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In der Schau „Science Fiction. Vom Space Age zum Metaverse“ im Vitra Design Museum blickt man in die Vergangenheit, um in die Zukunft zu schauen. Was ist aus den Visionen der Bücher und Filme geworden? Eine Zeitreise samt dem dazugehörigen Design, verbunden mit der aktuellen Frage, was real ist und was nicht – fantastisch inszeniert von Andrés Reisinger.
„Menschen sind Geschichtenerzähler*innen. Das heißt, wir benutzen die Art, wie wir die Welt wahrnehmen, für die weitere Erklärung des Möglichen und damit die Gestaltung des Übermorgen-Wirklichen.“
Maja Göpel, Transformationsforscherin
Um es gleich zu spoilern, für die Schau „Science Fiction. Vom Space Age zum Metaverse“ im Vitra Design Museum haben die Kuratorinnen Nina Steinmüller und Susanne Graner wirklich das Maximum aus dem Sammlungsbestand herausgeholt und zugleich kluge Querbezüge zu der Ausstellung „Hello Robot. Design zwischen Mensch und Maschine“ (2017, Vitra Design Museum) sowie zur aktuell zeitversetzt laufenden Schau „Transform. Design und die Zukunft der Energie“ geschaffen. Künstler Andrés Reisinger hat mit einer fast transzendent klaren Designsprache das Schaudepot in einen Ort verwandelt, der die befremdliche Eleganz und Leere des Hotelzimmers im Film „Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick (2001) widerspiegelt (siehe Interview weiter unten).
Wieso ist diese Ausstellung heute so wichtig und so erfrischend? Ja, früher, da war die Zukunft noch was. Heute hat sie einen schweren Stand. In einer Zeit, in der zum Beispiel ein Bundesverkehrsminister entgegen allen bekannten Umfragen behauptet, die Menschen wollten kein Tempolimit auf Autobahnen, ist eine Idee – irgendeine Idee – von Zukunft umso wichtiger. Er fordert eine unendliche Gegenwart. Keine Veränderung. Keine Zukunft. Keine Vision. In solchen Zeiten wird die Zukunft zur Ressource für die Mutigen. Zukunft wohlgemerkt im Sinne einer positiven Vorstellung von Zukunft.
Die Ausstellung „Science Fiction Design. Vom Space Age zum Metaverse“ zeigt mit über 100 Sammlungsobjekten, wie positiv, wie visionär die Zukunft in der Vergangenheit gesehen wurde und dass es neben dem Retro-Futurismus auch einen Futurismus 2.0 sowie einen Afrofuturismus gibt. Die Betrachtung der Zukunftsvorstellungen der Vergangenheit kann uns also als Ausgangspunkt für die Gestaltung der Zukunft dienen.
Stopp! Ist gutes Design nicht immer Science Fiction? Der Ausblick auf etwas Zukünftiges, auf etwas, das es noch nicht gibt, das mit neuen Mitteln, Materialien, Kontexten, Zusammenhängen, ein anderes, besseres Zusammenleben ermöglichen soll? Leider nein, das kann man so nicht sagen. Es gibt Phasen, in denen Design unter dem Mehltau des ewig Gleichen liegt. Oder schlimmer noch – Phasen, in denen Zynismus in der Designwelt herrscht.
Nach dem fortschrittsgläubigen ersten Space Age der 1950er und 1960er Jahre sind wir heute in einem pragmatischen Space Age 2.0 angekommen, in dem Space X, das James-Webb-Weltraumteleskop, die Erforschung von Neutrinos und Dunkler Materie Realitäten geschaffen haben, die vormals undenkbar waren.
Was ist also UNSERE Science Fiction? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich der Blick zurück, den diese Schau glänzend ermöglicht. Was ist zu sehen? Die Ausstellung inszeniert zukunftsorientierte Objekte ihrer Zeit – von Gae Aulenti, Eero Aarnio, Luigi Colani, Joe Colombo oder Verner Panton. Nicht fehlen dürfen Olivier Mourgues „Djinn Sessel“ aus dem Film „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968) oder Eero Aarnios „Tomato Chair“ aus Barry Sonnenfelds „Men in Black“ (1997) und Pierre Paulins „Ribbon Chair“ aus „Blade Runner 2049“ von Denis Villeneuve (2017). Auch Marc Newsons „Orgone Chair“ in „Prometheus“ (2012), Designobjekte wie Charles Rennie Mackintoshs „Argyle Chair“ (1897) aus „Blade Runner“ (1982) sind zu sehen. Eine Augenweide. So viel dazu.
Ebenso präsent sind die neuen Möglichkeiten des computerunterstützten Entwerfens und des 3D-Drucks, die etwa Joris Laarmans „Aluminium Gradient Chair“ (2013) hervorbrachten, den ersten aus Metall gedruckten Stuhl. Die Ausstellung präsentiert auch Andrés Reisingers „Shipping Series“ (2021) sowie seinen „Hortensia Chair“ (2018) – ein verspieltes und zugleich futuristisches Objekt, das der Künstler und Designer zunächst als NFT entwickelte und erst danach als echtes Möbel fertigen ließ.
