Interessenvertretung zwischen Werten, Vielfalt und Gestaltung: Darüber haben Expert*innen und Gäste beim DDC Salon Berlin am 8. Oktober 2024 diskutiert. Das Fazit: Designer*innen sollten um die demokratischen Werte kämpfen.
Darüber haben wir beim DDC Salon Berlin am 8. Oktober 2024 im Underground Clubhouse in Berlin-Mitte gesprochen – und zwar mit Prof. Dr. Carolin Zeller (Quadriga Hochschule, Berlin), Prof. Regina Hanke (Hochschule Macromedia, Berlin; BEDA Secretary), Prof. Dr. Felix Kosok (International University Cairo, Berlin; World Design Capital FRM 2026) und Michael Biel (Staatssekretär für Wirtschaft in der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe), moderiert von Dara Sepehri (DDC Vorstand Kommunikation, 3STN).
Bedeutende Designwirtschaft
In der Einführung zeigte DDC Salon-Organisator Dara Sepehri, welches wirtschaftliche Gewicht Design hat – allein in Berlin mache die Designwirtschaft jährlich einen Umsatz von 5,6 Mrd. Euro und belege damit den dritten Platz im Gesamt der Kultur- und Kreativwirtschaft. Außerdem machte Dara darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über 40 Design-Verbände und -Vereine gibt.“
»Was können Designer*innen tun, um in der Politik präsenter zu sein?«
Daraus leiteten sich die Kernfragen des Abends ab: Inwiefern ist Gestaltung eine politische und demokratische Kategorie?Warum sind bei Wirtschaftsdelegationen nie oder nur selten Designer*innen dabei? Was machen große Verbände oder NGOs besser? Und abschließend haben wir einen Blick nach Europa geworfen: Wie sieht es dort mit der Interessenvertretung für Design aus? Spoiler: 70 bis 80 Prozent der relevanten politischen Entscheidungen für die Designwirtschaft finden in der EU statt.
Über das Politische im Gestalten
Den Anfang machte Prof. Dr. Felix Kosok mit einem Impuls über „Design und Demokratie – Über das Politische im Gestalten“ und berichtete in diesem Zusammenhang auch über seine Arbeit als Leiter Diskurs bei der World Design Capital FRM 2026. Prof. Dr. Carolin Zeller redete anschließend über „Die Bedeutung von gemeinsamen Zielen und Werten für erfolgreiche Interessenvertretung“ und konnte in einem spannenden Vortrag über unterschiedliche Beispiele von guter und erfolgreicher Interessenvertretung und der Wichtigkeit von Werten und klaren Zielen das Publikum fesseln. Den Abschluss machte Prof. Regina Hanke, die mit Passion über ihre Arbeit und das Thema „Design in Europa - Initiativen und neue Identität“ berichtete. Die anschließende Paneldiskussion profitierte sehr von den vorherigen Impulsen und wurde noch mal lebendiger und spannender als Staatssekretär Michael Biel mit in die Bühnenrunde kam.
»Eine heterogene Branche wie die Kultur- und Kreativwirtschaft und auch spezifisch die Designwirtschaft benötigten gemeinsame Ziele.«
Die große Frage, die über dem Panel und über dem Abend lag, war: Welche Rolle kann gutes Design und Gestaltung für politische Prozesse einnehmen? Konkret: Wie gestalte ich Politik? Die erste Feststellung des Panels war, dass sich die Kultur- und Kreativwirtschaft sehr heterogen darstellt. Musik habe ganz andere Herausforderungen als Film oder Design. Die Designwirtschaft müsse die Regeln und Mechanismen der regionalen und nationalen Politik verstehen, aber auch, wie die Designbranche ihre eigenen Interessen vertreten kann. Um diese effektiv vertreten zu können, sollte sich die Designbranche zunächst einmal auf gemeinsame Interessen verständigen. Eine heterogene Branche wie die Kultur- und Kreativwirtschaft und auch spezifisch die Designwirtschaft benötigten gemeinsame Ziele.
Carolin Zeller hatte es in ihrem Impuls bereits deutlich gemacht und die vier wichtigsten Säulen guter Interessenvertretung aufgezeigt: Fachwissen, sehr gute Kenntnis des politischen Prozess, gute Analyse und Stakeholder-Kommunikation und das Wichtigste: Werte und klare Ziele. Hier sind NGOs meist effektiver, da sie aus einem Ziel heraus gegründet wurden. Umso wichtiger ist es für die individuellen Branchen zu einem Prozess zu finden, der zu klaren Zielen führt.
„Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass „die Politik“ kein abstraktes Gebilde ist, sondern aus einzelnen Personen besteht, die politische Entscheidungen treffen“, warf Michael Biel ein. Wenn man seine Interessen vertreten und Gehör finden will, sollte man in der Lage sein, diese schnell und präzise und möglichst auch mit konkreten Schritten unterlegen können.
Werteraum Europa
Mit Blick auf die Interessenvertretung von Design in Europa lässt sich sagen, dass die Lobby verglichen mit anderen Industrien noch ausbaufähig ist. Der wichtigste Akteur ist das Bureau of European Design Associations (BEDA) – der europäische Dachverband aller nationalen Designverbände. Das BEDA wurde 1969 gegründet und hat seinen Sitz in Brüssel. Es versammelt mehr als 50 Designverbände aus den europäischen Mitgliedsstaaten hinter sich. Prof. Regina Hanke (DDC) gehört zu den 11 Board-Mitgliedern und ist BEDA Secretary. Kürzlich hat das BEDA ein Positionspapier herausgebracht, das von Partner-Verbänden und deren einzelnen Mitglieder unterzeichnet werden kann. Regina betonte, dass es wichtig sei, dass auch Designende die „Mechanics of Decision-Making“ kennen. Die Runde bestätigte, dass die Designwirtschaft eine klare Position im politischen Diskurs braucht, um hier stattzufinden. Dafür muss man auch Gegenwind und Kontroversen aushalten.
»Mit Blick auf die Interessenvertretung von Design in Europa lässt sich sagen, dass die Lobby verglichen mit anderen Industrien noch ausbaufähig ist.«
„Europa ist mehr ist als ein Binnenmarkt“, da waren sich alle Panelisten einig. Europa sei ein gemeinsamer Werteraum, auch wenn dies aktuell von einzelnen Mitgliedsstaaten angezweifelt beziehungsweise untergraben werde. Dennoch: Dass die EU beziehungsweise das gemeinsame Werteverständnis funktioniert und noch nicht erodiert ist, zeige sich daran, dass autoritären Vorhaben auch mit den Instrumenten der EU einen Riegel vorgeschoben werden könne.
Dara Sepehri fragte in die Runde, ob man die europäische Identität stärker mitgestalten solle? Michael Biel zeigte sich überzeugt: „Der Rechtsruck ist gefährlich und wir müssen uns engagieren. Designer*innen müssen sich mehr einbringen und ihre Ziele und Forderungen klar formulieren. Wir müssen um Demokratie, Vielfalt und Freiheit kämpfen. Ansonsten sind es zuerst die Ausländer, dann die Homosexuellen und dann die Kreativen. Europa ist die Idee von Freiheit, Frieden und Vielfalt. Das müssen wir verteidigen.“
Design und Transformation
Abschließend wurde die Frage behandelt, ob nicht gerade das Design mit seinen Prozessen und der Fähigkeit, Unsicherheit und ungewisse Rahmenbedingungen auszuhalten, prädestiniert dafür sei, in der Transformation eine zentrale Rolle einzunehmen? Prof. Regina Hanke: „Anders als manche kreative Bereiche kann das Design nicht zuverlässig Artefakte liefern, die es sichtbar machen. Es ist hingegen oft besonders gut, wenn man es nicht merkt. Das kommt unter anderem daher, dass Design als Schnittstelle und Übersetzer in allen Industrien zuhause ist und Vielfalt und unterschiedlichste Sprachen und Methoden gewohnt ist. Das macht es zu einem ganz wichtigen Akteur, der ähnlich der Kommunikation eine vermittelnde, beratende und gestaltende Rolle zukommt.“
Michael Biel betonte zum Abschluss, dass Sprache das Tool zur Zusammenkunft ist. Das er sich wünscht, dass die Designwirtschaft mehr Sichtbarkeit im politischen Gestalten bekommt und sich mehr einbringt.
Die Eindrücke und Impulse wurden bei Drinks und Essen von TISK Speisekneipe weiter diskutiert.