auf­tauchen. So werden Grenzen aufgelöst.  

 

Georg-Christof Bertsch: Als du gefragt wurdest, diese Aus­stellung zu gestalten, was war da dein erster Gedanke?

Andrés Reisinger: Ja, mein erster Gedanke war, dass ich das Vitra Schau­depot kom­plett leer räumen wollte. Ich wollte eigentlich keine Regale und ich wollte so wenig Objekte wie möglich zeigen, denn vorher gab es viel mehr Objekte als jetzt. Ich drängte und drängte und drängte, weniger Objekte zu zeigen, denn ich wollte eine Erfahr­ung dessen schaffen, was Science Fiction ist, damit die Menschen Science Fiction erleben.

Andrés Reisinger, Bild © Mark Cocksedge

Georg-Christof Bertsch: Wie sieht dein persön­liches Studio aus? Ist es eher leer oder voll?

Andrés Reisinger: Das hängt von meinen Pro­zessen ab, aber normaler­weise ist es ziemlich leer, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich wohler fühle, wenn der Raum leer und flexibel genug ist. Und es gibt weniger Distanz zwischen dem Aus­probieren und Testen neuer Dinge.

Georg-Christof Bertsch: Sprichst du während des kreativen Pro­zesses mit dem Team oder arbeitest du alleine?

Andrés Reisinger: Ich spreche viel mit dem Team, weil es für mich sehr wichtig ist, dass sie ver­stehen, woher meine Ideen kommen und womit ich zu kämpfen habe.

Georg-Christof Bertsch: Wie reagierst du auf Blockaden im Kreativ­prozess?

Andrés Reisinger: Ich bin sehr tran­sparent, wenn ich bei manchen Projekten nicht weiter­komme. Ich versuche, das vor meinem Team nicht zu ver­bergen. Ich habe nicht für alles eine Lösung. Ich habe nicht immer Ideen, die funktio­nieren. Manch­mal habe ich Ideen, die nur in meinem Kopf funktio­nieren, und wenn ich sie dann visuali­siere, funktio­nieren sie nicht. Aber ich möchte Risiken eingehen, das auszu­probieren. Schauen, wie es doch irgendwie geht. 

Vom Digitalen ins Reale: „Hortensia“ von Andrés Reisinger (2021), Bild: Andreas Sütterlin © Vitra Design Museum

Georg-Christof Bertsch: Wie hast du dich in das Science Fiction-Thema eingearbeitet?

Andrés Reisinger: Ich habe sehr viel Science Fiction-Literatur gelesen. Ich habe mir die fan­tas­tische Literatur meines Landsmannes Jorge Luis Borges (1899 – 1986) noch einmal ganz anders angesehen. Viele Aspekte, die man in der Science Fiction-Literatur findet, können nicht be­wie­sen werden, aber sie sind dennoch ziemlich real. Mich interessiert dieser Zwischen­raum von Realität und Irrealität.

Georg-Christof Bertsch: Was ist die Idee hinter dem rosa Federmotiv deines Sessels „Hortensia“?

Andrés Reisinger: Vielleicht ist mein Antrieb nicht ein Nutzen oder ein Bedürf­nis oder eine bestimmte Verwendung, es ist die Neugier und mein eigenes Bedürfnis, etwas zu entschlüsseln oder etwas zu erforschen, das mich sehr fasziniert.  Wenn ich direkt ein Problem lösen oder etwas machen will, das die Leute angeb­lich wollen, ist niemand daran interes­siert. Wenn ich aber einfach loslege und das mache, was mich fasziniert, stelle ich fest, dass es auch für andere Menschen interes­sant und nützlich ist.

Georg-Christof Bertsch: Du fragst also nicht nach Bedürfnissen anderer, wenn du entwirfst – also bedienst dich nicht der Marktforschung?

Andrés Reisinger: Ich wende mich normaler­weise Ideen zu, um meine eigenen Bedürfnisse, meine eigene Neugier zu befriedigen. Und wenn ich das tue, werde ich mit Sicherheit auch mehr Menschen finden, die das lieben, weil es von Herzen kommt. Weißt du, es kommt nicht vom Gehirn, das versucht, Strategien zu ent­wickeln, was funktio­niert, in welcher Form, wie man es billig oder zugänglich macht oder was auch immer. Ich versuche aus der Energie des Her­zens heraus zu er­schaf­fen und dann dem Gehirn ein bestimmtes Thema und eine bestimmte Aufgabe zu geben, so nach dem Motto: Okay, Gehirn, ich habe das, ich fühle es, ich glaube, hier ist etwas. Mach deine Arbeit, damit es irgendwie doch funktioniert.“

Science Fiction Design. Vom Space Age zum Metaverse
18. Mai 2024 bis 11. Mai 2025
Vitra Schaudepot
Vitra Design Museum, Weil am Rhein
Kuratorinnen: Susanne Graner, Nina Steinmüller
Ausstellungsdesign: Andrés Reisinger

www.design-museum.de

Vitra ist Fördermitglied des DDC.

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