Am Rande, aber präzise, wirft die Schau einen Blick auf aktuelle Futurismen, nicht zuletzt die NFT-basierte Kunst im digitalen Raum und den Afrofuturismus. Von „Space is the place“ (1974) mit dem exzentrischen Musiker Su Ra im Zentrum bis hin zu „Black is King“ (2020) von Beyoncé erstreckt sich das Spektrum des Afrofuturismus, der hier erfreulicherweise einen Platz gefunden hat. Den Überblicksband „Afrofuturism. The World of Black Sci-fi and Fantasy Culture“ von Ytasha L. Womack, der 2013 veröffentlicht wurde, möchte ich als Begleitlektüre empfehlen. Die Kuratorinnen sind sich der Verantwortung und Problematik der Integration des Themas erfreulich bewusst. Nina Steinmüller: „Wir sehen, wie stark die Designgeschichte bisher von westlichen Narrativen geprägt ist. Mich fasziniert daher der Afrofuturism. Die kritische und komplexe postkoloniale Diskussion, die auch in Design, Film und Mode ausgetragen wird. Als Kuratorin stellt sich natürlich die Frage: Kann ich das von außen überhaupt kommentieren? Können wir als zwei weiße Frauen diesem Thema überhaupt gerecht werden? Wir wollen es thematisieren und nicht eine Meinung dazu äußern. Am Ende haben wir uns dafür entschieden.“
Die Ausstellung geht historisch von der Literatur des 19. Jahrhunderts aus, etwa „Frankenstein“ von Mary Shelley oder „20.000 Meilen unter dem Meer“ von Jules Verne aus, die sich mit fantastischen Zukünften beschäftigen. Richtig populär und Teil der Pop-Kultur wurden die visionären Zukünfte durch Comics oder Pulp-Magazine wie etwa „Astounding Stories of Super Science“ aus dem „Golden Age of Sci-Fi“ (1934 – 1963). Deren erzählerische Cover führten zu regelrechten Fantasie-Battles der Illustrator*innen. Dort publizierten beginnend mit den Autoren wie Isaac Asimov, H.G. Wells, Stanislaw Lem und Philipp K. Dick in den 1930er Jahren, bevor sie seriösere Verlage fanden. Die in diesen Stories beschriebenen Objekte, die von den kongenialen Illustratoren in Bilder übersetzt wurden, sprangen den Designer*innen in die Augen. Sie grübelten darüber, wie das denn statisch gemacht werden könnte, welche neuen Materialien benötigt würden, wie alles durchsichtig und organisch sein kann. Ray und Charles Eames gehörten ebenso wie Jean Prouvé oder George Nelson dazu. Einige der schönsten Hefte sind in der Schau zusammen mit Roboter-Spielzeugen aus der Zeit zu sehen.
Einer der ersten Filme, die in der Ausstellung gezeigt werden, ist „Die Reise zum Mond“ (1902) von Georges Méliès, der für die Betrachter*innen damals ein totaler Flash gewesen sein muss. So was hatte man noch nie gesehen. Die Reise zum MOND. Was passiert auf dem Mond? Welche Objekte gibt es dort? Was braucht man dort? Neben diesem Film, gewissermaßen dem Ur-Film des Science-Fiction-Genres, tauchen in der Ausstellung „Star Trek“, „2001: Odyssee im Weltraum“, „Blade Runner“ auf; es gibt Referenzen zu „Alien“ und anderen.
Susanne Graner interessiert sich vor diesem Hintergrund dafür, was JETZT junge Designer*innen beschäftigt: „Spannend ist es, zu sehen, wie die jungen Designer und Designerinnen sich im Moment lässig in völlig anderen Räumen bewegen, mit den technischen Möglichkeiten, die verfügbar sind, gestalten. Wie im Game Design gibt es Situationen, wo man noch nicht weiß: Ist das real oder ist das irreal? Was jetzt in der Gestaltung passiert hat aber keinen Unheimlichkeitscharakter, sondern es werden Ästhetiken geschaffen, die von der Wirklichkeit kaum zu unterscheiden sind, aber in einer Schwebe zwischen real und irreal bleiben.“
Die Schau ist gelungen und sehr anregend. Wenn etwas fehlt, dann sicherlich die in der Sci-Fi-Filmwelt ungeheuer einflussreichen Zeichnungen des Franzosen Jean Giraud, auch „Moebius“ genannt, die jedoch nicht Teil der Sammlung sind. Susanne Graner, als Kuratorin verantwortlich für die Sammlung des Vitra Design Museums und Leiterin der dazugehörigen Restaurierungswerkstatt, sagt: „Die Ausstellung wurde zu 99 Prozent aus Sammlungsbeständen zusammengestellt.“ Chapeau!
„Okay, Gehirn, ich fühle es, hier ist etwas“
Interview mit Andrés Reisinger
Andrés Reisinger (*1990), Argentinier mit Studio in Madrid, ist aus dem Game Design und dem digitalen Raum zum Gestalten analoger Objekte gekommen. In der Ausstellung, die er als Kreativdirektor verantwortet, sind seine Arbeiten „Shipping Series“ (2021) und „Hortensia Chair“ (2018) zu sehen. Die allgegenwärtigen Spiegel in der Ausstellung beziehen sich auf den großen argentinische Literaten Jorge Luis Borges, Autor des fantastischen Realismus, in dessen Geschichten Spiegel ununterbrochen auftauchen. So werden Grenzen aufgelöst.
Georg-Christof Bertsch: Als du gefragt wurdest, diese Ausstellung zu gestalten, was war da dein erster Gedanke?
Andrés Reisinger: Ja, mein erster Gedanke war, dass ich das Vitra Schaudepot komplett leer räumen wollte. Ich wollte eigentlich keine Regale und ich wollte so wenig Objekte wie möglich zeigen, denn vorher gab es viel mehr Objekte als jetzt. Ich drängte und drängte und drängte, weniger Objekte zu zeigen, denn ich wollte eine Erfahrung dessen schaffen, was Science Fiction ist, damit die Menschen Science Fiction erleben.
Georg-Christof Bertsch: Wie sieht dein persönliches Studio aus? Ist es eher leer oder voll?
Andrés Reisinger: Das hängt von meinen Prozessen ab, aber normalerweise ist es ziemlich leer, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich wohler fühle, wenn der Raum leer und flexibel genug ist. Und es gibt weniger Distanz zwischen dem Ausprobieren und Testen neuer Dinge.
Georg-Christof Bertsch: Sprichst du während des kreativen Prozesses mit dem Team oder arbeitest du alleine?
Andrés Reisinger: Ich spreche viel mit dem Team, weil es für mich sehr wichtig ist, dass sie verstehen, woher meine Ideen kommen und womit ich zu kämpfen habe.
Georg-Christof Bertsch: Wie reagierst du auf Blockaden im Kreativprozess?
Andrés Reisinger: Ich bin sehr transparent, wenn ich bei manchen Projekten nicht weiterkomme. Ich versuche, das vor meinem Team nicht zu verbergen. Ich habe nicht für alles eine Lösung. Ich habe nicht immer Ideen, die funktionieren. Manchmal habe ich Ideen, die nur in meinem Kopf funktionieren, und wenn ich sie dann visualisiere, funktionieren sie nicht. Aber ich möchte Risiken eingehen, das auszuprobieren. Schauen, wie es doch irgendwie geht.
Georg-Christof Bertsch: Wie hast du dich in das Science Fiction-Thema eingearbeitet?
Andrés Reisinger: Ich habe sehr viel Science Fiction-Literatur gelesen. Ich habe mir die fantastische Literatur meines Landsmannes Jorge Luis Borges (1899 – 1986) noch einmal ganz anders angesehen. Viele Aspekte, die man in der Science Fiction-Literatur findet, können nicht bewiesen werden, aber sie sind dennoch ziemlich real. Mich interessiert dieser Zwischenraum von Realität und Irrealität.
Georg-Christof Bertsch: Was ist die Idee hinter dem rosa Federmotiv deines Sessels „Hortensia“?
Andrés Reisinger: Vielleicht ist mein Antrieb nicht ein Nutzen oder ein Bedürfnis oder eine bestimmte Verwendung, es ist die Neugier und mein eigenes Bedürfnis, etwas zu entschlüsseln oder etwas zu erforschen, das mich sehr fasziniert. Wenn ich direkt ein Problem lösen oder etwas machen will, das die Leute angeblich wollen, ist niemand daran interessiert. Wenn ich aber einfach loslege und das mache, was mich fasziniert, stelle ich fest, dass es auch für andere Menschen interessant und nützlich ist.
Georg-Christof Bertsch: Du fragst also nicht nach Bedürfnissen anderer, wenn du entwirfst – also bedienst dich nicht der Marktforschung?
Andrés Reisinger: Ich wende mich normalerweise Ideen zu, um meine eigenen Bedürfnisse, meine eigene Neugier zu befriedigen. Und wenn ich das tue, werde ich mit Sicherheit auch mehr Menschen finden, die das lieben, weil es von Herzen kommt. Weißt du, es kommt nicht vom Gehirn, das versucht, Strategien zu entwickeln, was funktioniert, in welcher Form, wie man es billig oder zugänglich macht oder was auch immer. Ich versuche aus der Energie des Herzens heraus zu erschaffen und dann dem Gehirn ein bestimmtes Thema und eine bestimmte Aufgabe zu geben, so nach dem Motto: Okay, Gehirn, ich habe das, ich fühle es, ich glaube, hier ist etwas. Mach deine Arbeit, damit es irgendwie doch funktioniert.“
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